Zur Konstituierung der evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr im Jahre 1878 und ihrer Vorgeschichte

Dr. Wolfgang Dietz

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts regte sich im Bereich des unteren Ahrtals unter den fast ausschließlich aus anderen Landesteilen zugezogenen und hier in ausgeprochener Diasporasi-tuation lebenden Protestanten „der Wunsch nach einer evangelischen Gemeindebildung. Dem wurde entsprochen durch die Errichtung des evangelischen Vikariats Ahrweiler/Adenau. 1853 hat Pfarrer Renckhoff aus Remagen im Saal des Gastwirts Houverath in der Kreisstadt den ersten evangelischen Gottesdienst vor etwa 30 Teilnehmern gehalten. Hernach wurde Ahrweiler Amtssitz eines Vikars. In der Kreisstadt konnte ein Gemeindehaus mit Predigerwohnung eingerichtet werden. Die Vikare wechselten in sehr schneller Folge. Von 1862 an haben sie auch im .Kurviertel Neuenahr' Gottesdienste gehalten. Die Kurverwaltung stellte dafür einen Raum im Kurhaus zur Verfügung. 1869 kam Pastor Gustav Adolf Pliester aus der Gemeinde Kranenburg bei Kleve insVikariat. Er wirkte neun Jahre als Vikar1) und wurde 1878 erster Pfarrer der aus dem Vikariate ausgegliederten selbständigen evangelischen Pfarrgemeinde.

Ihre Umschreibung nahm das Konsistorium der Rheinprovinz am 02.05.1877 wie folgt vor: „Wir haben hiernach in Aussicht genommen, das Parochiegebiet der neuen Gemeinde auf die [Gemeinden und] auf die Bürgermeistereien Neuenahr und Ahrweiler (in welcher im vorigen Jahre die Zahl der dort wohnhaften Evangelischen 78 resp. 29 betragen haben soll) zu beschränken, die in den Bürgermeistereien Gelsdorf (2 Evangelische), Königsfeld (1) und Altenahr (damals kein Evangelischer) sowie im Kreise Adenau (zusammen 22) wohnenden Evangelischen aber nur gastweise der Cura des Pfarrers von Neuenahr zu unterstellen."2)

Weiter hieß es in dem Schreiben des Konsistoriums an die Bezirksregierung in Koblenz: „Mit der Constituierung noch länger zu warten, scheint uns nicht zulässig, da schon allein der nicht unerhebliche Immobiliarbesitz, welcher sich an das Vikariat knüpft, eine baldige rechtliche Organisation der Verhältnisse erforderlich macht."3)

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Gedenkplatte für Gustav Adolf Pliester an der evangelischen Kirche Bad Neuenahr

Auf dieses Votum hin wandte sich die Regierung am 11.05.1877 an Landrat von Groote mit der Bitte um Stellungnahme. Dieser wollte sich jedoch nicht endgültig festlegen und hielt es für geboten, die Entscheidung über die Errichtung einer eigenständigen Pfarrei „dem Ermessen der höheren Behörde ehrerbietigst anheim-[zu]::.eilen."-"Das einzige Faktum, das von Groote in seinem Antwortschreiben zu bedenken gab, war, daß „die während der Badesaison nur vorübergehend in Neuenahr sich aufhaltenden Fremden [...] dabei wohl nicht in Betracht kommen dürften."5)

Doch trotz dieser landrätlichen Zurückhaltung in der Frage der Pfarreikonstituierung machte die allgemeine Entwicklung auch vor Bad Neuenahr nicht Halt, war es doch am Rhein (Andernach, Remagen. Oberwinter)6) bereits vielerorts zu derartigen Gründungen gekommen. Selbst die weitab vom Rhein gelegene Kreisstadt Adenau - der Kreis Adenau wurde am 01.10.1932 aufgelöst und gelangte je zur Hälfte an die Kreise Mayen und Ahrweiler7) - „verfügte seit 1860 über einen Betsaal."8)

