Vom Rheinort zum Hafenort

Die Vorgeschichte des Baus des Oberwinterer Schutzhafens

Bernd Blumenthal

Im vergangenen Jahr feierte Oberwinter den hundertsten Jahrestag der Einweihung seines Hafens. 1891 fertiggestellt, diente er etwa siebzig Jahre lang der Rheinschiffahrt als Schutzhafen vor Eisgang und Hochwasser. Seitdem das Eis wegen der Erwärmung des Stromes kein Problem mehr darstellt, hat sich sein Charakter allmählich geändert. Das Hafenbecken ist zur Heimat von Erholungssuchenden und Wassersportlern geworden. Der Oberwinterer Hafen ist zum Jachthafen geworden.

Diese relativ jungen Veränderungen des Hafens lassen fast die Umstände seiner Entstehung vergessen. Sie reichen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein und müssen vordem Hintergrund der Strukturveränderungen in der Rheinschiffahrt gesehen werden. Wie alle am Rhein gelegenen Ortschaften lag auch Oberwinter schon in früheren Jahrhunderten an einer auch für damalige Verhältnisse pulsierenden Verkehrsader. Zu Zeiten, als viele Menschen in abgelegenen Gebieten der Eifel wegen der ungünstigen Verkehrslage ihr Leben lang nicht über die unmittelbare Umgebung ihres Dorfes hinauskamen, herrschte am Rhein schon rege Geschäftigkeit. Eine Reise von Köln oder Bonn nach Koblenz (vor der Französischen Revolution immerhin die Residenzstädte zweier Kurfürsten) führte unweigerlich durch Oberwinter: Die Landstraße führte mitten durch das Dorf, und der Leinpfad, auf dem Treidelpferde größere Lasten per Schiff rheinaufwärts zogen, führte direkt an den ersten Häusern vorbei. Diese verkehrsgünstige Lage war nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, der dazu führte, daß sich in Oberwinter im 17. und 18. Jahrhunderteine Händlerschaft mit Verbindungen bis Bonn, Köln oder sogar Holland bildete.1) Auch Neuerungen und Neuigkeiten jeglicher Art kamen auf diese Art und Weise ins Dort und ließen es an Entwicklungen teilhaben, von denen abgelegene Ortschaften, wenn überhaupt, erst Jahre später erfuhren.

Jahrhundertelang prägte die Treidelschiffahrt das Bild der Verkehrsader Rhein. Hierbei wurden bei der Bergfahrt Segel und Ruder durch Pferde unterstützt. Ein etwa 1824 entstandener Strich von E. Finden zeigt im Vordergrund links einen solchen Treidelkahn am Fuß des Ro-landsbogens.2)

Treidelkähne dürften stromaufwärts wohl höchstens 15 km täglich zurückgelegt haben.3) Die Strecke konnte jedoch durch regelmäßigen Pferdewechsel verdoppelt werden. Deshalb befanden sich auf manchen Schiffen regelrechte Ställe, in denen Umspannpferde mitgeführt wurden. Das damals so vertraute Bild änderte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Innerhalb weniger Jahrzehnte revolutionierte die Erfindung der Dampfmaschine das Verkehrswesen auch auf dem Rhein. 1816 bzw. 1817 machte das englische Dampfschiff »Caledonia« zwei Pionierfahrten, wovon eine bis über Koblenz hinausführte.4) 1826 wurde in Köln die »Kölner Dampfschiffahrt-Gesellschaft« gegründet und schon im folgenden Jahr transportierten die beiden noch ganz aus Holz gebauten Schiffe, "Concordia" und »Friedrich Wilhelm«, auf insgesamt 129 Fahrten mehr als 33 000 Passagiere und zahlreiche Güter.5)

Der Aufbruch in die neue Zeit hatte jedoch auch seine Schattenseiten. Der sich vollziehende Strukturwandel ging langfristig auf Kosten der Rheinanliegergemeinden. Die neuen Schiffe zogen nicht mehran ihrem Ufer vorbei, sondern fuhren in der Flußmitte. Die Einwohner, die als Schiffer, Treidelknechte oder Lotsen gearbeitet hatten, sahen sich zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Die wenigsten konnten sich auf die neue Situation einstellen, die meisten wurden zu Tagelöhnern, die vor allem im Winter nur schwer Beschäftigung fanden. Die Situation wurde noch verschärft durch das große Bevölkerungswachstum des 19. Jahrhunderts, so daß es durchaus glaubhaft ist, wenn berichtet wird, daß vom Überwinterer Ufer aus auf Dampfschiffe geschossen wurde.6)

