Zur Problematik der "Staatspfarrer" im Kulturkampf -
dargestellt an den Beispielen der Pfarrer Johann Allard (Ramersbach) 
und Hermann Kierig (Rech)

Dr. Wolfgang Dietz

 Kulturkampf

Vor gut 120 Jahren erreichte die ideologische und machtpolitische Auseinandersetzung zwischen der Regierung Bismarcks und der katholischen Kirche in Preußen bzw. im Deutschen Kaiserreich - Kulturkampf genannt - ihren Höhepunkt. Hatte die katholische Kirche 1864 im Syllabus errorum den Liberalismus als verderbliche Ideologie gebrandmarkt und seit dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870 Klerus und Laien in Deutschland auf ein zentralistisches. voll auf Rom fixiertes Kirchenregiment festzulegen gesucht, so überschritt der liberal dominierte Staat bald die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit, indem er mit harten Sanktionen auch in die innerkirchliche Sphäre eingriff und dabei zunehmend auf Methoden polizeistaatlichen Terrors verfiel.

Verglichen mit den Maigesetzen der Jahre 1873 und 1874 sowie der daraus resultierenden Sperrung und Ausweisung zahlreicher Geistlicher wird einem Folgephänomen des 1875 erlassenen Gesetzes über die Einstellung der Zuschüsse aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen im preußischdeutschen Kulturkampf deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt: der Problematik der sogenannten "Staatspfarrer''. Daher soll in diesem Beitrag am Beispiel der Pfarrer Johann Allard und Hermann Kierig das Verhalten dieser Gruppe von Geistlichen gegenüber den staatlichen Kampfmaßnahmen exemplarisch beleuchtet werden.

"Staatspfarrer"

Nach den vorangegangenen Schritten des Staates (Aufhebung der Katholischen Abteilung im Kultusministerium/1871. dem Jesuitengesetz/ 1872 sowie den Anstellungs- und Vorbildungsgesetzen für katholische Geistliche von 1873 und 1874 sah der bisher noch verschont gebliebene Kern des Pfarrklerus der Anwendung des am 22.4.1875 verkündeten "Brotkorb"-Gesetzes mit gemischten Gefühlen entgegen.

"Insbesondere waren die Geistlichen darauf gespannt, zu erfahren, von welchen unter ihnen die Regierung annehme, daß sie die Gesetze befolgten, und welchen sie deshalb das Gehalt weiter auszahlen werde. Lebhaft wurde die Frage erörtert, ob ein Pfarrer, dem das Gehalt ohne sein Zutun ins Haus geschickt werde, dasselbe als ihm rechtlich zustehend ruhig behalten könne, oder ob er ausdrücklich erklären müsse, daß er die Maigesetze nicht anerkenne."1)

Die verbreitete Unsicherheit wurde noch vergrößert durch die bewußt schwammig gehaltenen Ausführungsbestimmungen vom 3.5.1875. Darin führte Kultusminister Adalbert Falk u.a. aus, daß in den von der Temporaliensperre2) betroffenen Sprengeln die Bistümer, deren Institute sowie die Geistlichen "keinerlei Unterstützung mehr aus allgemeinen Staatsfonds oder den unter dauernder Verwaltung des Staats stehenden besonderen Fonds bewilligt werden. sofern sie nicht vorab durch ausdrückliche oder stillschweigende Willensäußerung (§ 6 Absatz 1. und 2.) sich verpflichtet haben, die Gesetze des Staates zu befolgen, und gilt dies sowohl von den im Amt befindlichen, als auch von den emeritirten unddemehtirten Geistlichen. "3) Denn wie sollte eine stillschweigende Willensäußerung erfolgen? Was sollte der im Prinzip unstrittige Passus "Gesetze des Staates", wenn damit nicht unausgesprochen allein die Kulturkampfgesetzgebung gemeint war? Und schließlich die verschiedentlich geübte Praxis. Gehälter oder Gehaltszuschüsse weiter an für staatstreu gehaltene Empfangsberechtigte zu zahlen?

