Fronleichnam in den 1930er Jahren

Vorbereitungen, Prozession und Tagesablauf nach dem Umzug

Peter Weber

Die katholische Kirche feiert am Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag das Fronleichnamsfest. Der Name Fronleichnam (vron oder fron = Herr, lichnam = Leib) entspricht der lateinischen Festbezeichnung »Festum Ss. Corporis Christi«. Um auch das Mysterium des »kostbaren Blutes« einzuschließen, wurde der Name erweitert. Die Bezeichnung lautet heute "Hochfest des Leibes und des Blutes Christi (Fronleichnam)«.

Vorbild für die Fronleichnamsumzüge waren in Deutschland die Flur- und Bittprozessionen. An vier Stationen wurden die Anfänge der vier Evangelien gesungen, Bittgebete gesprochen und der sakramentale Segen erteilt. Mit zunehmender Verbreitung der Fronleichnamsumzüge entstand als neues liturgisches Gerät die Monstranz, in der die konsekrierte Hostie sichtbar ist. Seit dem 14. Jahrhundert wurden Baldachine in der Prozession mitgeführt. (Zur Geschichte des Festes vgl. A. Adam: Das Kirchenjahr mitfeiern. Seine Geschichte und seine Bedeutung nach der Liturgieerneuerung. 4. Aufl. Freiburg 1986, S. 140 ff.)

In den letzten Jahrzehnten ging die Beteiligung an den Fronleichnamsfeiern zurück, und man suchte nach neuen Gestaltungsformen. In größeren Städten ersetzte ein zentraler Gottesdienst, der auf einem öffentlichen Platz gehalten wurde, die Prozessionen dereinzelnen Kirchengemeinden.

Wie der Feiertag in den 1930er Jahren in Wershofen gestaltet wurde, soll im folgenden berichtet werden.

Die Vorbereitungen

Zum Schmuck des Prozessionsweges wurden Blüten benötigt. Es waren vor allem die Kinder, die mit Begeisterung Blüten sammelten. Tagelang waren sie in ihrer Freizeit in den Fluren unterwegs. Kinder aus Familien, die keine Streu benötigten, weil das Haus nicht am Prozessionsweg lag, arbeiteten für Onkel und Tante oder sonstige Auftraggeber. Andere boten sich zum Blütensammeln an oder gingen mit der Streu zu den Familien, die Bedarf hatten. Die Kinder befragten sich gegenseitig: »Für wen sammelst Du denn?« oder »Was bekommst Du denn dafür?« Sie konnten sich eine Weile ohne Aufsicht beschäftigen und verbanden so das Angenehme mit dem Nützlichen.

Damit von den verschiedenen farbigen Blüten Bilder gelegt werden konnten, wurden sie nach Arten und Farben getrennt gesammelt. Beim »Ginsterstroppen« füllte sich der Korb in kurzer Zeit. Die Sammler mußten nur die gelben Blüten von den Trieben abstreifen. Ebenso hatten sie beim Abstreifen von Lupinenblüten schnell eine größere Menge beisammen. Rotkleeblüten waren ebenfalls leicht zu sammeln. Da sie keine leuchtende Farbe haben, dienten sie vorwiegend als Füller für Wiesenblumenmischungen. In den Hausgärten blühten Pfingstrosen und der Gemeine Schneeball. Ihre Zweige wurden vorwiegend für Sträuße auf den Fronleichnamsaltären verwandt.

Das Angebot an Blumen und Triebspitzen war von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Es war abhängig vom Entwicklungsstand der Vegetation vor und am Festtag, dessen Termin jährlich wechselt. Bei einem langen Winter und einem frühen Festtermin war die Natur noch im Erwachen. Umgekehrt konnte die Hauptblütezeit schon vor dem Fronleichnamsfest vorbei sein. In solchen Fällen dienten Triebspitzen von Tannen, Fichten und Lärchen als Ersatz, vor allem für die Umrahmungen der Bildteppiche.

Am Vortag des Festes wurde die Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben früher als üblich beendet. Die Männer und Jungmänner, die mit dem Fuhrwerk unterwegs waren, brachten Maien, vorwiegend Hainbuchen, aus dem Wald ins Dort. Mit einem Eisenkeil und einem Hammer wurden entlang des Prozessionsweges Löcher in den Boden geschlagen. Man setzte die grünen Zweige hinein und verkeilte sie mit Steinen oder Holzstücken.

