Ein Leuchtturm am Rhein für den AW-Kreis

Der weite Weg zur Gründung der Fachhochschule

Rainer Schanno

Es ist ein weites Feld am Rhein in Remagen, auf dem die Fachhochschule ab 1998 starke Impulse weit in und über den Landkreis Ahrweiler hinaus senden soll. Seit September 1995 sind die Grundlagen festgezurrt: Konzept, Standort und die entscheidende Finanzierung. Bis dahin war es ein weiter Weg, kompliziert dazu. Ohne den Bonn-Berlin-Beschluß gäbe es keine FH im AW-Kreis, ohne „AW für Bonn" auch nicht.

Zu den Anfängen

Der Tag im Sommer 1991 nahte unaufhaltsam, an dem der Bundestag die Entscheidung über den Sitz von Parlament und Regierung in Bonn oder Berlin treffen sollte. Vorsorglich wurde Ausschau gehalten nach Alternativen für die Region Bonn. Seit Anfang 1991 arbeiteten im Auftrag der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises sechs hochkarätige Experten an einem Strukturgutachten, das die Wege zu einer optimalen Entwicklung der Region Bonn/Rhein-Sieg aufzeigen sollte. Im gemeinsamen Bericht der Bundesminister des Inneren, der Finanzen und fürstädtebau über Kompensationsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Sitz von Parlament und Regierung (vom Mai 1991) werden erfolgversprechende Ansätze für Ausgleichsmaßnahmen primär bei Verwaltung, Wissenschart und Forschung gesehen - auf enge Einpendlerbeziehungen mit dem Umland", insbesondere Rhein-Sieg-Kreis, Kreis Euskirchen, Kreis Ahrweiler wird hingewiesen. Auch der Kreis Ahrweiler hatte aufgemerkt, erkannt, daß seine optimale Entwicklung eng von dem Verbleib der Bundestags- und Regierungseinrichtungen mit zahlungskräftigen Lobbyisten, Verbänden und Medien in Bonn abhing. In seinem grünen Vorgarten regte sich Kampfgeist. Auf Initiative der CDU kam es zu einer überparteilichen Allianz „AW für Bonn". MdL Wilhelm Josef Sebastian setzte sich energisch an die Spitze der AW-Bewegung. MdB Karl Deres engagierte sich bei den CDU/CSU Bundestagsabgeordneten. MdB Hans Wallow wirkte zusammen mit dem Bonner MdB Horst Ehmke erfolgreich in vorderster Linie der SPD-Bundestagsabgeordneten, MdB Dr. DieterTho-mae kämpfte in der FDP-Fraktion für Bonn. Landrat Joachim Weiler (CDU) half mit Hilfe der Kreisverwaltung Ahrweiler der AW-lnitiative für Bonn. Weiler sah aber auch weiter als bis zum Tag X, knüpfte und erweiterte die Kontakte mit der Bonner Stadtspitze. Sichtbar wurde das Engagement aller aus dem Kreis Ahrweiler bei starken Kundgebungen und Demonstrationen. Am 20. Juni 1991 im Bundestag - der Ahrweiler Landrat Weiler und der Bonner Oberstadtdirektor verfolgten nebeneinander auf der Besuchertribühne die historische Debatte - fiel das knappe Votum gegen Bonn als Bundeshauptstadt aus. Als Bundesstadt mit einigen Ministerien und zusätzlichen Behördeneinrichtungen sollte Bonn bestehen bleiben, der Verlust von hochwertigen Arbeitsplätzen ausgeglichen werden. Dadurch gewann die Arbeit der Gutachter für eine alternative Entwicklung der Region Bonn außerordentliche Aktualität und Bedeutung. Und das kam blitzschnell dadurch zum Ausdruck, daß die Gutachter - unter ihnen Professor Dr. Helmut Breuer (TH Aachen) und Professor Peter Zlonicky (Uni Dortmund) - in drei ganztägigen Sitzungen am 21. Juni, sowie am 2. und 9. Juli 1991 gemeinsam mit den Verwaltungsspitzen der Stadt Bonn, des Rhein-Sieg-Kreises -und siehe da - des Kreises Ahrweiler in der „Lenkungsgruppe Region Bonn" Entwicklungsziele für eben diese Region entwickelten. Der Landkreis Ahrweiler war drin in dieser erlauchten Planungsgruppe - und mit dabei in der kleinen Runde der Bundeshauptstadtgeschädigten rund um den Bundesausgleichstopf.

