Fossile Blattabdrücke aus derAlleröd-Zeit vor 11.500 Jahren im Brohltaltuff

Reinhard Kleinertz

Das Brohltal ist zweifellos eines der schönstens Seitentäler des Mittelrheins. Zahlreiche Besucher, von Brohl nach Maria Laach wandernd oder fahrend, rühmen seine landschaftliche Schönheit. Naturliebhaber, insbesondere Botaniker, preisen die Artenvielfalt der hier noch zahlreich vorkommenden, sehr seltenen Flora. Spezialisten unter ihnen kennen Standorte sehr seltener Flechten. Moose und Farne. Eine ausgesprochene Rarität ist das reichliche Vorkommen des immergrünen gelben Lorbeerseidelbast (Daphne laureola) im unteren Brohltal: in Deutschland ansonsten in dieser Fülle nur noch im Bodenseegebiet bekannt.

Durch den steten Wechsel verschiedener geologischer Gegebenheiten finden sich an trokkenwarmen Hanglagen angepaßte Pflanzengesellschaften mediterraner Arten wie Felsenbirne, Cotoneaster.Ligustrum. wolliger Schneeball. Berg-Johannisbeere. Wildbirne, Eisbeere und Purgier Kreuzdorn, und gleich angrenzend, in feuchten engen Tälern. Pflanzen typischer Schluchtflora- Hirschzunge, nordischer Schildfarn. Mondviole, gelbe Anemone. Blaustern und Lerchensporn.

Aber auch der landschaftlich interessierte Besucher kommt auf seine Kosten. Wer von Niederlützingen kommend kurz vor der Einfahrt auf die Brohltalstraße innehält und den Blick nach links richtet, dem bietet sich hier ein grandioser Anblick talabwärts. Beiderseits der Brohltalstraße bilden unmittelbar hinter der neuen Brücke zwei Felsrippen pfortengleich an dieser relativ engen Talstrecke den Eingang ins unterste Talgebiet vor dem Ort Brohl.

Einem riesigen Amphitheater gleich ziehen sich im Hintergrund halbkreisförmig die mit Laubwäldern bestockten Unterdevonschieferhänge in die Höhe. Zuweilen werden unbestockte Felspartien sichtbar.

 Primaerblatt.gif (44509 Byte)

Abb. 1: Primärblatt der Goldnessel (Galeobdalon luteum), Länge des Abdrucks ca. 6,5 cm.

Im gesamten Brohltal sind Reste eines vulkanischen Tuffes erhalten, der einst das ganze Brohltal ausfüllte. Dieser Tuff wurde vor etwa 11.500 Jahren in der sog. Alleröd-Zeit, einer Warmphase am Ende der letzten Eiszeit, beim Ausbruch des Laacher See-Vulkans abgelagert, als heiße Glutaschenwolken das Brohltal hinabrasten. Zuunterst lagerten sich feinkörnige Aschen ab, auch als Traß bezeichnet, und in der Nähe der Brücke bis zu 15 m mächtig, gefolgt von einer Lage feinkörniger Asche durchsetzt mit Bimskörnern.

Der Tuffstein im Brohltal wurde von den Römern als Baustein sehr geschätzt und abgebaut. Auch im Mittelalter war er in Kirchen als Gewölbestein beliebt. Seit dem 16. Jahrhundert betrieben Holländer die Traßmühlen im Brohltal. An zahlreichen Stellen wurde der Tuffstein luftgetrocknet vermahlen. Mit Kalk vermischt bildet der Traßstaub einen bei Feuchtigkeit erhärtenden Mörtel, wie er zum Deich- und Talsperrenbau benötigt wurde. Heute sind im ganzen Talgebiet nur noch einige Reste der einst mächtigen Tuffschicht an den Bergflanken und als inselartige Erhebungen sichtbar.

Entdeckung und Bergung

Aus Gründen der Verkehrssicherheit mußte im Frühjahr 1992 die Brohltalbrücke, von Brohl talauf gelegen, neu gebaut und verbreitert werden. Dadurch wurde hier auch der dem harten Devonschiefer aufliegende Brohltaltuff angeschnitten. Bekanntlich sind bei früheren Tuffabbauten in diesem Gestein bereits Reste der einst hier wuchernden Vegetation zur Zeit der ausgehenden Eiszeit zu Tage getreten. Bald entdeckte ich dann auch an einer Stelle in den von den Baumaschinen herausgebrochenen Tuffbrocken siebartige verteilte Hohlabdrücke verschieden starker Durchmesser. In größerer Zahl konnten Abdrücke ehemaliger Grasstengel, gefurcht und mit Knoten leicht erkennbar, festgestelltwerden. Zum Teil wurden auch Hohlräume von kleinen Bäumen oder Strauchästen sichtbar. Wesentlich seltener waren dagegen Stücke, auf denen Blattabdrücke erhalten waren.