Für den Aufbau und Schmuck der vier Stationsaltäre waren die Jungen und Mädchen der (Altar-) Rotten zuständig. Am Tag vor dem Fest fuhren die Jungmänner der Rotten mii Gespannen in den Wald und schlugen Fichten, die als Kulisse für die Altäre benötigt wurden. Jeweils zwei Bäume, bis auf einen, mußten von gleicher Länge sein. Sie wurden mit Fahnen geschmückt und danach pyramidenförmig aufgestellt. Vor dieser Kulisse bauten die Jungmänner die Altäre auf, die sich aus Sockel, Tisch und Altaraufsatz zusammensetzten.

Die Anlieger des Prozessionsweges steckten Fahnen in den Halterungen an den Häuserwänden auf. Am Mittwoch Abend oder Donnerstag Morgen wurden Tannen- bzw. Fichtenäste, die mit weißen bzw. roten Papierschleifen oder -rosen geschmückt waren, an den Häuserwänden befestigt.

Waren alle Vorbereitungen getroffen und die Straßen gefegt, machten die Frauen die Festtagskleidung zurecht.

Die Männer standen, nachdem sie das Vieh versorgt und zu Abend gegessen hatten, in Gruppen auf der Straße und hielten ein Schwätzchen. Diejenigen, die von auswärts kamen, konnten dabei über Neuigkeiten von ihrem Arbeitsplatz in der Stadt berichten.

Am Fronleichnamsmorgen begann dann in aller Frühe ein geschäftiges Treiben. Die Mädchen der (Altar-) Rotten schmückten die Stationsaltäre und richteten die Seitenaltäre her. Tischdekken, Deckchen, Kerzenständer und Kerzen wurden von allen Seiten herbeigebracht, ferner Blumenvasen, Blumen und Heiligenfiguren. Die Altäre und alle Gegenstände, die benötigt wurden, waren Eigentum der Rotten; Fehlendes wurde geliehen. Wenn zum Schmuck eines Altars der Ankauf von Blumen (häufig rot- oder weißblühende Hortensien) und Kerzen notwendig war, sammelte man Geld in den Straßen, die zur Rotte gehörten. Unmittelbar vorden Stationsaltären wurde ein Webteppich ausgelegt und mit Blüten umrandet. Davor legten Frauen und selten Männer ca. 1,5 mal 2,0 Meter große gemusterte Blumenteppiche aus. Die Größe richtete sich nach Motiv, vorhandenen Blüten, ob schmal-lang oder breit-kurz bzw. quadratisch.

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Fronleichnam in Wershofen: Erster Stationsaltar (um 1920)

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. .. zweiter Stationsaltar auf dem Friedhof (um 1925), . . .

Die Umrisse der Motive zeichnete man mit Kreide auf die Straße. Das war schwierig, weil der Untergrund nicht eben war. Unebenheiten erschwerten auch das exakte Auslegen der Blüten und beeinträchtigten die optische Wirkung der Teppiche. Als Motive für die Teppiche vor den Altären und Hausaltären eigneten sich Kelche (mit oder ohne Hostien), Hostien, Kreuze, die Zeichen PX und IHS, das Osterlamm, ferner Fische, die mit Brot gefüllte Körbe auf dem Rücken trugen. Je nach Phantasie und Können der »Dekorateure« wurden die Motive mit einem kontrastreichen Rahmen aus Blumen oder Koniferenspitzen umrandet. Vertiefungen im Boden konnten ausgeglichen werden, indem man an diesen Stellen die Blüten mehrfach übereinander legte. Um den Teppich herum wurde eine Wiesenblumenmischung ausgestreut. Die Mitte des Prozessionsweges schmückten die Anwohner mit locker gestreuten Blütenmischungen. In Ausnahmefällen wurden auch Bilder aus Blumen hergestellt und oberhalb des Fronleichnamsaltars angebracht. Viele Dorfbewohner bauten Hausaltäre auf. Sie trugen Tische nach draußen und deckten sie mit Tischtüchern und Zierdeckchen ab. Darauf stellte man Kruzifixe, Herz-Jesu- oder Heiligenfiguren, Vasen mit Blumensträußen und Kerzen, die, während die Prozession vorbeizog, brannten. (Ein Hausbewohner mußte die brennenden Kerzen beaufsichtigen. In Haushalten, die Vieh besaßen, blieb ohnehin jemand zu Hause). Bei manchen Häusern war im Erd- oder Obergeschoß ein Fenster geöffnet. Die Bewohner hatten hinter der Fensterbank ein Altärchen aufgebaut, weil am Straßenrand kein Platz dafür war.

