Neuenahr in den „goldenen zwanziger Jahren Moderne Sportanlagen vor der Haustür

P. Anton Schumacher (U)

Wir Kinder aus der Kreuz- und Wendelstraße in Neuenahr hatten das große Glück, daß sich die Sportanlagen des Kurortes vor unserer Haustür befanden. Das waren damals der Fußballplatz, der Hockeyplatz, die Tennisplätze im Lennepark, die Turnhalle in der Held und der Wurftaubenschießstand im Kaiser-Wilhelm-Park an der Katzenbuckelbrücke. Wir waren überall dabei. Wir kannten die Mannschaften und Spieler, waren bald auch mit den Spielregeln vertraut und versuchten auf unsere Art diese Sportarten nachzumachen. 

Der Fußballplatz

Fast jeden Sonntag spielte der SC 07 in seinem schwarz-roten Dreß auf dem Fußballplatz am Ende der Kreuzstraße. Fußball war damals schon der Volkssport Numero eins. Für viele Arbeitslose das Sonntagsvergnügen schlechthin. In Scharen zogen die Leute durch die Kreuzstraße zum Fußballplatz. Die 1. Mannschaft hielt zusammen wie Pech und Schwefel und brachte es bis zum Mittelrheinmeister, der höchsten Klasse für damalige Amateurspieler. Einige Namen der damaligen Mannschaft sind mir noch im Gedächtnis: Siegers Mattes als Tormann, Höpers Jupp als Mittelstürmer, Müllers Philipp, Rönne Johann, Schmicklers Conrad und Fabritius Fritz. Zu den Meisterschaftsspielen wurde ein Eintrittsgeld verlangt, aber wir Kinder schlängelten uns überall durch und waren dabei. Die Zuschauer feuerten ihre Mannschaft durch lautes Geschrei an. Oft ging es hoch her. Auch damals hatten die Clubs ihre Fans, und nach manchen Spielen gab es Schlägerei. Ich erinnere mich noch, daß nach einer Fehlentscheidung des Schiedrichters Zuschauer auf den Platz liefen und mit ihren Spazierstöcken auf den Ärmsten einschlugen. Auf dem Fußballplatz gastierte auch der Cirkus, wenn er nach Neuenahr kam. Ein besonderes Ereignis sportlicher Art auf dem Fußballplatz war das Reit- und Springturnier. Schon die Vorbereitungen des Turniers weckten unsere ganze Aufmerksamkeit. Da war die Ankunft der wunderschönen Reitpferde. Die Großgarage und Reparaturhalle bei Theisen an der Ecke Landgrafen - Rheinstraße war in einen Pferdestall mit vielen Boxen verwandelt worden. Überall Reitsättel, Zaumzeug, Stroh, Hafer und die Betreuer. Es roch nach Pferden. Auch auf dem Fußballplatz bedurfte es eine Zeit, bis dsr Parcours aufgebaut war. Eine Besonderheit war der Bau einer Behelfsbrücke über die Ahr. So konnten die Besucher des Turniers auf dem kürzesten Weg zum Terassencafe im Lennepark gelangen. Diese Brücke ruhte auf drei oder vier Holzböcken, die aus dicken Baumstämmen gezimmert waren und mitten in der Ahr standen, direkt über dem großen Wehr. Wir Kinder hatten unsere Schuhe ausgezogen und wateten durch das Wasser. Damit mir keiner meine Schuhe und Strümpfe wegnehmen konnte, stellte ich sie auf eine Verstrebung der Holzböcke. Aber, oh Schreck, da fielen meine Schuhe ins Wasser. Den einen konnte ich gerade noch packen, der andere aber segelte wie ein Schiffchen das große Wehr hinab und verschwand unten in den Wellen. Ich suchte nun verzweifelt nach meinem Schuh. Dabei verletzte ich mich noch am linken Fuß durch eine scharte Schieferplatte im Wasser. Ich mußte endlich aufgeben. So kam ich dann mit einem blutenden Fuß und einem Schuh nach Hause. Schuhe waren damals teuer, mein Vater böse. Er zog mir den Hosenboden stramm. Nun, das war schnell vergessen, aber noch heute erinnert mich eine Narbe am linken Fuß an den verlorenen Schuh in der Ahr. 