Da der Trierer Bischof Eberhard die Annahme des solcherart zugestellten Geldes auf Befragen zunächst für unbedenklich erklärt hatte, nahmen einige Pfarrer das ihnen in manchen Fällen von Bürgermeistern und Landräten geradezu aufgedrängte Staatsgehalt weiter an:

"Trotzdem rief die Annahme des Gehaltes Mißtrauen im Klerus und Volke gegen die Empfänger hervor. Dazu kam, daß die Entscheidung des Bischofs allmählich entstellt wurde"4), woraufhin sich Trier zur generellen Weisung genötigt fand, von den Pfarrern die bedingungslose Ablehnung der Staatsleistungen zu verlangen. Damit sah sich der Pfarrklerus vor die unangenehme Alternative gestellt, entweder in Solidarität mit seinen Bischöfen ohne Staatsgehalt und ohne alle sonstigen staatlichen Leistungen ein kümmerliches Dasein zu fristen, oder aber -um der materiellen Sicherheit willen - sich in Gegensatz zu den eigenen Oberhirten zu bringen und seinen Frieden mit dem Staate zu machen. Wenn er sich bis auf wenige Ausnahmen für ersteres entschied und keine staatlichen Leistungen mehr annahm, so geschah dies sowohl aus Loyalität seiner Kirchenleitung gegenüber, als auch aus der Überzeugung heraus, auch unter Opfern die Selbständigkeit der katholischen Kirche zu behaupten. Nicht unerheblich für die Entscheidung dürfte auch die Rücksichtnahme auf die Haltung der Pfarrkinder und eine künftige gedeihliche Seelsorge gewesen sein, riskierte man mit der Annahme des Staatsgehaltes doch Widerstände und einen Vertrauensverlust bis hin zur Isolierung in der eigenen Pfarrei und der Abwanderung der Parochianen (= Pfarrangehörigen) in eine noch besetzte Nachbarpfarrei.5)

Unter diesen Umständen wird es auch verständlich, daß sich innerhalb der preußischen Monarchie von insgesamt etwa 4.000 betroffenen, noch vormaigesetzlich angestellten römisch-katholischen Priestern insgesamt nur 24 für die Annahme des Staatsgehaltes um den verlangten Preis entschieden.6)

Für den Bereich des Regierungsbezirkes Koblenz schwanken die Angaben über die Zahl dieser sogenannten Staatspfarrer je nach Zählgrundlage und Stichtag beträchtlich. Während das Bistumsarchiv Trier in seinem Sprengel 12 "Staatspfarrer" zählt, von denen drei, nämlich Joseph Bonfig (Ulmen), Johann Allard (Ramersbach) und Valentin Pesch (Polch), im Bereich des Regierungsbezirks Koblenz amtierten, 7) sind den amtlichen Unterlagen des Oberpräsidiums 6 solcher Pfarrer geführt, nämlich:8)

 Staatspfarrer (30.12.1876)

1 Allard, Johann Ramersbach Ahrweiler
Bonfig, Joseph  Ulmen  Cochem 
Fergen, Johann  Mertloch  Mayen 
4 Ferres, Peter J. Schnorbach Simmern
5 Pesch, Nikolaus Lind Adenau
6 Pesch, Valentin Polch Mayen

Die "Staatspfarrer" aber verhielten sich keineswegs alle gleich, so daß eine Differenzierung nach dem Grad ihrer Anerkennung der und Unterwerfung unter die Forderungen des Staates vorzunehmen ist.9)

Als harter Kern der sich bedingungslos auf die Seite des Staates stellenden Geistlichen haben zweifellos die Pfarrer Joseph Bonfig von Ulmen, Valentin Pesch von Polch und Johann Allard von Ramersbach10) zu gelten.

 Johann Allard, Ramersbach

Anders als bei den meisten anderen "Staatspfarrern" handelte es sich bei Allard um einen vergleichsweise jungen Geistlichen, der nach 5jähriger Kaplanszeit in Kaifenheim, Kröv und Adenau sowie einem Vikariat in Auel in Ramersbach seine erste Pfarrstelle fand. Geboren am 17.9.1838 in Müllenbach und zum Priester geweiht am 25.8.1866, wurde Allard am 23.10.1871 zum Pfarrer erhoben.11)

Über dessen Einsetzung in Ramersbach informierte der Trierer General-Vikar Dr. Philipp de Lorenzi den Landrat in Ahrweiler mit Schreiben vom 30.10.1871 wie folgt: "Dem Königlichen Landratsamte beehre ich mich hiermit erge-benst anzuzeigen, daß der bisherige Caplan zu Adenau, Johann Allard, zum Pfarrer von Ramersbach ernannt seine neue Dienststelle am 24. dieses Monats angetreten und daß er von diesem Tage an das mit derselben verbundene Diensteinkommen zu beziehen hat. (...)"12)