Abb_2.gif (40820 Byte)

Abb. 2: Blatt des Fuchsgaiskrautes (Senecio fuchsii), Länge des Abdrucks ca. 14,5 cm

Die insbesondere an Nervatur und Rändern angebräunten bis leicht angekohlten Pflanzenreste zeugen von der Hitze während der Einbettung und heben sich auffällig und prachtvoll vom umgebenden grauen Tuffgestein ab, sind aber leider meist nur fragmentarisch erhalten. Doch es gelang mir mit Hilfe eines Vibrographen und einer Nadel einige ganze Blätter freizulegen. Alle von mir geborgenen Tuffbrocken entstammten der untersten feinkörnigen Tuffsteinlage, die sich seinerzeit auf dem damaligen Oberboden abgelagert hatte. Es handelt sich um eiszeitlichen Lößboden, darunter Verwitterungslehm über unterdevonischem Grundgestein (Gesteine des Unter-Siegens).

Bestimmung des fossilen Materials

Nach Bergung des fossilen Materials begann ich mit der Bestimmung der Blattabdrücke unter Hinzunahme von vergleichbaren Abbildungen in z.Zt. gängigen Pflanzenführern. Auf Grund der Fundlage und dem dominierenden Auftreten der Gräser mußte ich mein Augenmerk hinsichtlich einer Bestimmung der Art in erster Linie auf Bodenpflanzen richten.

Aufgrund der großen Artenvielfalt hat jeder gute Botaniker zunächst große Schwierigkeiten bei der Bestimmung der einzelnen Abdrücke, auch bei Hinzunahme guter Fachliteratur, denn es gibt ja Fälle, in denen nicht nur die Größe der aufeinanderfolgenden Blätter einerArt verschieden ist, sondern auch ihre Form. Diese Erscheinung - als Verschiedenblättrigkeit oder Hetero-phyllie bezeichnet - ist z.B. bei den Nesselarten zu beobachten.

So fand ich z.B. auf einem der Tuffbrocken Primärblätter der Goldnessel, in Größe und Form völlig anders gestaltet, als die folgenden Nachfolgeblätter, auch mehrfach gefunden auf anderen Stücken. Das Blatt in Abb. 1 gab mir zunächst auch Rätsel auf, glaubte ich zunächst an eine besondere Pflanzenart. Es ist vermutlich jedoch das zuoberst sitzende Blütenblatt der Goldnessel.

Auch haben manche Arten, die keinerlei Verwandschaft aufzeigen, die gleiche Blattform. Das „Brennesselblatt" findet man z.B. bei der Taubnessel, der nesselblättrigen Glockenblume und dem nesselblättrigen Ehrenpreis. Diese homologe Konvergenz erschwert natürlich zusätzlich die Bestimmung eines fossilen Blattes, welches meist nur, wie hier, fragmentarisch abgedrückt war. Erst der Vergleich der Blattabdrücke mit originalem Pflanzenmaterial während der Vegetationszeit von April bis Mai verschaffte mir die Möglichkeit einer genaueren Artbestimmung. Auch war dabei die Gegenüberstellung von Blattnervatur. Blattstellung und Blattrand sehr hilfreich. Manchmal half auch die Betrachtung durch das Binokular auf Teile der Blattstengelabdrücke, soweit vorhanden.

 Abb_3.gif (39306 Byte)

Ab. 3: Fragliches Blatt des Braunwurz (Scrophularia), Länge des Abdrucks ca. 8,5 cm

Pflanzenliste

Außer den Gräsern und dem einzigen Baumblatt (Grauerle) handelt es sich ausschließlich um verschiedene Bodenpflanzenarten. Die anschließend aufgeführte Liste der von mir anhand der Blattabdrücke bestimmten Pflanzen erhebt keineswegs den Anspruch auf absolute Sicherheit der angesprochenen Art. Einige der Bestimmungen sind daher auch mit Fragezeichen versehen. Eine Art konnte überhaupt nicht erkannt werden.