Seitens des preußischen Staates, zu dem das Rheinland seit 1815 gehörte, wurde die Dampfschiffahrt nach besten Kräften gefördert. Er sah in ihr ein Mittel der Belebung von Wirtschaft und Verkehr und der Hebung der Landeskultur. In diesem Sinne bemühte er sich um den weiteren Ausbau der Wasserstraße, um für größere Schiffskapazitäten günstige Bedingungen zu schaffen.

1851 nahm die Rhein-Strombau-Verwaltung ihre Arbeit auf, deren Aufgabe die Uferbefestigung und die Schaffung eines einheitlichen Fahrwassers für die Dampfschiffe war. Im Verlauf der Planungen wurde der Ausbau eines Schiffshafens zwischen Köln und Koblenz diskutiert. Inzwischen hatten sich nämlich Schleppzüge durchgesetzt, die aus einem Dampfschiff und bis zu sechs Schleppkähnen bestanden. Je stärker diese beladen waren, desto langsamer ging die Bergfahrt voran, und so war die Strecke von Köln nach Koblenz mit voller Last nicht an einem Tag zu bewältigen. Drohte nun ein Wintereinbruch, so daß mit Treibeis gerechnet werden mußte, konnten den Schiffseignern große Verluste entstehen, weil sie in Köln liegen bleiben mußten. So drängten sie auf den Bau eines weiteren Schutzhafens undfanden bei der Rhein-Strombau-Verwaltung offene Ohren.

Der Plan der Strombau-Verwaltung lief daraus hinaus, den Honnefer Rheinarm nach oben hin mit einem hochwassersicheren Damm abzuschließen und dann als Schutzhafen zu nutzen.7) Im Verlauf der Jahre stellte sich jedoch heraus, daß sich auf diese Weise der Wasserdruck auf die gegenüber liegende Insel Nonnenwerth dermaßen verstärken würde, daß sie weggespült zu werden drohte. Die Lösung wäre eine Verbreiterung des mittleren Rheinarms auf Kosten der Insel Grafenwerth gewesen, was jedoch sehr hohe Kosten verursacht hätte. Eine Entscheidung wurde zunächst zurückgestellt, obwohl der Baubeginn immer dringlicher wurde.

Nach Bismarcks Reichsgründung 1870 setzte auch in Deutschland die Industrialisierung ein, wobei die Rheinschiffahrt an zusätzlicher Bedeutung gewann. 1880 sprach sich die Rheinschiffahrtsinspektion Koblenz noch nachdrücklich für den Hafenausbau Honnef aus:

Eine sehr geeignete Stelle zu einer Hafenanlage mitten zwischen Cöln und Coblenz bietet unseres Erachtens der rechtsseitige coupierte Stromarm neben der Insel Grafenwerth bei Honnef, welcher mit verhältnismäßig geringen Kosten leicht zu einem großen Sicherheitshafen umgerüstet und überdies mit dem dicht dabei liegenden Bahnhofe Honnef zu einem Schienenkreuz verbunden werden könne.8)

Offensichtlich war die Rheinschiffahrtsinspektion über die Probleme dieser Lösung jedoch nicht auf dem letzten Stand. Jedenfalls fand 1885 die Verpeilung des Flußbettes vor Oberwinter statt,9) woraufhin 1887 die endgültige Entscheidung fiel, den Hafen in Oberwinter zu bauen. Wegen der schwierigen Stromführung bei Rolandseck und Honnef hatten die Planungen insgesamt 31 Jahre gedauert. Von nun an ging es jedoch zügiger voran. In der Oberwinterer Ortschronik heißt es im Jahre 1888:

Im Monat Mai wurde von der Königlichen Strombau-Verwaltung zu der projektierten Hafen-Anlage bei Oberwinter ein Stück Land angekauft von Herrn H. J. Schlößer und Gebrüder Lauffs die Ruthe zu 60 Mark auf welches Terrain der Hafendamm angelegt werden soll, die eigentlichen Arbeiten zum Hafenbau begannen am 26. Juli 1888 und machten raschen Fortschritt.10)'

Die Baggerarbeiten wurden von der Firma Franz Minten aus Mainz durchgeführt. Vier dampfgetriebene Bagger räumten zunächst das Gelände und hoben dann das Hafenbecken aus. Der so gewonnene Kies wurde für den Hafendamm und für Anschüttungen an der »Steins Kant« verwendet. Die Oberfläche des Dammes wurde mit Basalt abgepflastert, der aus dem Steinbruch »Dungkopf« bei Unkelbach stammte.

Fuhrwerke transportierten die Basaltsäulen zum Rhein, wo sie an der Stelle, die heute noch Basaltverladestelle genannt wird, auf Nachen des Oberwinterer Schiffers Matthias Wilkomm geladen und nach Oberwinter gerudert wurden. Dort wurden sie von Arbeitern entladen.

In den 50er Jahren sprach Willy Schmilz noch mit Augenzeugen des Hafenbaus.11) Diese wußten zu berichten, daß die Arbeiter, die hierfür aus der näheren und weiteren Umgebung kamen, für das Entladen eines Zentners Steine zunächst mit einem Pfennig entlohnt wurden. Nach einem kurzen aber offensichtlich wirkungsvollen Streik wurde die Bezahlung auf 1 1/4 Pfennig pro Zentner erhöht.

Um seiner vorgesehenen Rolle als Schutzhafen gerecht zu werden, wurde die Oberkante des Dammes auf zehn Meter über dem Kölner Pegel festgelegt. Die Dammspitze wurde unter der Wasseroberfläche mit fünf parallel laufenden Traversen an das Ufer angeschlossen, deren Zwischenräume mit Kies aufgefüllt wurden. Dennoch setzte sich später immer wieder Sand und Kies an der Hafeneinfahrt ab, der bis 1979 regelmäßig abgebaggert werden mußte.12) Der Grund des Hafenbeckens wurde auf minus 1 Meter Kölner Pegel festgelegt, damit der Hafen auch bei Niedrigwasser angelaufen werden konnte. Die letzten Arbeiten waren noch nicht fertiggestellt, als der Hafen schon seine Funktion erfüllen mußte. Im Winter 1890/91 trieb die Kälte und das Treibeis zahlreiche Schiffe in den Schutz des Dammes und gab vielen Oberwinte-rern auch in dieser Jahreszeit Arbeit, was wegen der Abhängigkeit von der Landwirtschaft keineswegs selbstverständlich war. Die Ortschronik schreibt hierzu:

Januar sehr kalt. Durch diese strenge Kälte wurden sehr viele Schiffe in den hiesigen Hafen gebracht und hatten die Arbeitsleute und Tagelöhner, welche durch die Strenge des Winters nichts mehr verdienten, durch diese Schiffe mit aus- und einladen wieder ihr Brod. An anderen Nachbarorten war unter den Tagelöhners (!) weil sie kein Verdienst hatten große Armuth. Oberwinter hatte reichlich Arbeit durch den neuen Hafen.13)'

Am 7. April 1891 wurden schließlich die Bäume für die Lindenallee am Hafenbecken gesetzt, die noch auf Fotos aus den frühen 30er Jahren zu erkennen sind (Sie standen bis zum Januar 1936, als sie wegen des Baus der Umgehungsstraße gefällt werden mußten.)14) Am 23. Juli wurden die Bauarbeiten am Hafen beendet und am 19. August wurde die letzte Löhnung ausgezahlt.15) Nun konnte der Hafen auch offiziell seinen Betrieb aufnehmen.