Als nun das Brotkorbgesetz dessen staatliche Komponenten in Wegfall brachte, reichte Allard - wie Bonfig - der Bezirksregierung in Koblenz seine Ernennungsurkunde zur Kenntnisnahme ein, um damit seine besondere Staatstreue zu unterstreichen und so für seine'Person eine Aufhebung der allgemein verhängten Tempora-liensperre zu erwirken.13)

Darüber hinaus sandte Allard dem Oberpräsidenten am 28.6.1875 die nach § 6 des Gesetzes vom 22.4.1875 vorgesehene Erklärung zu, des Inhalts, daß er, nachdem die Bischöfe nicht bereit seien, dem § 2 des Gesetzes zu entsprechen, sich-verpflichtet fühle, "die Erklärung abzugeben, daß nach (s)einer innigsten Überzeugung, Vaterlandsliebe und Vernunft (ihm), wie jedem Staatsunterthan die heilige Verpflichtung auferlegten, allen Staatsgesetzen willigen Gehorsam (zu) leisten."14)

Die Loyalitätserklärung Allards war denn auch so weitgehend, daß der zuständige Amtsbürgermeister Schissei von Königsfeld in seinem Erfahrungsbericht über die "Einstellung resp. Wiederaufnahme der Leistungen aus Staatsmitteln für katholische Geistliche" dem Landrat von Groote15) in Ahrweiler am 2.7.1875 u.a. folgendes mitteilen konnte: "Der Pfarrer Allard hat fortwährend nicht nur für sich die Staats-Autorität und das Gesetzgebungsrecht des Staates anerkannt, sondern als ein Gebot Gottes sowohl im alten wie im neuen Bunde zur evangelischsten Pflicht gemacht. Derselbe warnt seine Untergebenen vor der verwerflichen Aufhetzerei der Heißsporne in deren Preßerzeugnissen und hat es dahin gebracht, daß in seiner Pfarrei kein staatsfeindliches Blatt gehalten wird, was umso schwieriger war, als in den angrenzenden Pfarreien Heckenbach und Blasweiler auf dringendes Anrathen des Pfarrers Leinen in Niederheckenbach das in Trier erscheinende Paulinus-Blatt in 326 Exemplaren gehalten wird."16) Pfarrer Leinen von Niederheckenbach und Pfarrer Hartmann von Blasweiler waren etwa gleichaltrig wie Allard und wohl seine ehemaligen Seminarkollegen. Da beide Allards kirchenpolitische Einstellung nichtteilten bzw. mißbilligten, und alle drei in unmittelbarer Nachbarschaft amtierten, blieben Spannungen nicht aus. Ja, mit Pfarrer Hartmann geriet er direkt aneinander. In seiner Eingabe vom 26.5.1876 hatte sich Allard gegen seinen Nachbarn beschwerdeführend an die Koblenzer Bezirksregierung gewandt, die daraufhin erwog, ob gegen Hartmann "der gegen Allard agitirt und ihn einen Abgefallenen nennt",17) von Amts wegen eingeschritten werden solle.

Nach eingehender Prüfung der Sachlage, Einholung eines Situationsberichts des Landrates und in Abstimmung mit dem Oberpräsidium beschied die Regierung in Koblenz den Beschwerdeführer Allard dahin, daß trotz aller bisherigen Stimmungsmache "vor Beibringung weiteren Belastungsmaterials gegen p. Hartmann nicht eingeschritten werden könne".18) Auch der Erfolg der Aktion gegen das Paulinus-Blatt dürfte nur von begrenzter Dauer gewesen sein, stieß doch Allard mit seiner staatskonformen Haltung in der Folge auf den massiven Widerstand der ihm anvertrauten Pfarrangehörigen.

Nicht nur, daß die Bevölkerung von Ramersbach - Zivilgemeinde und katholische Kirchengemeinde waren hier personell deckungsgleich19) - den "Staatspfarrer", der das Staatsgehalt angenommen hatte, weitgehend mied, die Kinder nicht zur Schulmesse schickte und die jeweiligen Lehrer schließlich vor dem geschlossenen Widerstand von Eltern und Schülern kapitulierten,20) auch die Regierung sah sich veranlaßt, Allard zu bremsen. Auf seine Forderung nach strengerer Ahndung des faktischen Schulmessen-Boykotts beschied sie ihn, daß über die erzieherisch-disziplinarischen Mittel der Schule hinaus von "der Stellung von Strafanträgen (...) bei der Polizeigewalt (...) Abstand zu nehmen"21) sei.

