Maria Laach - Rückblick und Ausblick

100 Jahre nach der Wiederbesiedlung - 900 Jahre nach der Gründung

P. Dr. Emmanuel v. Severus OSB

Die Annalen des Klosters Maria Laach verzeichnen zum 24. und 25. November 1892 folgenden Bericht:
„Bitter kalt war es, als wir nach langer Nachtfahrt an der Endstation Brohl a. Rh. eintrafen. Zwei offene Wagen und die Klosterkutsche, von Br. Marian und zwei Klosterknechten geführt, nahmen uns dort in Empfang. Durch dichten Nebel ging es das Brohltal hinaus, während ein schneidender Wind uns die Glieder erstarrte. Wohl lugte mancher spähend aus, ob sich denn immer noch nicht der Spiegel des Sees zeigen wollte. Als endlich die letzte Anhöhe erstiegen war, wurde der dritte Rosenkranz begonnen, eben kurz nach sechs war er beendigt, da tauchte das herrliche Münster aus dem Nebel auf: wirwaren in Laach. Das Hausglöckchen rief eben die Brüder zur hl. Messe, als wir vor der Klosterpforte hielten. Sofort eilten wir in die Hauskapelle, um der lieben Muttergottes für die glücklich vollendete Fahrt zu danken. Alsdann geleitete uns der sorgsame Hausmeister auf unsere Zellen, wo wir am fröhlich lodernden Feuer die durchkälteten Glieder erwärmten. Wie waren wir angenehm überrascht; wir waren auf Entbehrungen aller Art gefaßt gewesen und siehe, es mangelte uns nichts. Zeigten sich auch allerorten die Spuren der heiligen Armut deutlicher als in dem Mutterkloster, aus dem wir mit Wehmut geschieden, wir litten doch keine Noth und durften unsere kleinen Entsagungen nicht in Vergleich bringen mit dem, was unsere ersten Väter in den Tagen der Entstehung unserer Kongregation durchgemacht hatten. Alsdann traten die Priester an die Altäre und feierten zum ersten Male in der neuen Heimat das heilige Opfer...

Als um 9 Uhr die kleinen Hören statt des sonst üblichen Konventamtes gebetet waren, begannen wir unter des P. Prior Führung einen Rundgang. Wieviel gab es da zu sehen und zu bewundern. Der herrliche Garten lag allerdings noch zum großen Teil wüst und öde da; allein wir freuten uns doch, daß wir innerhalb der Klausur ein solches Stückchen hatten, das uns zum Paradies erblühen sollte, wohin kein Hauch weltlicher Lust und kein weltliches Getriebe dringen durfte. Wehmütig betraten wir die Abteikirche, noch öffnete sich kein Zugang vom Claustrum her und wir mußten die Schlüssel, die unseren Vätern Ordinis S. Benedicti entrissen worden waren, von der Güte des königlichen Försters erbitten. Wie traurig war ihr Anblick. Einstweilen wurde bestimmt, daß das heilige Officium auf der Hauskapelle abgehalten werden sollte, während der sonntägliche Gottesdienst in der St. Josephskapelle stattfand... Nach dem Mittagessen führte uns der erste gemeinsame Ausgang rings um den See. Um 4 Uhr sangen wir die erste Vesper der heiligen Catharina, um 5 Uhr wurde die Matutin des folgenden Tages antizipiert, denn die Müdigkeit war groß und wir sehnten uns nach Ruhe...

Als eigentlicher Eröffnungstag sollte das Fest der heiligen Catharina gelten, das Hochamt wurde deshalb cum ministris gehalten, freilich in weißer Farbe, denn rote Paramente standen uns noch nicht zu Gebote. Wenn wir dabei an Beuron zurückdachten..., dann war der Anfang ein recht armseliger. Wie schwach der Chor, kein Orgelklang, alles eng und bescheiden. Trotzdem kam uns das Te Deum recht von Herzen."