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Oberwinter 1892 vom Hafendamm aus gesehen

Daß der Hafen das Leben in Oberwinter verändern und in Zukunft ein für den Ort bedeutender Wirtschaftsfaktor werden sollte, hatte sich schon vor seiner Fertigstellung angedeutet. Daß durch ihn auch einige andere Lebensbereiche in Bewegung geraten sollten, soll hier abschließend nur angedeutet werden. Älteren Einwohnern Oberwinters ist der Winter 1928/29 noch in lebhafter Erinnerung. Damals lagen wegen des bisher höchsten Hochwassers unseres Jahrhunderts, von 9,60 m Kölner Pegel, und starkem Eisgang über 100 Schiffe wochenlang im Hafen fest. So kam es denn auch zu Bekanntschaften zwischen den Schiffern und der Oberwinterer Jugend, die von vielen Müttern nicht so gerne gesehen wurden. Schließlich waren diese Leute heute hier und morgen dort, und es haftete ihnen etwas vom "fahrenden Volk« an. So sah sich der damalige katholische Pastor Jodokus Sebastian genötigt, seiner Gemeinde von der Kanzelzuzurufen: »Mütter, paßtauf Eure Töchter auf, die Wölfe sind eingefallen«.16)

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Winter im Schutzhafen Oberwinter

Zumindest einige Töchter müssen dies wohl etwas anders gesehen haben. Nachweislich hat das Hochwasser 1928/29 zu mehreren Ehen zwischen Überwinterer Mädchen und im Hafen festliegenden Rheinschitfern geführt.

Anmerkungen:

  1. vgl. die Heiratsverbinclungen Oberwinterer Bürger in den Kirchenbüchern der Kath. Kirchenbücher 1702 -1798, Bistumsarchiv Trier.

  2. Der Slich basiert auf einem Aquarell J. W. Turners, der auf einer seiner Rheinreisen 1824 auch in Oberwinter Station machte Das Original befindet sich in der City Gallery, Manchester.

  3. Die Zahl ist eine Schätzung auf der Basis der Angaben über die Geschwindigkeit von Treidelkähnen auf Kanälen in Meyers Großes Konversationslexikon. Bd 10. Leipzig und Wien. 1909. S. 537

  4. vgl. Jacob Rausch (Hgl Heimatkunde des K^ises Ahrweiler. Ahrwenero. J . S. 79,

  5. vgl. Haraid Winkel. Mittelrheinische Wirtschaft im Wandel der Zeit. Koblenz o. J. (1983). S 474

  6. vgl. J. Sebastian. Festschrift zum SOOjähngen Jubiläum der Pfarrei Oberwinter Oberwinter 1931. S 49: hier nach: Hans Atzler und Heinz Wilms, 100 Jahre Oberwinter. 886 -1986. Remagen-Rolandseck1986, S.11 f.

  7. vgl. hierfür und das Folgende. R. Jasmund. Die Arbeiten der Rheinstrom-Bauverwaltung 1851 -1900. o. 0. (Berlin) 1902. S. 100 -105.

  8. Bericht über den Zustand der Sicherheitshafen an der Preußischen Rheinstrecke vom 9. 6. 1880 der Rheinschiffahrtsinspektion Co-blenz, Landeshauptarchiv Koblenz, Abt. 418, Nr. 937,

  9. vgl. Aufzeichnungen über die Verpeilung des 9. Aufsichtsbezirks in der Bauinspection Cöln (Station 452 - 464: Brohl - Oberwinter), 1886 - 1887, Landeshauptarchiv Koblenz. Abt. 418, Nr. 1584.

  10. Ortschronik Oberwinter 1888, Stadtarchiv Remagen.

  11. Die Zeitungsausschnitte der Artikel von Willy Schmilz sind leider nicht datiert Sie befinden sich im Archiv des Rathausvereins Oberwinter.

  12. vgl. Hermann-Josef Fuchs, 100 Jahre Hafenanlage Oberwinter. Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 1988. S. 148 - 150,

  13. Ortschronik Oberwinter 1891, Stadtarchiv Remagen

  14. vgl. hierzu Bernd Blumenthai, ••Diejetzige Straße ist für Fußgänger unpassierbar" - Die Vorgeschichte des Baus der Oberwinterer Umgehungsstraße (B 9) in den 30er Jahren. Heimal]ahrbuch des Kreises Ahrweiler 1991, S. 176 • 181, hier S. 180f,

  15. Ortschronik Oberwinter 1891. Stadtarchiv Remagen.

  16. mündliche Mitteilung von Margret Weber. Oberwinler