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Die alte Ramersbacher Kirche.

Auch sonst wurde keine Gelegenheit ausgelassen, den Graben zwischen Pfarrer und Gemeinde weiter zu vertiefen. Als taugliches Objekt erwies sich hier u.a. auch der Ramersbacher Friedhofsbrunnen, über dessen Nutzungsrechte sich zwischen Allard und der Zivilgemeinde Ramersbach ein jahrelanger Streit entspann, in den sich schließlich Landrat von Groote einzugreifen veranlaßt sah. Mit seinem Schreiben vom 5.4.1882 beauftragte er den Königsfelder Amtsbürgermeister Schissel damit, "den Schlüssel zu dem Schlosse des fraglichen Brunnens zu Ramersbach von dem Gemeindevorsteher Bockshecker einzufordern, einen zweiten Schlüssel zu dem Schlosse des Brunnens auf Kosten der Gemeinde Ramersbach anfertigen zu lassen und diesen dem Pfarrer Allard zu Ramersbach einzuhändigen."22) Ortsvorsteher Bockshecker aber war auch durch den ihm im Auftrage des Landrates von Bürgermeister Schissei erteilten Verweis nicht sonderlich zu beeindrucken. Vielmehr ließ er den inzwischen zugunsten Allards von Amts wegen aufgebrochenen Brunnen ohne sichernde Abdeckung, was ihm eine baupolizeiliche Anzeige des Gendarmen Schiller nach § 307,12 StGB (Übertretungen: unverdeckte Gruben, Brunnen etc.) einbrachte23) und den Bürgermeister Schissei am 26.4.1882 zu der ulitmativen Aufforderung ver-anlaßte, Bockshecker habe die Türe instandsetzen und den Brunnen entsprechend absichern zu lassen. Das Schreiben endete mit den Sätzen: "Sie haben hierfür umgehend Sorge zu tragen und mache ich Sie hierfür speciell verantwortlich. Ich spreche die Erwartung aus, daß die Reiberei der Gemeinde gegen den Pfarrer Allard endlich aufhört. "24)

Durch die Annahme des Staatsgehaltes hatte sich Allard jedoch nicht nur den Unwillen seiner Pfarreingesessenen und seiner benachbarten Amtsbrüder zugezogen, sondern sich mit seiner Erklärung natürlich auch gegenüber seiner vorgesetzten geistlichen Behörde, dem Bischof bzw. dem Generalvikariat in Trier selbst ausmanövriert, zumal er auch noch staatliche Stellen für seine Zwecke zu instrumentalisieren versuchte.25)

Doch auf seine in Koblenz vorgetragenen Beschwerde wegen Amtskränkung durch Trier26) mochte die Regierung in Koblenz nicht so recht eingehen; sie schrieb daher an den Oberpräsidenten: "Die zwischen dem Beschwerdeführer und dem Bischöflichen Vicariatamte in Trier stattgehabten Differenzen entziehen sich unserer Beurteilung."27) Oberpräsident Dr. von Bardeleben zog sich in dieser Frage auf die staatliche Rechtsposition zurück, gemäß der diesseits nichts unternommen werden könne, weil das Generalvikariat "zufolge des Todes des Bischofs von Trier nicht mehr fungire".28)

Als Allard einsah, daß auf Dauer seine Position als katholischer Pfarrer unhaltbar werden würde, bat er nach dessen Amtsantritt den neuen Bischof von Trier, Michael Felix Korum, um Vergebung, die "ihm gewährt wurde. Trotz allem konnte das gläubige Volk ihm diesen Fehler nie recht verzeihen",29) hatte er doch zu vielen Pfarrkindern auch persönlich zugesetzt, wie z.B. dem Ortsvorsteher Bockshecker oder dem Förster Langenfeld.

Am 6.3.1890 verstarb Allard - noch nicht 52 Jahre alt - auf seiner ersten und einzigen Pfarrstelle Ramersbach, die infolge des kulturkampfbedingten Priestermangels erst nach 8 Jahren Vakanz 1898 wieder einen eigenen Pfarrer erhielt.30)

 Hermann Kierig, Rech

Das genaue Gegenbeispiel zu Pfarrer Johann Allard bietet sein 34 Jahre älterer Amtsbruder Pfarrer Hermann Kierig.