Der Annalist, der die Ereignisse des neuen Anfangs für die späteren Generationen aufzeichnete, war kein geringerer als der Prior der Gründungsgruppe, Willibrord Benzler selbst. Wir haben ihm nicht nur aus Pietät gegen seine verehrungswürdige Gestalt so ausführlich das Wort erteilt - was er schrieb, ist vielmehr kennzeichnend: für ihn, einen tieffrommen Sohn der Roten Erde, einen ernsten Mönch von herber Gemütsart, aber auch für die Kongregation, der die Wiederbesiedlung des alten Klosters anvertraut war. Wir hören in der Erzählung noch die verklingende Melodie des romantischen Jahrhunderts, wirspüren in ihr noch die Freude über die sich erfüllende Hoffnung, mit der gerade die Gründer Beurons, die Gebrüder Weiter, nach einer Niederlassung in ihrer rheinischen Heimat Ausschau gehalten hatten. Allerdings - in diesen ersten Jahren genügten weder der fromme Sinn, wie ihn die meisten Mönche der Gründungsgruppe beseelte, noch bloße Begeisterung, die sich in einem Brief des aus Köln stammenden Priors von Emaus in Prag Luft machte, der schrieb: „Laach wird das deutsche Cluny!" Das Werk der Wiederbesiedlung verlangte einen entsagungsbereiten und tatkräftigen Pioniergeist. Solche Gesinnung zeichnete vor allem den Prior Willibrord und die jungen Kleriker aus, die zu ihren Theologiestudien von Beuron nach Laach gekommen waren. Er bewährte sich im zähen Ringen mit den Koblenzer und Berliner Behörden um das Recht, wenigstens vorläufig in der Kirche Gottesdienst feiern zu können, das schließlich unmittelbar vor dem Osterfest, am 24. März 1893, erteilt wurde.Am Dienstag in der Karwoche traf das vom Regierungspräsidenten von Itzenplitz ausgefertigte Dekret in Maria Laach ein, am Gründonnerstag übergab Landrat Linz aus Mayen die Kirchenschlüssel. Der vermauerte Zugang vom Kreuzgang zur Kirche mußte aufgebrochen werden, ein großes Reinemachen füllte die freien Stunden zwischen dem umfangreichen Pensum der Karliturgie, bis man am Ostersonntagmorgen mit wehenden Fahnen, mit der Dortmusik von Wehr und unter Böllerschüssen zum Osteramt in die Kirche zog, der ersten Eucharistie, die seit der letzten Messe des treu ausharrenden Priors Hieronymus Gern (+1815) aus dem alten Laach im Jahre 1808 wieder gefeiert wurde. Dechant Domkapitular Kirvel aus Mayen hatte man dazu eingeladen.

Wir verringern das Verdienst des Prior Willibrord, der noch im Herbst des gleichen Jahres 1893 zum ersten Abte erhoben wurde, und seiner Nachfolger im Amte nicht, wenn wir in der kurz gefaßten Schau, die uns die Jubiläen 1992/ 93 nahelegen, mit wenigen Worten aussprechen, daß die Kirche, das kostbare Erbe der Laacher Vergangenheit, im Planen und Arbeiten der Mönche bis zum heutigen Tage die erste Stelle einnimmt. Sie mußte erneuert, wiederhergestellt und ausgestattet werden. Sie verlangte Erhaltung und Pflege bis auf den heutigen Tag. Wichtige Daten in dieser Entwicklung sind die Stiftung des wunderbaren Geläutes in den Jahren 1896 bis 1898, die Stiftung des Kaiseraltares 1897, die Ausschmückung mit den Mosaiken unter den Äbten Fidelis von Stot-zingen (1901 -1913) und lldefons Herwegen, die Aufstellung der Orgel unter Abt Fidelis; schließlich die Übereignung im Jahre 1923, die großen Restaurationsarbeiten am Langhaus und Okto-gon unter Abt lldefons und die Wiederherstellung der Krypta unter dem gleichen Abte. Dazu gehört die umfangreiche Renovierung durch die Sicherung der Gewölbe, der Neuaufbau der Ostgruppe, die Erneuerung aller Fenster in Westwerk, Langhaus und Ostapsis unterAbt Basilius Ebel (1946-1966). Auch die großen gotischen Fenster müssen genannt werden, die erst 1966 unter Abt Urbanus Bomm (1966-1977) eingesetzt wurden, und es dürfen die großen Aufgaben nicht verschwiegen werden, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gestellt waren:

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Benediktiner-Abtei Maria Laach. Gesamtansicht. (Kunstverl. Maria Laach Nr. 5243/L.).

