Französische Besatzungstruppen im Kreis Ahrweiler in der frühen Nachkriegszeit

Martin Hens

Ein neues Kapitel Zeitgeschichte hatte bereits begonnen als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die alliierten Besatzungstruppen und Militärregierungen ihre Macht ausübten. Auf der Gipfelkonferenz am 4. Februar 1945 in Jalta auf der Krim, die Vorstufe der Potsdamer Konferenz, wurde dem Begehren Frankreichs, eine eigene Besatzungszone zu erhalten, von den Teilnehmern Roosevelt, Churchill und Stalin stattgegeben. Der Alliierte Kontrollrat beschloß Anfang Juni 1945 die Zoneneinteilung Deutschlands und wurde Mitte Juli auf der Potsdamer Konferenz von Truman, Churchill und Stalin in einem Schlußdokument festgelegt. Die französische Besatzungszone war geboren, sie umfaßte Teile des Rheinlandes, Teile von Baden und Württemberg-Hohenzollern.

Nachdem die Amerikaner, welche den größten Teil dieses Gebietes durch erbitterte Kämpfe erobert hatten, abgezogen waren, besetzten im Juli 1945 französische Truppen unsere Heimat. Der Kreis Ahrweiler wurde zum Grenzgebiet zwischen der englischen und der französischen Zone. Die heutige Kreisgrenze zu Nordrheinwestfalen bildete damals die Zonengrenze. Die französische Militärverwaltung sperrte ihre Zone völlig von den Nachbargebieten ab. So waren beispielsweise die wichtigsten Straßenübergänge, welche in die englische Zone führten, mit Straßensperren abgeriegelt und mit Wachposten besetzt.

Kampf ums Überleben

Der Bahnhof Remagen, "Zitterbahnhof" genannt, war eine Zonengrenzkontrollstelle. Ungezählte Menschen aus den Städten der englischen Zone hatten hier das Zittern gelernt und unvorstellbare Strapazen auf sich genommen. Es waren Leute, die sich auf der Grafschaft, in der Eifel oder dem Hunsrück ein paar Pfund Kartoffeln oder Mehl gehamstert hatten, um den schlimmsten Hunger zu stillen. Sehr, sehr viele Menschen überstanden diese Grenzkontrollen nicht ungeschoren. Je nach Laune der Kontrolleure wurden den verzweifelten Menschen die mühselig zusammengebettelten Nahrungsmittel eingezogen und beschlagnahmt. Schon bei minderen Verstößen mußte mit Einsperrung gerechnet werden.

Die Personenzüge der Rheinstrecke glichen Bienenschwärme. Auf den Dächern, Trittbrettern und Plattformen zwischen den Wagen fuhren hungernde Menschen, meist Frauen mit Kindern und ältere Leute. In der gesamten Zone stellte man unweigerlich fest, daß die Franzosen die Zügel erheblich straffer angezogen hatten als vorher die Amerikaner. Wer glaubte, nach dem Einzug der Franzosen im Kreis Ahrweiler würde sich die allgemeine Wirtschaftslage bessern, wurde gewaltig enttäuscht. Statt den erhofften Erleichterungen gab es insbesondere für die zivilen Verwaltungen erhebliche Belastungen und für die Bevölkerung fast unerfüllbare Auflagen. Die kommunale Selbstverwaltung im Kreis und den Gemeinden hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil neue Männer auf ungewohnten Posten eingesetzt wurden.

Nachdem die französische Militärverwaltung des Kreises, den durch die Amerikaner'eingesetzten Landrat Ulrich verhaftet hatte, wurde Dr. Schüling am 20. August 1945 zum Landrat des Kreises Ahrweiler ernannt. In den Städten des Kreises wurden französische Stadtkommandanturen eingerichtet, beim Landratsamt ein Requisitions- und Besatzungsamt für die anstehenden Beschlagnahmungen geschaffen.

