Remagener Schiffsorderstation hat ihren Betrieb eingestellt

115jährige Familientradition ging zu Ende

Hermann Josef Fuchs

In der Bürokanzel der Schiffsorderstation an der Remagener Rheinpromenade sind zum Jahreswechsel 1992/93 die Lichter für immer ausgegangen. Die Orderstation hat ihre Dienste aus Alters- und wirtschaftlichen Gründen aufgegeben. Moderne Kommunikationsmittel haben auch vor der Rheinschiffahrt nicht halt gemacht und die Existenz der Orderstation eingeengt. Unter anderem erhielt die Remagener Orderstation von der Post keine Genehmigung für den Rheinfunk. Die Nachrichtenübermittlung per moderner Technik macht die Orderstation überflüssig. Diese Situation gab für den heute 71jährigen Inhaber Otto Neubeck den Ausschlag, sein Dienstleistungsunternehmen aufzugeben.

Orderstationen entlang des Rheinstromes existieren nach Wegfall der Remagener Station nur noch in Karlsruhe, Worms, St. Goar und Xanten. Sie sind in erster Linie Nachrichten-übermittler für die Fahrensleuteaufdem Rhein, erfüllen darüber hinaus zugleich wertvolle Dienste im Schiffahrtsgewerbe. Die Remagener Orderstation war eine der ältesten Einrichtungen dieser Art am Rhein. Begonnen hat es mit dem Orderdienst in Remagen um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in der nahe am Rhein gelegenen Gaststätte des Schiffers Bernhard Friedsam. Die Rheinschiffer kehrten bei ihm ein, und Friedsam hielt für sie die Post bereit. 1876 starb Bernhard Friedsam. Sein Sohn Heinrich führte die Gastwirtschaft weiter und beschränkte sich nicht nur auf die Weiterleitung der privaten Schiffspost. Ab 1877 übermittelte erauch geschäftliche Anweisungen der Reedereien an ihre Schiffe und Kapitäne. Das Gasthaus "Wacht am Rhein" wurde somit zur Orderstation. Der Rheinschiffer Heinrich Friedsam war femer Eigentümer der Rheinfähre Remagen-Erpel und Inhaber der Remagener Agentur der Niederländer-Dampfschiffahrtsgesellschaft. Als sich Heinrich Friedsam zur Ruhe setzte, übergab er seinem Schwiegersohn Dr. Ludwig Noll sein Geschäft. Heinrich Friedsam starb 1926.

Telegraf und späterTelefon beschleunigten die Nachrichtenübermittlung zwischen Orderstation und Reedereien, doch wurde noch 1929 jede Order in althergebrachter Art an Bord gerudert. Das änderte sich, als Bernhard Wendt, gleichfalls ein Schwiegersohn von Heinrich Friedsam, die Orderstation übernahm. Er ließ ein Orderboot bauen und später ein Bürogebäude errichten. Mit diesen Neuerungen konnte die Orderstation ihre Möglichkeiten voll entfalten, den Reedereien, der Presse und den Schiffahrtsbehörden eine Palette Dienstleistungen anzubieten.

Bernhard Wendt war in punkto Rheinschiffahrt ein Fachmann. Schon 1911, mit 23 Jahren, hatte er die "Befähigung zum Betriebe der Rheinschiffahrt" erhalten und die Befugnis zur Führung eines Segelschiffes auf dem Rhein für die Strecke von Straßburg bis ins Meer. Im Ersten Weltkrieg konnte er zusätzlich Erfahrungen in Übersee sammeln. Im Zweiten Weltkrieg wurde das gesamte Unternehmen zerstört. Während Bernhard Wendt nach Kriegsende am gesamten Mittelrhein sich als Bergungsleiter betätigte, begann sein Sohn Heinz Wendt mit dem Wiederaufbau derOrderstation. Im Jahre 1950 konnte ein neues Büro- und Wohnhaus bezogen werden. Bernhard Wendt starb 1959, sein Sohn Heinz 1971. 1952 hatte Otto Neubeck Karin Wendt, dieTochtervonBernhardWendt, geheiratet und war in die Firma eingetreten. Über vier Jahrzehnte leitete er mit großem Wissens- und Erfahrungsschatz die Orderstation. Unterstützt wurde er bei seiner Arbeit von seiner Ehefrau Karin und den Mitarbeitern Ria und Paul Krüger. Beim Rückblick auf 40 Jahre Dienst an der Schiffahrt erinnert sich Otto Neubeck gern an die 50er bis Anfang 70er Jahre, wo er 30- bis 40mal am Tag mit dem Orderboot Nachrichten an zu Berg und zu Tal fahrende Schiffe brachte, geschäftliche Mitteilungen, Briefe mitguten Wünschen zu den Festtagen von Reedereien und Schiffseignern, frohe und traurige Familiennachrichten.