Das erste Ergebnis der Lenkungsgruppe: Die „Entwicklungsziele für die Region Bonn/Rhein-Sieg und den Kreis Ahrweiler" vom 12. Juli 1991 nennen als „ausbaufähige Ansätze" der Wachstumsbranche Forschung und Entwicklung die „Einrichtung von Fachhochschulen" in Verbin-gung mit Gewerbeflächen für fachorientierte Forschungseinrichtungen (Nutzung des spinoff). Da taucht sie auf im Konzept, die Fachhochschule. Und noch etwas Neues taucht auf:

„Bei dem angestrebten Ausbau von Einrichtungen zur Förderung des Technologietransfers in Bonn müssen auch die angrenzenden Gebiete im Land Rheinland-Pfalz berücksichtigt werden und die notwendige Infrastruktur für die Ansiedlung von technologieorientierten Einrichtungen und Unternehmen erhalten. Dazu gehört vor allem die Schaffung eines Technologieparks, in dem universitätsnahe, technologisch ausgerichtete Institute und mit den Hochschulen zusammenarbeitende Unternehmen angesiedelt werden sollten. Als Standort bietet sich z. B. die Gemeinde Grafschaft an, die unmittelbar an Bonn angrenzt und noch über Industriegelände verfügt. Dieses Vorhaben sollte mit der Einrichtung eines Technologiezentrums verbunden werden. Die Investitionskosten sind auf insgesamt 30 Millionen Mark zu veranschlagen." Diese Aussage stammt aus den „Leitlinien der Mainzer Landesregierung für die Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Verlagerung" des Regierungssitzes Bonn vom S.September 1991. Planungsvorstellungen entwickelte bereits im Juli '91 die Kreisverwaltung Ahrweiler; der Kreisausschuß stimmte ihnen Anfang August zu. In „Planerischen Überlegungen zur strukturellen Entwicklung des Landkreises Ahrweiler" von Anfang 1992 wird dann erstmals die Kombination FH/TP/TZ ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt „der Schaffung hochwertiger technologieorientierter Arbeitsplätze" spezifiziert: „Die ideale Kombination an einem Standort wäre die Ansiedlung einer Fachhochschule, Errichtung eines Technologiezentrums und eines Technologieparks." Staatssekretär Franz Kroppenstedtvom Bundesinnenministerium rät zu „diesem tragenden Vorhaben".

Genau das schwindet Kommunalpolitikern und Öffentlichkeit erst einmal aus dem Sinn. Soforthilfemaßnahmen des Bundes über 212,5 Mio. Mark - MdB KarIDeres (CDU) wirkt im Haushaltsausschuß des Bundestages entscheidend mit - wecken das Interesse an schnellen, kurzfristigen Projekten. Die Stadt Bonn, der Rhein-Sieg-Kreis und das Land Nordrhein-Westfalen sowie der Kreis Ahrweiler verhandeln über die Einrichtung von Fachhochschulen. Die Mainzer Regierung erklärt am 31. August 1992 gegenüber dem Landtag, daß eine „Fachhochschul-abteilung Bad Neuenahr-Ahrweiler" für die Wissenschafts- und Forschungsregion Bonn angemeldet ist.

Jetzt wird es ernst. Damit hat das Land als gesetzlich bestimmter Träger von FHs seine Bereitschaft bekundet, grundsätzlich die laufenden Kosten einer solchen Einrichtung zu tragen. Andererseits ist klar, wenn es eine Ausgleichsmaßnahme sein soll, dann ist zuerst der Bund gefragt, eine dicke Investition als lange Starthilfe. Die Arbeitsgruppe „Fachhochschulen" beim Bund legt am 7. Dezember 1992 ihr „Konzept zur Errichtung einer FH Rhein-Sieg sowie einer Abteilung Bad Neuenahr-Ahrweiler derFH Rheinland-Pfalz" vor. Das erste Konzept geht von 1500 flächenbezogenen Studienplätzen, alterdings ohne technologische Fächer, aus. Dem Bund liegt die komplette Version für eine FH im Kreis Ahrweiler vor; „Personell, strukturell und finanziell ausgearbeitet", erklärte im Juli 1993 Staatssekretär Harald Glahn vom Wissenschaftsministerium in Mainz. Was jetzt noch fehle, seien Gelder vom Bund, meinte Staatssekretär Ernst Eggers in Mainz.