In Bad Neuenahr aber waren, wie aus einem Bericht der Bezirksregierung Koblenz an den Oberpräsidenten der damaligen preußischen Rheinprovinz vom 04.07.1870 hervorgeht, die Verhältnisse derart, daß schon seit „1864 die Beschaffung eines gottesdienstlichen Lokals besondere Schwierigkeiten machte, [weil] die Badeverwaltung nur geringes Interesse hierfür an den Tag legte. [Die evangelischen Kurgäste erachteten es daher] für angemessen, Sammlungen behufs Einrichtungen eines eigenen würdigen gottesdienstlichen Lokals zu veranstalten und sind dieselben bis jetzt fortgesetzt worden."9)

Diese Selbsthilfeaktion der evangelischen Badegäste stellte sicher auch eine Reaktion auf den heftigen Standortstreit dar, der zwischen „den evangelischen Gemeindegliedern in Ahrweiler und den wenigen in den Ortschaften [Beul], Hemmessen, Wadenheim und im Kur-viertel von Bad Neuenahr"10) entbrannt war.

Es bedeutete daher für die Realisierung des Kirchenbaues den Durchbruch, als sich Kultusminister von Mühler in Berlin für einen königlichen Zuschuß verwandte und die Bezirksregierung Koblenz am 03.11.1870 anwies, „ein Projekt zum Bau einer evangelischen Kapelle im Bade Neuenahr aufstellen zu lassen und über die Höhe des erforderlichen Gnadengeschenks [...] zu berichten."11) Damit war die Standortfrage von höchster Stelle vorentschieden und „der Bau einer evangelischen Kirche an der Kurgartenbrücke so gut wie beschlossen. [...] Nach Plänen des Kreisbaumeisters Cuno wurde der Bau der Kirche [noch] 1870 begonnen. Zwei Jahre später konnte sie eingeweiht werden."12) Mit ihr waren auch die räumlichen und institutionellen Voraussetzungen für die 1878 erfolgte Pfarreierhebung gegeben.

Nach rund 15 Jahren zähen Ringens hatte sich somit - unterstützt durch den aufstrebenden Badetourismus - auch an der unteren Ahr eine eigene evangelische Pfarrei konstituiert, die ihrem ersten Pfarrer Pliester, derden Kirchenbau, die innere Mission und den Zusammenhalt der Pfarrgemeinde gefördert und 1880 die Errichtung eines Heimes für bedürftige Kurgäste angeregt hatte13), viel zu verdanken hatte.

Anmerkungen:

  1. Bornemann. Karl. Aus den Anfangen der ev Kirchengemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler. in. Heimat-Jahrbuch für den Landkreis Ahrweiler. Jg. 19. 1962, Ahrweiler 1961. S. 58

  2. Kreisarchiv Ahrweiler (KRAA) K 67 Koblenz 02.05.1877

  3. KRAAK67: Koblenz 02.05.1877

  4. KRAA K 67: Ahrweiler 01.06.1877

  5. KRAA K 67: Ahrweiler 01.06.1877

  6. Vgl. KRAAK67 Mayen 23.10.1872, Koblenz 22.02.1874: Ahrweiler 11.02.1874: Ruft. Theodor, Vom frühen Mittelalter bis zur Neuzeit in Archiv für deutsche Heimatpflege (Hg.), Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, 1 Aufl. Köln 1968. S, 149

  7. Vgl: Schütz. Rudiger. Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichle 1815-1945. Reihe A Preußen. Bd. 7: Rheinland, Marburg, L. 1978, S.95

  8. Rutt. Mittelalter, a. a. 0. S. 149

  9. Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) 403-10700, S 533

  10. Bornemann Anfänge, a a 0.. S 58

  11. LHAK 403-10700 S. 545

  12. Bornemann. Anfänge a. a. 0. S. 58

  13. Vgl.: Bornemann. Anfänge, a. a. 0., S. 58-59