In der Folge sparte ein leistungsstarker Lautsprecher Zeit und Arbeit bei der Nachrichtenübermittlung. Leuchtete an der Orderstation ein roter Scheinwerfer auf, wußte der Rudergänger, daß eine Nachricht für ihn hinterlassen wurde. Der Schiffsmotor wurde gedrosselt und die Fahrt verlangsamt, um die Nachricht über Lautsprecher verstehen zu können. Zumeist wurde den vorbeifahrenden Schiffen mitgeteilt, wo sie die nächste Fracht aufnehmen, beziehungsweise löschen sollten. Die Verbindung zu den Auftraggebern wurde in der Regel über Telex zur Orderstation hergestellt.

Otto Neubeck hat zugleich ein Stück Rheinschiffahrts-Geschichte miterlebt, denn in den zurückliegenden vier Jahrzehnten hat sich das Bild auf dem Rhein grundlegend verändert. Da wurde zunächst die Schleppschiffahrt durch motorisierte Boote abgelöst. Die Kohle als Antriebsenergie wurde zu teuer. Der Trend geht heute nach immer größeren Einheiten. Tanker und Trockenfrachter mit einer Ladekapazität bis über 4.000 to., 110 Meter lang und 11 Meter breit, prägen heute das Bild auf dem Rhein. Groß ist der Anteil der Schubverbände und des Containerfrachtverkehrs. Deutsche, holländische und schweizerische Reedereien haben den größten Anteil an Schiffen auf dem Rhein. Zusätzlich fahren eine Reihe Privatunternehmer der verschiedensten Nationalitäten. Täglich passieren auf der Berg- und Talfahrt im Durchschnitt drei-bis vierhundert Schiffe der verschiedensten Nationalitäten Remagen. Seit Eröffnung des Main-Donau-Kanals am 25. September 1992 erweiterte sich die Rheinflotte um Donau-Schiffe, Schiffe aus Österreich, Ungarn und aus der ehemaligen Tschechoslowakei.

Otto Neubeck kennt so gut wie alle Schiffe, die zu Berg und zu Tal fahren. Er registrierte jedes Schiff mit Namen und Uhrzeit der Vorbeifahrt, ein weiterer Dienst, der statistischen Zwecken diente. Zugenommen hat im Verlauf der Jahre auch die Geschwindigkeit der Schiffe auf dem Rhein. Die schnellsten Schiffe aus den Niederlanden legen am Freitagnachmittag in Rotterdam ab und kommen Montagmorgen in Mannheim an. Dabei liegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten flußaufwärts bei 10 km/h und flußabwärts bei immerhin 25 km/h, so daß die entsprechende Rückfahrt nur wenig mehr als einen Tag dauert.

Der Kundenkreis der Orderstation stammte aus dem gesamten Einzugsbereich des Rheins und seiner schiffbaren Nebenflüsse. Die Orderstation bot ihren Kunden einen Service, der täglich fast rund um die Uhr reichte, von 5 bis 23 Uhr. Sonntag, Feiertage oder Feierabend im landläufigen Sinn gab es nicht. Selbst gegen Mitternacht ließ gelegentlich Motorengeräusch auf dem Rhein den Scheinwerter der Orderstation aufleuchten.

Nach 41 Jahren legte Otto Neubeck das Fern-und Nahglas als wichtigstes Arbeitsinstrument beiseite. In großen Lettern schrieb er auf die Panoramascheibe, für die Rudergänger gut sichtbar: "Orderstation hat den Betrieb eingestellt."