"Requirieren" hieß damals das Schlagwort, so nannte man das zwangsweise Wegnehmen fremden Eigentums. Die französischen Besatzer kamen in Begleitung von deutschen Verwaltungsangestellten, "Beschlagnahmer" genannt, in die Städte und Dörfer, um landwirtschaftliche Erzeugnisse, Immobilien, Einrichtungsgegenstände, Fahrzeuge und vieles andere zu beschlagnahmen. Es gab ungeheure Schwierigkeiten, die Ernährung der Stadtbevölkerung des Kreises sicherzustellen. Das eingerichtete Kreislandwirtschaftsamt konnte nur mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Requisitionsbefehlen der Besatzungsmacht Folge leisten. Erschwert wurde die Lage dadurch, daß die alliierten Fronttruppen und die danach folgenden befreiten Fremdarbeiter, sogenannte "Ostarbeiter", über die Eifeldörfer hergefallen waren und durch ihre Plünderungen die Habe der Bevölkerung ohnehin stark geschmälert hatten.

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"Zitterbahnhof" Remagen, 1946.

Notjahre

Die landwirtschaftlichen Betriebe des Kreises Ahrweiler konnten bis zum Jahresende 1945 die Kreisbevölkerung nur zu 50 % mit erzeugten Lebensmitteln versorgen. Obwohl noch einige Reserven aus Verpflegungslagern der Wehrmacht und Vorratsstellen zur Verfügung standen, wurde die Situation für das Kreislandwirtschaftsamt von Woche zu Woche kritischer. Mit Beginn des Jahres 1946 wurden in allen Besatzungszonen die Lebensmittelrationen drastisch gekürzt. Die Festlegung der Lebensmittelrationen für die Zivilbevölkerung in der französischen Zone erfolgte durch die Militärregierung. In jeder weiteren Zuteilungsperiode gab es weniger Nährmittelabschnitte auf den Lebensmittelkarten.

Die Zwangswirtschaft alleine machte die Hungernden nicht satt. Um nicht dem Hungertode preisgegeben zu sein, zogen ungezählte Nichtselbstversorger des Kreises über Land, um bei der Landbevölkerung Gegenstände, die nicht unbedingt zum Überleben gebraucht wurden, gegen lebenserhaltende Nahrungsmittel einzutauschen. Gruppenweise kamen Sinziger und Remagener, von Hunger und Unterernährung geplagt, ohne Tauschobjekte in die Dörfer rund um Adenau oder Nürburg. Sie kamen zu Fuß oder mit klapprigen Fahrrädern und bettelten um eine bäuerliche Mahlzeit, ein Ei oder etwas Brot.

Das Ablieferungssoll an landwirtschaftlichen Erzeugnissen wurde für die Selbstversorger immer höher angesetzt, so daß es kaum noch erfüllbar war. "Selbstbuttern" wurde unter harte Strafen gestellt. Milchzentrifugen und Butterfässerwurden verplombt oder bei Zuwiderhandlungen beschlagnahmt. Schwarzschlachtungen gehörten zu den schwersten Verbrechen und wurden mit langen Haftstrafen geahndet. Schlachtvieh, Getreide und Kartoffeln mußten bis auf einen geringen Eigenbedarf abgeliefert werden.

Auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 wurde von den Siegermächten festgelegt, daß Frankreich seine Ansprüche an Reparationsleistungen nur in der eigenen, französischen Zone geltend machen konnte. Somit begann 1946 das große Abholzen unserer Wälder. Allein in Müllenbach, meiner Heimatgemeinde, wurden im Auftrag einer französischen Holzimportfirma zwei große Waldgebiete von polnischen Holzfällerkommandos kahlgeschlagen. Mehrere tausend Festmeter Fichtenstammholz mußten so von Pferdehaltern des Dorfes an Abfuhrwege gerückt werden. Französische Militärlastkraft-fahrzeuge besorgten den Abtransport zum Bahnhof Adenau. Nach der Verladung auf Spezial-langholzwaggons ging das Requieriergut auf die Reise nach Frankreich.