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Fronleichnamsaltar vor der Wershofener Pfarrkirche um 1940

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. . . und vierter Stationsaltar Nellesgass/Ecke

Die Prozession

Die Prozession fand nach dem Festgottesdienst statt. Sie wurde von drei Meßdienern angeführt,  die ein Vortragekreuz und zwei Kirchenfahnen Mutscheid (1931) trugen. Der Pfarrer, dem die Meßdiener mit Weihrauch-Faß, -Muschel und Burse vorangingen, trug die Monstranz mit der konsekrierten Hostie. Den Baldachin trugen die vier Männer, die zuletzt geheiratet hatten. Zu beiden Seiten und hinter der Sakramentsgruppe gingen die Erstkommunikantinnen im weißen Kleid. Sie trugen eine Girlande aus llexblättern (Blätter der Stechpalme, im Volksmund Walddistel genannt), an der Tragschlaufen befestigt waren. Jedes Kommunionmädchen hatte ein Stück bereitzuhalten. Die einzelnen Teile wurden zusammengebunden, so daß eine Girlande entstand. Die Honoratioren des Dorfes fehlten bei der Prozession ebensowenig wie der Kirchenchor und Vereinsfahnen. An den Außenseiten des Festzuges gingen die Schulkinder und Lehrer, dahinter die weibliche Jugend. Es folgten die Frauen mit Kleinkindern. Die Mädchen trugen rosa, blaue oder weiße Kleidchen. Die Körbchen, welche die Kleinkinder und Zweitkommunikantinnen bei der Prozession mitführten, waren mit einer Blütenmischung gefüllt. Am Ende des Zuges gingen die männlichen Jugendlichen und Männer.

An jedem Stationsaltar sang der Pfarrer den Anfang eines der vier Evangelien. Er stimmte das Lied »Tantum ergo« an, das vom Kirchenchor gesungen wurde. Die Zeremonie an den Altären endete mit dem sakramentalen Segen. Auf dem Weg zwischen den einzelnen Stationen beteten die Teilnehmer den freudenreichen Rosenkranz. Die Einsätze gaben die Brudermeister mit ihren Brudermeisterstäben.

Der Prozessionsweg

In Wershofen führte die Fronleichnamsprozession von der Pfarrkirche zum ersten Segensaltar am Haus Brenner in der Mutscheid (Straßenname). Die zweite Station war auf dem Friedhof, dem sogenannten Hähnchen, oberhalb des Dorfes. Dort hatten Ortsbewohner ein Flurkreuz (Nischenkreuz) als Altar hergerichtet und geschmückt. Danach ging es weiter, am Forsthaus vorbei, zum dritten Altar am Glattergasser Heiligenhäuschen, das an einer Weggabelung stand. Eine alte Eiche war hier Kulisse. Nach dem sakramentalen Segen zog die Prozession durch die Glattergasse zum vierten Stationsaltar. Er stand in der Nellesgasse (auf der Dorfstraße). an der Straßenkreuzung in unmittelbarer Nähe der Kirche (Ecke Nellesgasse/Mutscheid). Der Umzug endete mit dem Schlußsegen in der Pfarrkirche.

Um 1920 war der erste Fronleichnamsaltar in der Mutscheid vor der Gastwirtschaft Pfahl aufgebaut. Eine Begründung für den Standortwechsel konnte nicht ermittelt werden. In den Jahren 1940 und 1941 durfte die Prozession nicht durch die Dorfstraßen ziehen. Nach Angaben von Einwohnerinnen, die heute über 80 Jahre alt sind, fand ein mehrmaliger Umgang um die Pfarrkirche statt. Ein Stationsaltar stand im Westen der Kirche, auf dem Platz vor dem Kirchenportal (an der Rückseite des Hauses Weber). An der Herrichtung der Station waren zwei Rotten beteiligt. Die Mädchen wohnten in der Mutscheid, in der Hammesgasse und in der Oberdorfstraße. Die Rotte der beiden zuletzt genannten Straßen war normalerweise für den Altar auf dem Friedhof zuständig. Einen zweiten Segensaltar gab es an der Ostseite der Kirche, neben dem Eingang zur Sakristei. Diesen Altar hatten die Rotten der Glattergasse und der Nellesgasse mit Nebenstraßen aufgebaut und geschmückt.