Anpassung von Chor und Priesterraum den Erfordernissen der erneuerten Liturgie.
Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne ein Blühen und Gedeihen an vielen anderen Orten des klösterlichen Bereiches: den Erweiterungsbauten, die Abt Fidelis an den alten Gebäulich-keiten des Kurtrierischen Architekten Seitz aus dem 18. Jahrhundert vornahm, dem Wiederaufbau des Kreuzgangs auf den 1855 zum größten Teil niedergebrannten Gebäuderesten, dem Neubau der Sakristei, die Modernisierung der uns von den Jesuiten hinterlassenen Pfortengebäude durch Abt lldefons und den Neubau des sogenannten Akademieflügels in den Jahren 1929 bis 1931. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen, um nur einiges zu nennen, das Jugendheim St. Winfrid 1953, die völlige Erneuerung des Lehrlingswohnheimes 1954, die Modernisierung des Seehotels hinzu - in den meisten Fällen mühselige Umbauten und Erneuerungsarbeiten, die mehr Mühe und Kosten verursachen und weniger Freude machen als Neubauten von Grund auf. Erst seit 1960 war es möglich, auch den Konventbauten mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Hand in Hand ging damit eine ständige Weiterentwicklung in der Gutsverwaltung und ihren Betrieben. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Kunstverlag gegründet, der heute bereits auf ertreuliche Ergebnisse und eine ausgreifende Wirkung zurückblicken kann. Dies alles hätte kaum geschehen können ohne eine innere Entwicklung, die solch äußere Aktivität erst ermöglichte und rechtfertigte.

1894 legte der erste Novize aus dem Rheinland Profeß ab, Fr. Placidus von Spee, dem viele andere folgten; unter ihnen die große Schar von fünf Fratres und fünf Brüdern am 8. September 1896, in deren Reihe sich auch der spätere Abt lldefons Herwegen und sein langjähriger Prior Albert Hammenstede befanden. Die philosophische Ordenshochschule blühte durch 50 Jahre. Mit Abt lldefons und Prior Albert sind bereits zwei Namen genannt, deren Träger für unser Kloster jene Periode einleiteten, die einstweilen als die bedeutendste in der Geschichte der wiederbesiedelten Abtei gelten kann. Obgleich es für einen Historiker der alten Schule eine heikle Aufgabe ist, die eigene Zeit und das eigene Leben zu beschreiben, will ich es versuchen.

Zunächst darf ich wiederholen, was ich an anderer Stelle darlegte: Wir können es heute kaum fassen, wie es Abt lldefons inmitten derdrücken-den Not zweier Weltkriege und in den Zeiten der Heillosigkeit, die sie begleiteten, gelang, die Kräfte zu sammeln und zu entfalten, die damals von Maria Laach ausstrahlten. Unter seiner Initiative begann hier die liturgiegeschichtliche und liturgievergleichende Forschung, die mit den Namen C. Mohlberg (+1963) und 0. Casel (+1948) verbunden ist. Von hier gingen jene kulttheologischen Erkenntnisse und Anregungen aus, die das Denken und Arbeiten einer Generation von Theologen und Seelsorgern befruchtete und in der Liturgie-Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils zu ihren großen Ergebnissen kamen.

Damals fanden die Laien, vor allem die Mitglieder des Akademikerverbandes hier jene Kraft, die ihnen half, die Krise des Modernismus und die Verfolgungen des Nationalsozialismus zu bestehen, weil die Mönche von Laach ihnen die Kirche als Leib Christi und als Braut des Herrn zeigten. Die Kirche erwachte in den Seelen, wie R. Guardini es formulierte. Robert Schuman, um nur einige Namen zu nennen, Hermann Platz, Paul Simon und Franz X. Münch kamen nach Laach. Max Scheler und Peter Wust schauten zu seinem Abte auf. Pius Parsch, Konrad Jakobs, Johannes Pinsk, Robert Grosche, Ludwig Wolker und Heinrich von Meurers empfingen hier neue pastorale und pädagogische Impulse.