Abb_4.gif (40606 Byte)

Abb. 4: Blatt einer Galium-Art (Vergleichsblatt vm Waldlabkraut), Länge des Abdrucks ca. 3,0 cm.

Abb_5.gif (38615 Byte)

Abb. 5: Blätter des Weidenblättrigen Alant (Inula salincina), Länge des Abdrucks ca. 7,0 cm

1. Goldnessel (Galeobdalon luteum). Das Hauptblatt im mittleren Stengelbereich dieser Pflanze ist der am häufigsten auftretende Abdruck. Die Ei- bis Lanzettform, spitz auslaufend und gezähnt, läßt auf diese Pflanzenart schließen.   (Abb. 1)
1 a.

dto. Blütenblatt der Goldnessel. Das Stück ähnelt jedoch auch sehr einem Teilblatt des Zahnwurzes.

1 b.

dto. Primärblätter am untersten Blattstengelbereich der Goldnessel.

2.

Gamander-Ehrenpreis (Veronica cnamaedrys). Kleine gegenständige, kurzgestielte, eiförmig und gekerbte Blätter,

3.

Fuchsgaiskraut (Senecio fuchsii). Typische lanzettförmige Blätter mit einer Sagekannte. In dem Tuffabdruck ist deutlich der gefurchte Pflanzenstengel sichtbar. (Abb.) 2

4.

Braunwurz (Scrophularia)? Das Blatt ist der vorher beschriebenen Pflanzenart sehr ähnlich. Wahrscheinlich gehört es aber zum Braunwurz. die Blattkante etwas anders „gesägt" und auch die Nervatur verschieden ausgeprägt ist. Am Fossilabdruck sind deutliche Wimpern erkennbar. (Abb. 3)

5.

Bergplatterbse (Lathyrus linifolius). Deutlich sind die kleinen lanzettartig geformten, gegenständigen Blätter mit den drei Nerven erkennbar.

6.

Labkrautgewächs. Wahrscheinlich handelt es sich um das Waldlabkraut (Galium sylvaticum) mit den bekannten quiriständigen kleinen Blättern.

7.

Waldlabkraut oder Waldmeister (Galuim odoratum). Obwohl der Abdruck sehr deutlich ist, ist eine genaue Artbestimmung nicht ganz einfach. Das Blatt von Waldmeister und Waldlabkraut ist bei gleicher Größe in Form und Nervatur nicht zu unterscheiden. Auch die Anzahl der Quirlblätter kann gleich groß sein. (Abb. 4)

8.

Rauher Löwenzahn (Leontodon hispidus). Deutlich erkennbar ist die buchtige Zahnung des Blattes.

9.

Wiesenflockenblume (Centraurea jacea). Die Lanzettform des Blattes, oben ganz leicht gebuchtet, führte mich zu dieser Pflanzenart. Trotz intensiver Suche fand ich kein vergleichbar ähnliches Blatt einer anderen Art.

10.

Weidenblättriger Alant (Inula salicina). Diese Pflanze kommt im hiesigen Waldgebiet nur an ganz wenigen Stellen auf einem trockenen, warmen Lößstandort vor. Das längliche Blatt - auf dem Abdruck sind die netzartigen Nerven sehr gut sichtbar - zeigt außerdem den typischen herzförmigeh Grund und ist z.T. stengelumfassend. Auf der Unterseite dieses Tuffbrockens ist zudem des einzige tierische Fossil erhalten, ein Schnekkenabdruck. (Abb. 5)

11.

Färbermeister (Asperula tinctoria) oder Echtes Labkraut (Galium verum). Auf dem Abdruck ist nur ein Blattquirl sichtbar. Ein derart schmales, lanzettförmiges Blatt -einnervig- findet man nur an einem der beiden Pflanzenarten.

12.

Gräser. So häufig auch die Hohlabdrücke der Stengel vorhanden sind, gute Abdrücke von Halmen sind selten.

13.

Breitwegerich (Plantago major). Typisch ist die eiförmig -elliptische Blattform. (Abb. 6)

14.

? Möglicherweise gehört dieses Blatt zu einem Doldengewächs.

15.

Berg-Kälberkropf (Chaerophyllum villarsii)? Der einzige Blütenknospenfund könnte von dieser Pflanzenart
stammen. (Abb. 7)

16.

Großblättrige Wucherblume (Tanacetum macrophyllum). Auf dem Abdruck ist lediglich ein Fragment mit Teilblattern erkennbar, so daß dieser nicht absolut zu bestimmen war,

17.