Und es ging hart zur Sache, hinter den Kulissen, um die Finanzierung aus dem Ausgleichstopf. „Die Grundsatzentscheidung für eine FH im Kreis Ahrweiler ist gefallen", verkündete Landrat Weiler am 14. Januar 1994 nach dem Spitzengespräch vom selben Tag in Bonn bei Bundeskanzler Helmut Kohl. Dort war die Ausgleichssumme von 2,8 Milliarden Mark für die Region Bonn festgelegt worden. Wieviel davon für die FH im AW-Kreis abfällt, darum geht das Ringen. Der Mainzer Wissenschaftsminister Prof. Jürgen Zöllner rechnet im Januar mit reinen Investitionskosten von 70 Millionen Mark. Das Studienkonzept soll um technologische Fächer ergänzt werden, wie auch der damals designierte Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, später bestätigte. Als Baubeginn avisiert Zöllner das Jahr 1996, im Jahr 2004 soll die AW-FH, Unterabteilung der FH Koblenz, voll in Betrieb sein. Jetzt ging es richtig hart zur Sache auf mehreren Feldern gleichzeitig und vorrangig um die Finanzen. Die Arbeitsgruppe Bonn beim Bund einigte sich darauf, 700 Mio Mark aus dem Ausgleichstopf für die FHs Rhein-Sieg - Standort Rheinbach und Sankt Augustin - und Ahrweiler bereitzustellen. „Das Tauziehen um das Geld für die FH ist beendet", verkündete der GA am 8. Juni 1994. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz teilten auf: 515 für die zweiteilige FH Rhein-Sieg, 185 Mio Mark für die FH Ahrweiler. Am 29. Juni wird die Gesamtvereinbarung über den Ausgleichstopf unter Dach und Fach gebracht.

Die Standortfrage

Zunächst, im Januar1994, scheint es selbstverständlich zu sein, daß die FH nach Bad Neuen-ahr-Ahrweiler kommt, der Technologiepark auf die Grafschaft, die schon handfeste Voraussetzungen geschaffen hatte. Sinzig erkennt eine Chance, und auch Remagen ist plötzlich zur Stelle. Ein harter Kampf der Kommunen mit Gutachten, Präsentationen und Klinkenputzen in Mainz findet rund um den Kommunalwahlkampf statt. Die Mainzer besichtigen die vier Standorte, erörtern und verhandeln - auch beim Standort geht es nicht zuletzt ums Geld. Bad Neuenahr-Ahrweiler und die Grafschaft, Sinzig und Remagen als „gemeinsames Mittelzentrum" schließen sich jeweils zusammen. Im Dezember will Mainz den Druck zur Standortentscheidung aus dem AW-Kreis mindern. Die FH und das Technologiezentrum kommen an die Rheinschiene, nach Remagen oder Sinzig, heißt es am 13. Dezember '94 in Mainz. Der Technologiepark soll auf die Grafschaft. Mit maßgeblich für den FH-Standort Remagen/Sinzig ist laut Zöllner, daß dort der Grunderwerb lediglich ein bis zwei Millionen Mark koste, in Bad Neuenahr-Ahrweiler hingegen 15 Millionen Mark.

Jubel in Remagen und Sinzig, Enttäuschung in der Kreisstadt und Skepsis auf der Grafschaft, ob ein Technologiepark ohne enge räumliche Anbindung an die FH überhaupt realistisch sei. Jetzt wetteifern die einst „feindlichen" Brüder, dann Partner und jetzt wieder Konkurrenten Sinzig und Remagen um die FH. Bürgermeister Norbert Hesch von der CDU, gut bekannt mit Ministerpräsident Beck (SPD), und Lorenz Denn, als Sozialdemokrat ein roter Tupfer im schwarzen Kreis. Mainz hält still, bis zum 17. Mai 1995. „Neuer Standort der Koblenzer Abteilung der Fachhochschule im Landkreis Ahrweiler ist Remagen", erklärt Minister Zöllner am 16. Mai in Mainz. Das Technologie-oder Gründerzentrum werde in Sinzig angesiedelt. Bekräftigt wird das Vorhaben Technologiepark auf der Grafschart. Ein unerwartetes Bonbon, das zunächst der Stadt noch nicht auf der Zunge zergeht, gibt es für Bad Neuenahr-Ahrweiler: die Ansiedlung einer Europäischen Akademie für Technikfolgenabschätzung.

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Standortsuche für die FH: Landrat Joachim Weiler und Wissenschaftsminister Prof. Jürgen Zöllner.