Der in Köln als Oberbürgermeister abgesetzte Konrad Adenauer fand im März 1933 hier seine Zuflucht. Sein Name veranlaßt uns auch zu dem Hinweis, daß diese Zeiten dem nach anfänglichen Hoffnungen auf den Nationalsozialismus bitter enttäuschten Abte lldefons fünf Vernehmungen durch die Geheime Staatspolizei, eine zweimalige Flucht vor persönlicher Bedrohung 1935 und 1937 einbrachten, und dies alles unter einer Last seelischer Sorge um die klösterliche Familie, des inneren Leidens und der Angst, deren Schilderung sich dem Geschichtsschreiber nie bis zur letzten Tiefe erschließen wird. Es ist Abt lldefons versagt geblieben, sein Werk nach dem Zweiten Weltkrieg in der Freiheit weiterzuführen, die allein seinem großen Geiste angemessen war. Im Gegenteil - manche seiner Gedanken sind von hohen kirchlichen Stellen getadelt, sein Werk und Wort von den Zeitgeschichtlern kritisch durchleuchtetworden. Er konnte sich nicht mehr selbst dazu äußern, aber es ist für uns, seine Schüler, eine gewisse Genugtuung gewesen, daß Papst Paul VI. seinen Namen vor den Äbten des Gesamtordens als den eines Großen nannte.

Abt Basilius haben wir es zu verdanken, daß er die gelehrten Bestrebungen seines Vorgängers in einem Forschungsinstitutzusammenfaßte und so die Weiterführung der Studien ermöglichte, für die Abt lldefons im Jahre 1931 die Benediktinerakademie begründet hatte. So bestehen die von Abt lldefons selbst oder unter seiner Initiative begonnenen drei großen wissenschaftlichen Reihen heute noch.

Wir mußten freilich auf die Führung und auf den Rat des Abtes lldefons da verzichten, wo er für das Kloster am hilfreichsten gewesen wäre, in der Heranbildung der jungen Menschen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an unserer Pforte klopften. Diese jungen Männer kamen zum größten Teil nicht aus einer Jugend ruhigen Wachsens und stillen Reifens, sie kamen aus der Begegnung mit dem Tode in vielfältiger Gestalt, aus einer Trümmerwelt im Sinne materieller und geistiger Zerstörung. Sie kamen aus derfurchtbaren Wüste der verbrannten Erde, die eine Schreckensherrschaft mit einer kaum aufwiegbaren Schuldhypothek in Deutschland zurückgelassen hatte, sie kamen zu einem großen Teil als Vertriebene, Geflüchtete und darum auch als Entwurzelte. Anders als in Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Österreich und der Schweiz kam diese monastische Jugend aus einem Lande, das nach den erschütterten Worten Theodor Schieders auf dem Deutschen Historikertage 1967 den stärksten Kontinuitätsbruch und die spürbarste Ge-schichtsmüdigkeit erlebt hat.

Wer heute auf das erste Jahrzehnt des Wiederaufbaus nach dem Kriegsende von 1945 zurückblickt, wird sich oft fragen, ob die restaurativen Züge, die das kirchliche, gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland prägten, nicht auch für das monastische Leben galten, ob sie nicht übermächtig waren und die erneuernden Impulse überdeckten. Was wir damals erreichten, die eine oder andere liturgische Reform, die allmähliche Integration des Laienbrü-derinstituts in eine vollgültige Form des mona-stischen Lebens, scheint uns heute wenig und allzu langsam verwirklicht, wenn wir es an den Impulsen messen, die das Zweite Vatikanische Konzil dem kirchlichen Leben gegeben hat. Vielleicht dürfen wir aber doch sagen, daß wir damals das gegeben haben, was wir geben konnten, und daß wir auch heute immer wieder erfahren - aus dem Munde derer, die bei uns geblieben sind, von vielen, die uns wieder verlassen haben, daß damals durchaus richtig war, was heute nicht unbedingt das sichere Heilmittel für die gegenwärtige Krise ist.