Ähnlich erging es den Winzern an der Ahr sowie in anderen Weinbaugebieten. "Kahlschläge" gab es nicht nur in den Kellern der Winzergenossen-schaften, sondern auch in den privaten Weinkellern. Die Franzosen, als Weinliebhaber bekannt, beschlagnahmten alle Weinbestände in ihrer Besatzungszone. Waren die Weinfässer bis auf den letzten Tropfen leergepumpt, verfügten sie bei den eigens hierfür eingerichteten Zentralkellereien über die weitere Verwendung. Ein Großteil der Weine diente den Besatzungstruppen als Eigenbedarf, mit weiteren Mengen wurden die Holzfällerkommandos in den Wäldern der französischen Zone versorgt.

Viele andere Entbehrungen, die der Zivilbevölkerung auferlegt waren, mußten hingenommen werden. Reisen in andere Besatzungszonen waren verboten, Ausgehbeschränkungen wurden verhängt. Ausnahmen wurden nur in besonderen Fällen genehmigt. Beispielsweise wurde von der französischen Militärregierung die nächtliche Ausgangssperre an den Weihnachtstagen 1945 großzügigerweise aufgehoben, um einen Besuch der Christmetten zu ermöglichen.

Eine böse Überraschung

An dieser Stelle sei eine Begebenheit erzählt, die sich im Jahre 1946 in Müllenbach ereignet hatte. Trotz des Verbots "Öffentlicher Zusammenkunft einzelner Gruppen" und des Verbots "Absingen von Soldatenliedern" versammelten sich abends immer wieder heimgekehrte Soldaten der Wehrmacht. Auf einem Stapel Holz, Reste von Panzersperren, traf man sich an der Dortstraße, um Soldatenschicksale und Erlebnisse in der Gefangenschaft auszutauschen. Wie jeden Abend, so wurden auch diesmal Volkslieder und Marschlieder gesungen. Wir sangen das aus dem Krieg mitgebrachte Lied "Hoch auf dem gelben Wagen". Beim Schlußvers wo es heißt, "aber der Wagen, der rollt", fuhr ein französischer Militärjeep vor, worauf einige von uns in lustig abgewandelter Weise sangen, "aber der Wagen, der hält". Vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Militärpolizisten entstiegen stürmisch dem Wagen und befahlen uns, mit den Waffen im Anschlag, eine militärische Reihenaufstellung vorzunehmen. Währenddessen benutzten zwei von uns die Gelegenheit zur Flucht. Jedem der beiden folgte ein Militärpolizist und die Flüchtenden wurden rasch eingeholt. Das weitere Vorgehen der Franzosen gegenüber den Eingefangenen war alles andere als human. So wurden sie erbarmungslos mißhandelt und verprügelt. Da wir uns nicht ausweisen konnten, wurden wir mit Fußtritten traktiert und in Einerreihe zum Hof des Ortsbürgermeisters getrieben. Nachdem der Bürgermeister die Franzosen beschwichtigt hatte und uns alle als brave, offiziell aus der Kriegsgefangenschaft entlassene Dortbewohner ausgewiesen hatte, durften wir den Heimweg antreten.

Neuanfang

Schon im Sommer 1945 wurden von der Militärbehörde auf Vorschlag deutscher Stellen im gesamten Kreis Ahrweiler Polizeistationen eingerichtet. Hiertür wurden nur politisch unbelastete ehemalige Polizeibeamte, Gegner des Naziregimes sowie ehemalige Berufssoldaten der Wehrmacht in den Polizeidienst eingestellt. Einige Erleichterungen für die Kreisbevölkerung brachte Ende 1945 eine Umbesetzung der französischen Kreiskommandatur. Mit Landrat Dr. Schüling wurden vernünftige Besprechungen geführt und das Verhältnis zu den französischen Dienststellen verbessert. Im Frühjahr 1946 konnten erstmals nach dem Kriege politische Parteien ihre Tätigkeit aufnehmen. Der politische Neubeginn setzte im Kreis Ahrweiler wie auch in anderen Kreisen sehr zaghaft ein. Nicht nur das Mißtrauen der Besatzungsmacht, sondern auch eine tiefsitzende politische Apathie der durch den Nationalsolzialismus irregeführten und nun bitter bezahlenden Bevölkerung erwies sich als schwerwiegendes Hindernis beim Neubeginn.