Das Fächerkonzept der FH

Im März '94 kündigt Zöllner den Gründungsausschuß an, der unter Vorsitz des Abteilungsdekans (Rektor) der Koblenzer FH, Prof. Helmut Schäfer mit starken Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik entsteht: aus dem AW-Kreis mit Winfried Ambrosy (verstorben am 29. August 1995), Gerd Distelrath und Joachim Weiler sowie aus der Studentenvertretung mit Sabine Bruder. Die Gesundheitsregion soll beim Fächerkonzept miteinbezogen werden, Holzbautechnik und ökologischer Landbau sind vorrangige Wünsche aus dem Kreis. „Brot- und Butterfächer plus eigenes Profil" gibt Staatssekretär Glahn im August als Richtlinie des Landes aus. Und erklärt, daß die FH abgespeckt wird auf 1000 Studienplätze, davon 400 für kostenaufwendige, hochwertige technologische Fächer. Auf 120 bis 130 Mio. Mark werden die Investitionskosten geschätzt für den „Leuchtturm der Region", für den laufenden Betrieb in der Gründungsphase bis 2004 blieben rund 53 Millionen Mark.

Der Gründungsausschuß kommt zu einem weitgehend einhelligen Vorschlag. Der wird im Mai '95 von Zöllner vorgestellt. Folgende Studiengänge sind vorgesehen:

Grundsätzlich begrüßt wird die Fächerauswahl, paßt sie doch in das derzeitige und geplante Umfeld des AW-Kreises, so Landrat Weiler. Die Logistik hat praktische Spezialisten im Materialamt des Heeres in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Medizintechnik greift in der Gesundheitsregion. Das Fächerprofil wird auch vom engagierten und kenntnisreichen Vorsitzenden des FH-Förderkreises und Mitgliedes im Gründungsausschuß, Winfried Ambrosy, für richtig gehalten.

Das Konzept

Ein detailliertes Konzept legt Zöllner Anfang Juni dem Wissenschaftsrat beim Bund vor. Für das Gelände mit Neubau werden knapp 12000 Quadratmeter Nutzfläche angesetzt, eine Grundfläche von zirka acht Hektar. Die Summe aller Investitionskosten einschließlich Grunderwerb und Planung werden auf 94 Millionen Mark (Basis 1993) berechnet. 49 Professoren sollen hauptamtlich lehren, weitere Stellen für Assistenten und Verwaltung kommen hinzu. Baubeginn ist auf Anfang 1997 avisiert. Der Studienbeginn in Remagen ist für das Wintersemester 1998/99 mit den Studiengängen Gesundheitsund Sozialwirtschaft sowie Physikalische Technik und jeweils 30 bzw. 50 Studienanfängern vorgesehen. Bei einem vollen Ausbau im Jahre 2002 sollen dann jährlich zirka 285 Studienanfänger aufgenommen werden.

In heißer Diskussion ist eine vorzeitige Aufnahme des Studienbetriebes, wie es in Rheinbach und Sankt Augustin in diesen Tagen demonstriert wird. Landrat Weiler spricht sich für einen frühen Studienbeginn in provisorischen Räumen aus, auch Prof. Schäfer tendiert dazu. Der eigentliche Grund ist die Befürchtung, daß die innovativen und sehr gefragten Fächer, wie Gesundheitswirtschaft, von neuen FHs im Osten oder anderswo besetzt werden könnten, die FH Ahrweiler damit zu spät kommen könnte. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz setzt anders als Nordrhein-Westfalen auf größere Attraktivität der zukünftigen FH in einem Neubau und mit hochwertigen, ausgereiften Studiengängen. Dafür will sich das Wissenschaftsministerium die notwendige Zeit nehmen, zumal in Mainz auch die neuen FH-Standorte in Zweibrücken und im Kreis Ahrweiler errichtet werden, „zeitliche Entzerrung".

Die Stadt Remagen ist zur Zeit dabei, das vorgesehene FH-Gelände vollständig zu erwerben. Wie der Neubau einmal aussehen wird, auch darüber wird noch diskutiert. Ein Holzbau soll es sein, wird von vielen Verantwortlichen aus dem AW-Kreis gefordert. Eine FH in Holz, das könnte sich auch Zöllner vorstellen.

Landrat Joachim Weiler sieht „enorme wirtschaftliche Impulse und erhebliche Investitionsmöglichkeiten" allein schon durch den Bau des 100-Millionen-Projekts mit weiteren Folgebauten. Weiler: „Die FH ist der Kernpunkt des Strukturwandels für den ganzen Kreis Ahrweiler."