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Abteikirche Maria Laach: Christusbild in der Ostapsis (1912).

Wir wollen uns vor dieser Kennzeichnung der gegenwärtigen Situation als einer Krise des Mönchtums nicht fürchten. Was wir fürchten müssen, wäre die Versuchung, die Wahrheit in eine Festtagshülle einzupacken, die einer ideologischen Verlogenheit gleichkäme. Wir dürfen das Wort von der Krise des Mönchtums um so furchtloser gebrauchen, als es bereits 1956 ausgesprochen wurde, und zwar nicht von einem Mitglied dieses oft einer allzugroßen rheinischen Beweglichkeit bezichtigten Klosters, sondern von dem uns freundschaftlich verbundenen Abte Pius Buddenborg aus dem westfälischen Gerleve, der Abtei des eher konservativen, beharrenden und bewahrenden Münsterlandes.

Wonach wir freilich zu fragen haben, das ist das Entstehen und die Eigenart dieser Krise. Zunächst sollte niemand glauben, er sei in einer Zeit, die Bischöfe der Kirche als eine Zeit schwerster Glaubenskrise bezeichnet haben, von dieser Prüfung durch Privilegien ausgenommen. Wenn es uns ernst ist mit der Wahrheit, daß auch die benediktinische Abtei ein Wahrbild der Kirche sei, dann ist es nur natürlich, daß das Ringen um ein neues Selbstverständnis und eine neue Selbstverwirklichung des Wesens der Kirche in diesen klösterlichen Gemeinschaften deutlich, vielleicht auch intensiver und schmerzlicher spürbar ist als in der Gesamtkirche. Aber es gilt, diesen Prozeß als Aufgabe zu sehen, nicht etwa nur als Entartung.

Man hat uns in dieser Zeit oft gefragt, welches Ziel wir uns gesetzt hätten und mit welchem Programm es durchzuführen wäre. Als Antwort scheint mir hier kaum eine andere möglich als zur Zeit des heiligen Benedikt selbst: Sein Werk war die Anpassung des monastischen Lebens der Frühzeit an sein Jahrhundert unter Anspruch und der Führung des Evangeliums. Dabei ließ er vieles fallen, was seinen Vorfahren teuer war und was sie für wesentlich hielten, dabei ließ er vor allem bestehen, was dem Menschen seiner Zeit möglich war; dabei ordnete er alles dem einen Ziele unter, das Mönchtum seiner Zeit als möglichst konkrete Gestalt der Bruderliebe zu verwirklichen.

Das gilt es auch heute zu tun, wollen wir wahr bleiben, wollen wir unsere Form christlichen Lebens nicht zu einer Sonderform christlichen Daseins machen, die dem Selbstverständnis der Kirche in unserer Zeit nicht gerecht würde. Das gilt es heute so zu tun, daß das Wort des Evangeliums in den Wörtern und Satzungen der Regel, der Konstitutionen und Consuetudines hörbar bleibt und daß dieses Evangelium des Heils und der Erlösung durch Christus als das kraftvolle Herz der Regula alles beleben kann, wie Abt Urbanus Bomm es einmal schön und tief gesagt hat.

Freilich hat solche Zeit und haben solche Aufgaben große Gefahren. Unsere Abteien gleichen in der Gegenwart weniger denn je Gottesburgen, die für Jahrhunderte gebaut sind, als Baustellen, von denen große Staubwolken aufsteigen, die manchmal die Sicht trüben. Wie diese haben sie ihre lebensgefährlichen Einsturz- und Absturzmöglichkeiten. Was wir hier im Bilde ausdrücken, ist nicht leichthin gesprochen. Viele von uns gehen mit offenen Wunden durchs Leben, die wir deshalb ertragen, weil wir wie Amfortas in der Sage auf den Kelch des Leidens und Blutes Christi schauen dürfen und weil wir hoffen, daß diese Narben uns als ehrenhafte angerechnet werden. Wie groß das Ausmaß der Wandlung ist, die das benediktinische Mönchtums heute zu bestehen hat, möchte ich schließlich an dem Bekenntnis erläutern, das Abt-Primas Rembert Weakland 1965 zugleich mit den Äbten des Ordens zur Pluriformität abgelegt hat.