Geboren am 19.9.1804inWassenach, gehörte er bereits zu der ältesten Generation der Trierer Diözesan-Geistlichkeit, als der Kulturkampf begann. Nach seiner Priesterweihe am 7.9.1834 war er zunächst als Kaplan in Polch. dann seit 1839 als Pfarrerin Gönnersdorf, lllerich, Schleidweiler und Gonzerath tätig, ehe er am 11.11.1871 Pfarrer von Rech, Kreis Ahrweiler wurde.31)

Durch das "Brotkorbgesetz" vom 22.4.1875 wurde Kierig als Angehöriger des vormaigesetzlich angestellten Pfarrklerus nun selbst unmittelbar in den Kulturkampf verwickelt. Dies bedeutete für ihn einen unlösbaren Loyalitätskonflikt mit tragischen menschlichen wie materiellen Konsequenzen. In dem ebenso verzweifelten, wie aussichtslosen Bemühen, sich aus dem Konflikt zwischen Staat und Kirche herauszuhalten, agierte er ausgesprochen unglücklich:

So hatte sich Kierig nach der Sperre seines Staatsgehaltes mit der Bitte an den Altenahrer Amtsbürgermeister gewandt, sich für die Wiederaufnahme der Staatsleistungen an ihn einzusetzen. Wie die Regierung in Koblenz dem Oberpräsidenten unter dem Datum des 23.8.1875 berichtete, hatte sich Kierig dem Bürgermeister gegenüber „dahin ausgesprochen, daß er die Staatsgesetze befolgen werde (...) (und in seinen Predigten) nie politische Gegenstände berührt, auch in einem Privatbrief an den Bürgermeister seine Staatstreue zu erkennen gegeben"32) habe.

Auf diese günstige Beurteilung hin verfügte das Kultusministerium am 8.9.1875 die Freigabe der gesperrten Mittel an Kierig.33)

Dies allerdings konnte auf Dauer nicht verborgen bleiben und brachte den Pfarrer in seiner Gemeinde in Mißkredit. Um aber das gestörte Verhältnis zu seinen Pfarrkindern wieder erträglich zu gestalten, sah Kierig schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als in der Nummer 27 des Ahrweiler Volksblattes vom 1.4.1876 (Rech, 29.3.1876) öffentlich seine Unterwerfung unter die Staatsgesetze zu widerrufen.34)

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Die Pfarrkirche von Rech (1996).

Dieser Schritt hatte nicht nur die sofortige Einstellung sämtlicher materieller Leistungen durch die Regierung in Koblenz zur Folge, sondern auch deren Anfrage beim Oberpräsidenten, ob aus dem Passus des Widerufs, Kierig habe die (Kulturkampf-)Gesetze „nie anerkennen wollen" gefolgert werden kann oder gefolgert werden soll, daß auch die ihm seitdem 1. Juli (1875) wiedergewährten Staatsleistungen zurückgefordert werden sollen."35) Mit Schreiben vom 11.4.1876 beantragt der Oberpräsident beim Kultusminister die Genehmigung für die erfolgte Wiedereinstellung der Leistungen.36) Nach ausgiebiger Prüfung des Falles gibt Berlin mit Schreiben vom 11.5.1876 dem Antrag von Bardelebens statt mit dem Zusatz: „Die während der Dauer der Wiederaufnahme dieser Leistungen bisher erfolgten Zahlungen aus Staatsfonds sind jedoch von dem p. Kierig nicht wieder einzuziehen."37)

Darin dürfte allerdings weniger ein Akt der Menschlichkeit, als vielmehr eine Folge der staatlichen Rechtsposition zu erblicken sein, de rzufolge einem jeden Pfarrer die Leistungen für den Zeitraum zustanden, für den er sich den kirchenpolitischen Gesetzen - die übrigen standen bei der katholischen Geistlichkeit ja in Wirklichkeit niemals zur Disposition - unterwarf. Doch damit war die Sache noch längst nicht ausgestanden:

Offenbar von großer materieller Not getrieben und tief enttäuscht darüber, daß „der Friede in seiner Gemeinde trotz jener (öffentlichen) Erklärung noch nicht zurückgekehrt"38) war- wandte er sich am 2.9.1876 erneut an die Regierung mit der Bitte „um Wiederaufnahme der Leistungen aus Staatsmitteln.39)