Grau- bzw. Weißerle (Alnus incana). Nach langen Vergleichen - ich hatte zunächst an die Sandbirke gedacht - konnte ich aufgrund der Ei- bzw. elliptischen Form und der doppelt gesägten Kante das Blatt der Erie zuordnen.Es ist dies der einzige nachweisbare Baum. (Abb. 8)

18.

Klettendistel? Leider sind die Abdrücke nur bruchstückhaft erhalten in einem Gewirr anderer Abdrücke. Diese stammen aus dem Grenzbereich unterliegendem Boden und überlagerndem Tuff.

19.

Wiesenknautie/Witwenblume (Knautia arvensis) oder Skabiosen Flockenblume (Centaurea scabiosa). Das Bruchstück eines großen fiederteiligen Blattes war nicht genau bestimmbar.

20. ? Dieser Abdruck ließ sich nicht näher absprechen.

 Abb_6.gif (43197 Byte)

Abb. 6: Blatt des Breitwegerichs (Plantago major), Länge des Abdrucks ca. 10,0 cm

 Abb_7.gif (36375 Byte)

Abb. 7: Blütenknospen des Berg-Kälberkopfes (Chaerophyllum villarsii)?, Länge des Abdrucks ca. 5,0 cm

 Abb_8.gif (39966 Byte)

Abb. 8: Blätter des einzigenBaumes, der Weißerle (Alnus incana), Länge des Abdrucks ca. 4,5 cm.

Vegetationsbild

Trotz des untersuchten engbegrenzten Fundkomplexes ist, wie die Pflanzenliste verdeutlicht, die Artenvielfalt groß und man kann sicherlich vermuten, daß die eine oder andere Pflanzenart noch unentdeckt im Tuff verborgen ist. Es ist bekannt, daß am Ende der letzten Eiszeit ein gemäßigt-feucht kühles Klima ähnlich wie dem heutigen herrschte. Diese Epoche wird als Alleröd-Zeit bezeichnet. Bei verschiedenen Ausgrabungen in der Nähe von Miesenheim im Nettetal und Thür nahe des Laacher Sees kamen vom Bims, der auch durch den Laacher See-Vulkan gefördert wurde und das gesamte Neuwieder Becken bedeckte, verschüttete Wälder zu Tage. Deren Baumreste waren durch den luftdichten Abschluß gut erhalten. Da es sich um ehemals sehr feuchte Standorte handelte, wuchsen hier Birken, Pappeln und Weiden.

Im unteren Brohltal herrschten an der „Ur-Brohl" wahrscheinlich ähnliche Verhältnisse. Der von mir untersuchte Standort liegt jedoch leicht erhöht auf dem Ausläufer einer Felsrippe - etwa 3 bis 4 m höher als die jetzige Talsohle.

Auf Grund des starken Graswuchses und der reichlichen Bodenflora wird der Wald vermutlich an dieser Stelle sehr licht gewesen sein. Der nachgewiesenen Erle waren vielleicht noch Birke und Aspe hinzugesellt, dazu ein lichtes Unterholz.

Ein vergleichbarer Standort und ähnliche Vegetation befindet sich heute noch in den unteren Waldhängen oberhalb des Namedyer Schützenplatzes, ein typisches Halbtrockenrasen-Bio-top, hier im Brohltal auf Grund des frischen Unterhangs und der Lößauflage sicherlich gut nährstoffversorgt. Das nachgewiesene Vorkommen von Waldmeister, Labkräutern und Fuchs-Gaiskraut weisen ebenfalls darauf hin.

Der Blütenfund aus der hier vorgestellten neuen Fundstelle sowie weitere Blütenreste von anderen Fundstellen im Brohltal sind zudem Hinweise darauf, daß sich der katastrophale Vulkan-Ausbruch im heutigen Laacher See während des Frühjahrs ereignete. Eine genaue Untersuchung der geologischen Verhältnisse an dieser Stelle soll in naher Zukunft durch die Forschungsstelle Altsteinzeit des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, Museum Neuwied-Monrepos, erfolgen.

Anmerkungen zu den Abbildungen
An dieser Stelle kann nur eine kleine Auswahl der geborgenen Abdrükke abgebildet werden, im linken Teil befindet sich ieweils der Abdruck Im Traß und in der rechten Bildhälfte Vergleichsfunde aus der Umgebung des heutigen Brohltals. Die Abbildungen erstellte Frau P. Schiller (Forschungsbereich Altsteinzeit des RGZM, Museum Neuwied-Monrepos).