Pluriformitas - das bedeutet in gewisser Weise das Ende jenes Prinzips, das seit über 1000 Jahren in der benediktinischen Gemeinschaft eine große Rolle gespielt hat. Zur Devise „una regula" war unter dem heiligen Benedikt von Anianein karolingischer Zeit die „una consuetu-do" getreten, und alle Erneuerungsbewegungen des hohen Mittelalters bis zu Solesmes und Beuron im 19. Jahrhundert haben sich unter dem darin begründeten Leitgedanken der Uni-formitas vollzogen. Und nun eine Abwendung? Ein Umbruch? Wir glauben in der neu proklamierten Pluriformitas weder eine Revolution noch eine totale Kehrtwendung zu sehen. Mochten Cluny und Bursfelde die Uniformitas stark betont haben, die Vielgestalt von sechs Benediktinerkongregationen im deutschen Sprachraum zeigt, daß auch dieses Prinzip aus der Überlieferung entwickelt wurde. Wir müssen heute darin ganz bescheiden den kleinen Anteil erkennen, der uns in der großen Erneuerung der Kirche und ihrer zeitgemäßen Anpassung zugefallen ist.

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Blick über den Laacher See zur Abteikirche.

Gewiß - auch diese Aufgabe verlangt Feingefühl, um nicht zu sagen: Feinnervigkeit. Die Hände, die hier am Werk sind und vieles neu zu schaffen haben, anderes umgestalten sollen, werden sich davor hüten müssen, im Einreißen des Alten selbstzerstörerisch zu wirken, aber Zaghaftigkeit und Kleinmut sind nicht am Platz, wo die Aufgabe groß und schwierig ist. So bekennen wir uns zu dieser leidvollen Gegenwart mit den schwierigen Aufgaben, die sie uns stellt.

Bekenntnis zur Gegenwart: Die Welt verlassen - wie das überlieferte geistliche Vokabular es nannte - heißt ja nicht, sie ihrem Schicksal, ihrer zum Untergang determinierten Vergänglichkeit überlassen, sondern sie als Stoff begreifen, den wir zu bereiten haben für die Neuschöpfung durch Gottes Geist. Die monastische Gemeinschaft als möglichst konkrete Gestalt der Bruderliebe zu verwirklichen, das bedeutet nicht theoretische, sondern wirkliche, sachliche und praktische Bemühung um den Frieden, um die Versöhnung unter den Menschen, gerade dort, wo bisher Gegensatz, Feindschaft, Friedlosig-keit und Vorurteile ihre vielfältigen Wurzeln hatten. Wenn in den letzten Jahren in der Abtei dieses Klosters ein kleiner und bescheidener Beitrag zum ökumenischen Gespräch und zum Gesellschaftsdialog, zum toleranten und hörbereiten Gespräch mit den Menschen aller Richtungen sich entwickeln konnte, dann bedeutet dies nicht eine Abwendung vom liturgischen Apostolat, sondern eine Folgerung, die eines Tages notwendig daraus gezogen werden mußte. Im gleichen Sinne ist auch unser bescheidenes soziales Zeugnis zu sehen. Wir werden gewiß nicht alles festhalten und bewahren können, im Gegenteil, das Mönchtum mußte schon oft sein Marschgepäck und seinen Troß erleichtern, freiwillig oder unfreiwillig, damit es über den Schwierigkeiten und über den Oasen der Wüstenwanderung das verheißene Land nicht aus den Augen verlor.

Weil wir uns zur Gegenwart bekennen - deshalb dürfen wir auch die Vergangenheit dankbar und festlich feiern und nicht ohne Zuversicht und Hoffnung den Weg in die Zukunft fortsetzen. Die Zukunft ist der Herr selber, der uns in aller menschlichen Mühe und Anstrengung und bevor wir ihn anrufen schon zuruft: „Siehe, da bin ich!"