Wenn der Eisenkrämer kam

Peter Weber

Früher gab es nur einen Bruchteil der Abfallberge, die heute bereits zu Problemen in Bezug auf die Entsorgung führen und unsere Zukunft und die unserer Nachkommen belasten. Damals, als man noch nichts von organisierten Kleidersammlungen, motorisierten Eisensammlern und Sperrmüllabfuhr kannte, kam von Zeit zu Zeit der Eisenkrämer ins Dorf. Er wurde in der Mundart als „Isekräme" bezeichnet.

Für die Kinder war dies ein willkommener Anlaß, außer an den Festtagen, in den Genuß einiger einfacher Spielzeuge und lange entbehrter Schleckereien zu kommen.

Mit seinem von einem Pferde gezogenen Wagen fuhr der Eisenkrämer an seinen Standplatz in den Dörfern. In Wershofen war es unter anderem der Vorplatz der in der Dorfmitte gelegenen Pfarrkirche. Hier, zwischen den vier Linden, dem Spielplatz an der alten Schule, hielt er an und packte seine „Schätze" aus. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde im Dorf:

„De Isekräme oss do!" Das wirkte wie ein Magnet auf Alte und Junge. Was hatte man abzugeben? Was hinderte schon lange im Hofe? Schon lange hegte man Wünsche für diesen Tag. Man wußte, der Eisenkrämer hatte allerhand Wünschenswerte zum Tausch gegen Altmaterial. Geld war nicht so oft dafür zu erhalten, denn es war im wahrsten Sinne des Wortes sehr knapp, auch bei dem Eisenhändler. Und schon waren flinke Hände und Augen dabei dies und das aufzustöbern, wenn es nicht schon für diesen Fall bereit lag. Eltern und Großeltern wurden von den Kindern und Jugendlichen bestürmt, nachzusehen und auszumustern. Hatte man einige Teile zusammen, die abgesetzt werden konnten oder sollten, wurden sie sortiert und gebündelt und dann gings freudestrahlend zum Eisenkrämer.

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Waagen, wie sie der Eisenkrämer bei seinen Besuchen in Wershofen benutzte.

Bei diesen Unternehmern handelte es ich meistens um Kirmesbudenbesitzer, welche die Zeit zwischen den einzelnen Kirmesterminen und Festen nutzten, ihre Kassen aufzufrischen. Anstelle von Bargeld zahlten sie am liebsten mit den Artikeln, die sie auf Kirmessen oder an Festtagen in den Dörfern verkauften. Das war für sie in zweifacher Hinsicht vorteilhaft. Sie behielten einerseits ihr Bargeld und brachten gleichzeitig ihre Lagerbestände unter die Leute. Vor allem die Kinder, mit Geschenken nicht überhäuft, schauten eher auf Spielsachen oder Eßbares als auf Bargeld, das sie vielleicht abgeben oder sparen mußten. Sie freuten sich über ein Windmühlchen, das sich im Winde drehte, wenn sie damit in der Hand über die Straße liefen. Es gab auch Fläschchen mit roter Gummikappe, ähnlich einer Babyflasche, die mit bunten Perlen gefüllt waren. Mit süßem Inhalt gefüllte Waffeln fehlten ebensowenig wie kleine Stofftiere. Der Junge, der ein Messer eintausehen konnte und durfte, war besonders stolz darauf und trug es immer bei sich. Beliebte Tauschartikel waren auch Süßigkeiten, neben Bonbons, Lakritzen als Stangen oder als Schnekken, sogenannte Veilchenpastillen, Pfuffreis oder weiße beziehungsweise rote Würfel aus Kokos-raspel. Wer wollte, konnte auch Schreibwaren, Buntstifte etc. gegen Alteisen eintauschen. Bei dem geringen Angebot an Abwechslung, was besonders Genußmittel anbelangte, war es durchaus verständlich, daß sich alle Kinder auf den Besuch des Eisenkrämers freuten und bei dieser Gelegenheit der eine oder andere bescheidene Wunsch erfüllt werden konnte, wofür den Eltern das Bargeld fehlte. Natürlich fing das Sortieren und Zusammenlegen der Abfälle beim Eisenhändler von neuem an. Es gab ja schließlich Preisunterschiede bei den einzelnen Materialien. Und dann wurde gewogen. Mit großer Spannung verfolgten die Kinder den Zeiger an der Federwaage, mit der leichtere Waren oder kleinere Mengen gewogen wurden. Und dann gab es ja nach Gewicht oder Wert verschiedene Angebote von Seiten des Händlers. Manchem fiel die Wahl sehr schwer. Er hätte alles gebrauchen können oder gerne besessen und hatte nun die Qual der Wahl. Dabei wurden ihm von den Umstehenden lauthals Vorschläge zugerufen. Schließlich fiel die Entscheidung und der nächste Kunde war an der Reihe. So kamen auch die Zuschauer, die selber nichts anzubieten hatten, auf ihre Kosten. Die Metalle, überwiegend Eisenteile, aber auch alte Dachrinnen, Kupfer- und Zinnteile, wurden mit einer großen Waage gewogen. Am Eisenhaken der Waage wurden die gebündelten Teile befestigt und an einer waagerechten Stange ein Gewicht solange verschoben, bis die Waage ausbalanciert war. Es wurde das Gewicht festgestellt und nun begann der übliche Handel.

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Federwaage, wie sie der Eisenkrämer benutzte.

Dann war schließlich das Ende des Tauschhandels mit dem Eisenkrämer gekommen. Der verstaute seine Waren auf seinem Wagen und fuhr dann heimwärts. Im Dorf aber freuten sich vor allem die Kinder über ihre „Eroberungen" und alle diejenigen, die Zeit und Muße hatten, am Tauschhandel mit dem Eisenkrämer als Zaungäste teilzunehmen. Denjenigen, die bei der Arbeit und beim Handel mit dem Eisenkrämer nicht anwesend waren, hatte man abends etwas zu erzählen oder vorzuzeigen.