Diese neuerliche Kehrtwendung stieß bei den Behörden begreiflicherweise auf erhebliche Skepsis und ließ die Gefahr eines Präzedenzfalles aufkommen,40) so daß die Regierung in Koblenz am 5.10.1876 zur Vorbedingung machte, daß Kierig „seine Erklärung vom 29. März (1876) in irgend einer Weise wieder zurücknimmt und zu diesem Zwecke eine bestimmtere Erklärung als die in der Eingabe vom 2. (September 1876) enthaltene angiebt."41)

In Trier war Kierig durch sein Verhalten endgültig in Ungnade gefallen, obwohl der „durch den Brief vom 8.12.1875 ()der Bischöflichen Behörde die Annahme des Staatsgehaltes angezeigt) (und erklärt hatte, er wolle) darauf verziehten, wenn dadurch die Maigesetze anerkannt würden."42)

Hoffnungslos zerstritten mit seiner Pfarrgemeinde und nahezu mittellos, verstarb Kierig am 22.3.1877 in Rech an einem Schlaganfall43) im Alter 72 1/2 Jahren. „Obwohl er hier die Kirche vergrößerte, ist sein Andenken doch nicht in Ehren"44), so noch 1952 das Fazit Peter Schugs in seiner Geschichte der Dekanate Adenau, Ahrweiler und Remagen.

Der regierungsamtliche Zeitungsbericht über sein Begräbnis dokumentiert, wie sehr sich Kierig zwischen alle Stühle gesetzt hatte:45)

Trotz des Widerrufs seiner früheren Unterwerfung unter die Staatsgesetze und trotz seiner öffentlichen Erklärung, daß er in Betreff der Mai-Gesetze treu zu seinem Bischof stehe, muß derselbe von seinen Amtsbrüdern wohl für einen sogenannten Staatspfarrer gehalten worden sein, denn es hat sich kein Geistlicher dazu verstehen wollen die Leichenfeier für ihn abzuhalten. Die Leiche mußte daher polizeilich beerdigt werden, zu weichern Zweck der Landrath die Gendarmerie zur Verfügung gestellt hatte. Eine große Menge Menschen war zu diesem Begräbniß von nah und fern zusammengeströmt, welche sich aber meist nur als Zuschauer gerirten und der ganze Act, an welchem sich namentlich der Recher Krieger-Verein, als anscheinend außerhalb der Partheien stehend betheiligte, verlief ohne die geringste Störung. "46)

Die beiden geschilderten Fälle aus dem Kreis Ahrweiler zeigen in ihren Gegensätzen wie Parallelen die volle Spannbreite dessen, was man mit dem Begriff „Staatpfarrer" zu erfassen sucht. Hier Allard als junger, national und sehr staatskonform eingestellter Geistlicher mit klarer Prioritätensetzung zugunsten des Staates und seiner eigenen materiellen Interessen auch um den Preis der Konfrontation: dort Kierig, ein bereits in seinem 8. Lebensjahrzehnt stehender Pfarrer, der sich in seiner auf Ausgleich bedachten Art in einen unauflöslichen Konflikt gestürzt sah471 und schließlich zwischen den Fronten aufgerieben wurde. Zwischen diesen beiden Extremen sind auch die übrigen „Staatspfarrer" des Regierungsbezirks Koblenz einzuordnen.

Anmerkungen:

  1. Ditscheid. Ägidius. Matthias Eberhard: Bischof von Trier, im Kulturkampf, Trier 1900. S, 136/37,

  2. Temporalieh- oder Regaliensperre - Sperre der Verwallung und Nutznießung des Kirchengutes bzw. Einbehaltung der Einkünfte von Geistlichen durch die weltliche Macht: vgl. Haberkern. Eugen/ Wallach. Joseph Friedrich: Hilfswörterbuch für Historiker - Mittelalter und Neuzeit. Zweiter Teil: L-Z, 6. Aufl.. München 1980, S. 612

  3. Landeshauplarchiv Koblenz |LHAK| 403-10869. S. 11

  4. Ditscheid. Eberhard. S. 137

  5. Vgl.: Ditscheid. Eberhard, S. 137-38: Treitz. Jakob Michael Felix: Korum - Bischof von Trier 1840 bis 1921 - Ein Lebens- und Zeitbild München-Rom 1925. S 93.