Nach der Prozession

Nach dem Umgang räumten Mitglieder der Rotten den Schmuck der Stationsaltäre ab. Gegenstände, die Eigentum der Rotte waren, wurden in Kisten gepackt, Geliehenes brachte man den Leihgebern zurück. Die Blumensträu ße wurden zum Teil in der Kirche bzw. an Bildstöcken aufgestellt. Man entfernte die Webteppiche, die vor den Altären lagen, und baute Seiten- und Hausaltäre ab.

Die Frauen bereiteten das Mittagessen zu. Viele Männer standen in Gruppen auf den Straßen. auf denen die Blütenzuwelken begannen, oder gingen ins Wirtshaus. Sie hatten bis zum Mittagsessen noch eine Weile Zeit. sich zu unterhalten. Die Kinder baten ihre Eltern, Onkel oder Tanten um einen Groschen oder fünf Pfennige für ein Eis. das es am Fronleichnamstag in den Geschäften gab. Das Milcheis (mit Vanillearoma) wurde in einer butterfaßähnlichen, doppelwan-digen Maschine hergestellt. Die Zutaten waren von Eisstücken umgeben und wurden mit einer Kurbel solange gerührt, bis sie gefroren waren. Der älteste Sohn des Kaufmanns Anton Nett hatte damals, als er noch ein kleiner Junge war, folgenden Werbeslogan auf Lager: »Eis, lecker Eis - macht die Liebe heiß«. Auch das gehörte zu Fronleichnam. Aber der Tag war ja noch nicht zu Ende.

Am Nachmittag

Nach dem Mittagessen war es bald wieder Zeit, in die Kirche zur Andacht zu gehen. Daran kamen die meisten Kinder und Jugendlichen nicht vorbei, ob sie Lust dazu hatten oder nicht. Nach dem Nachmittagskaffee machten sich die Jugendlichen auf den Weg zu den abgeräumten Stationsaltären. Die Jungen und Mädchen schnitten mit Messern ca. 30 cm lange Triebspitzen von den Fichten ab. Dann setzten sie sich auf die Stufen der Altäre und begannen, Nadeln und Rinde von den Trieben zu entfernen. Sie schabten mit Sorgfalt und Ausdauer. Bald roch die ganze Umgebung nach frischem Harz.

Wenn ein Bündel blankgeputzter, heller Zweige beisammen war, band man es mit einem starken Zwirnfaden zu einem sogenannten Breibesen zusammen. Zu Hause wurde er ausgekocht und dann bei der Zubereitung von Milchspeisen. dem Brei. verwandt. Die Zutaten, ein krümeliges Gemisch aus Mehl, Fett und Zucker, wurden mit einem Breibesen in die heiße Milch eingerührt. Man benutzte die Geräte auch zum Reinigen von Töpfen und Pfannen.

Diejenigen, die keine Kinder hatten, die Breibesen herstellten, beauftragten andere mit deren Anfertigung. Das war gewissermaßen eine Saisonarbeit für Kinder. Diese waren froh, ein paar Pfennige verdienen zu können. Nach Angaben von Katharina Brenner (70) kostete ein Breibesen damals zwei Pfennige. Mit dieser Beschäftigung ging für die Dorfkinder der Fronleichnamstag dem Ende zu. Es war Zeit nach Hause zu gehen und bei der Stallarbeit zu helfen.

Am Abend waren die Blüten auf der Straße verwelkt, und der Dürft der Heublumen lag in der Luft. Die Maienzweige säumten noch die Straßen. Sie blieben bis Freitag stehen, außer an solchen Stellen, wo sie den Viehtrieb behinderten. An den Häusern hingen noch die Fahnen und die mit Papierschleifen oder -rosen geschmückten Äste. Man entfernte sie erst am Freitag, ebenso die Stationsaltäre und Kulissen aus Fichten. Fronleichnam war vorbei. Die Aufgaben, die das Fest gestellt hatte, waren von der Dorfgemeinschaft gelöst worden. Man hatte Anteil genommen, mitgemacht und das wohl nicht zum letzten Mal.

Gewährspersonen
Katharina Brenner, Gertrud Hüllender, Hedwig Klapperich, Hermann Müller, Cilly Raths, Grete Syberg und Thekla Zirws