  6. Nach: Huber. Ernst Rudolf ; Huber, Wolfgang fHrg.l: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert - Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 2. Berlin 1973. S, 656: Weber, Christoph: Kirchliche Politik zwischen Rom. Berlin und Trier 1876 -1888 - Die Beilegung des preußischen Kulturkampfes. Phil, Diss Bonn 1969. überarbeitete Fassung in: Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie in Bayern, in Verbindung mit Dieter Albrecht, Andreas Kraus, Rudolf Morsey, hgg. voh Konrad Repgen. Reihe B: Forschungen, Bd. 7. Mainz 1970. S. 23, spricht allein für den Sprengel der Diözese Trier von 12-18 Staatspfarrern zuzüglich der Domherren Holzer und von Wilmowsky.

  7. Nach: Bistumsarchiv Trier (BAT) 108-369. S 1-31

  8. Nach: LHAK 403-10875. S. 605

  9. Dietz. Wolfang, Die Auswirkungen des Kulturkampfes im Regierungsbezirk Koblenz, Phil. Diss Bonn 1992. Galenberg-Düsseldort 1992.S 176

  10. Vgl,: Weber. Politik. S. 25. Anm. 36.

  11. Vgl.: Dasbach. Georg Friedrich (Hg.), Adreß-Kalender der hochwürdigen Geistlichkeit des Bisthu ms Trier auf das Jahr 1878. Trier 1878 S. 49

  12. LHAK 655, 136-43: Trier 30.10 1871

  13. Vgl,: LHAK 403-10869. S 5,

  14. LHAK 403-10869. S, 189

  15. Rudolf Felix August von Groote 11828-1889), von 1859 bis 1889 Landrat des Kreises Ahrweiler vgl.: LHAK-Personalkartei, Personalstammblatt v. Groote, bearb. von Theresia Zimmer.

  16. LHAK 655. 136-20: Königsfeld 2,7,1875,

  17. LHAK 403-10841. S, 347.

  18. LHAK 403-10841. S. 388.

  19. Vgl.: Kreisarchiv Ahrweiler (KRAA)G-H: Ahrweiler29.11.1884.

  20. Vgl.: LHAK 441-3520. S, 137, 139, 141. 142

  21. LHAK 441-3520. S, 138.

  22. LHAK 655. 136-30-Ahrweiler 5 4 1882.

  23. Vgl.: LHAK 655, 136-30: Ahrweiler 22.4.1882 

  24. LHAK 655 136-30: Königsfeld 26 4 1882.

  25. Vgl Dietz, Kulturkampf. S, 177.

  26. Vgl ; LHAK 403-10841. S. 349 (Aktenvermerk): Weber. Politik. S 25, zum Vorgehen der Trierer Behörden gegen die „Staatspfarrer" allgemein

  27. LHAK 403-10841, S. 386/87.

  28. LHAK 403-10841. S. 386 (OP-Randverfügung): vgl, auch: Weber, Politik, S. 24-25 zum Wirken der Geheimdelegaten im Bistum Trier

  29. Schug, Peter, Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Ahrgau-dekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau. Ahrweiler und Remagen (= Geschichte der Pfarreien des Bistums Trier. Bd IV|. Trier 1952, S, 380.

  30. Vgl.: Schug. Adenau-Ahrweiler-Remagen, S. 380,

  31. Vgl. Schematismus Trier 1873, S, 106,

  32. LHAK 403-10869. S, 479.

  33. Vgl : LHAK 403-10869. S 627

  34. Vgl.: LHAK 403-10871. S, 317-19,

  35. LHAK 403-10871. S, 318

  36. Vgl.: LHAK 403-10871, S. 319, 

  37. LHAK 403-10871. S. 429. 

  38. LHAK 403-10872. S 222.

  39. LHAK 403-10872. S. 131

  40. Vgl,: LHAK 403-10872. S, 221-24,

  41. LHAK 403-10872. S. 223-24

  42. Schug, Ahrweiler-Adenau-Remagen, S. 386.

  43. LHAK 403-9709, S. 574.

  44. Schug. Ahrweiler-Adenau-Remagen. S, 386.

  45. Dietz. Kulturkampf. S. 178.

  46. LHAK 403-9709. S 574,

  47. Dietz, Kulturkampf. S. 179