Der Hockeyplatz

Im Gegensatz zum Fußball waren Hockey und Tennis damals exklusive Sportarten. Da, wo heute der mächtige Betonbau von Kur-Köln steht, befand sich der Hockeyplatz. Ich kann mich noch erinnern, als er angelegt wurde; das Planieren und Walzen der Spielfläche, die Te-rassen mit den Zuschauerbänken, die Toiletten. Der ganze Platz wurde dann mit einem hohen Bretterzaun abgeschlossen, nur die Anlieger der Kreuzstraße hatten durch ihre hinter den Häusern liegenden Gärten freien Zugang zu den sportlichen Ereignissen. Herren- und auch Damenmannschaften lieferten sich spannende Spiele. Wenn ein Korkball ins Aus flog und im Gras verschwand, wurde er zwar gesucht, aber meistens nicht gefunden. Wir Jungen hatten schärfere Augen. Wir merkten uns die Stelle, oder wir versteckten den Ball, indem wir den Fuß darauf stellten. Wenn die Luft rein war, stibizten wir den Ball und ließen ihn in unseren Taschen verschwinden. Die Hockeyschläger machten wir uns selber. Im Wald oder in den „Heppiner Strönk" suchten wir uns scharf abgebogene Äste, die wir uns dann zu handlichen Schlägern zurechtschnitten. Außer den Spiel-und Trainingszeiten wurde der Platz nicht benutzt von den Clubmitgliedern, dann waren wir Jungen die Herren des Hockeyplatzes. Wir lieferten uns spannende Hockeyspiele, „Kreuzströßer" gegen die „Wendelströßer". Überhaupt war der Hockeyplatz unser Spielplatz direkt vor der Haustür. Eine große Feindin hatten wir, das war „Ponze Liss", die Besitzerin der Ahrvilla. Die Ahrvilla war damals ein renommiertes Hotel, in das auch Ausländer abstiegen. Schade, daß dieses schöne Haus mit seinem charakteristischen Türmchen, heut von einer phantasielosen Betonwüste erdrückt wird. Wenn nun die Kurgäste ihr Mittagsschläfchen hielten, ballerten wir Jungen mit unserem Fußball gegen die Hauswand, vor der gerade ein Tor stand. „Ponze Liss" stand dann auf der Lauer. Flog einmal ein Ball über die Mauer in ihren Garten, so war er auf Nimmerwiedersehen verschwunden, aber wir wußten uns auch zu rächen, indem wir ihre saftigen „Prummen" klauten.

Auf dem Hockeyplatz lernte ich auch das Radfahren. Ein Fahrrad war ja damals nicht so selbstverständlich wie heute. Kinderfahrräder gab es überhaupt nicht, und Damenräder? Ich kann mich nicht erinnern, eine Frau oder ein Mädchen auf einem Fahrrad gesehen zu haben. Es gab nur das Herrenrad. Über der Stange eines großen Herrenrades konnten wir nicht fahren, geschweige denn auf dem Sattel. Unsere Beine waren noch zu kurz und reichten nicht bis zu den Pedalen. Wie halfen wir uns? Wir fuhren unter der Stange. Wir hingen also auf einer Seite des Fahrrades und versuchten uns und das Gefährt in der Balance zu halten. Dabei berührte das durch den Rahmen gestreckte Bein immer wieder das Kettenrad, so daß Hosen, Strümpfe und Beine von Öl und Fett beschmiert wurden. Eine besondere Art, das Fahrrad zu besteigen hatten einige gesetzte Herren, sie stiegen von hinten auf. Die Räder hatten damals am Hinterrad einen „Pinn". Man stellte sich breibeinig über das Hinterrad, packte den Lenker, setzte einen Fuß auf den Pinn, mit dem anderen schob man an und schwang sich dann sehr behäbig auf den Sattel. Ein Original auf dem Fahrrad war „Schmitze Düen", so nannten die Leute den Architekten Schmilz, der in der Bergstraße sein Baubüro hatten. Wenn er durch Neuenahr fuhr, machte er mit seinen Pedalen immer zwei Umdrehungen nach vorn und dann einen kurzen Wipper zurück, so wie bei der Echternacher Springprozession. Elegante und rasante Fahrer waren die Neuenahrer Bäckerjungen, die, wenn wir in die Kirche gingen, auf ihren Gepäckrädern frische Brötchen in die Hotels brachten.

Die Tennisplätze und das Strandbad 

Ich weiß auch noch, als der Lennepark, die Tennisplätze und das Strandbad angelegt wurden. Große Erdbewegungen mußten damals bewältigt werden. Moderne Tiefbaumaschinen, wie wir sie heute haben, gab es damals noch nicht. Das ganze Gelände durchzogen die Geleise einer Feldbahn. Per Hand mit Schaufel und Spaten wurden die Loren gefüllt und dann durch Menschenkraft geschoben oder mit einer kleinen Diesellok gezogen. Ich meine, daß damals die Firma Steinborn aus der Landgrafenstraße die Arbeiten ausführte. Für uns Jungen war diese Großbaustelle ein beliebter aber auch gefährlicher Spielplatz. Nach Feierabend hoben die Arbeiter die Loren aus den Gleisen, damit keiner damitfahren konnte. Aber wir brachten es mit vereinten Kräften fertig, so eine Lore wieder auf die Gleise zu stellen. Dann fuhren wir Eisenbahn. Oft kam es vor, daß wir das Gefährt auf einer Gefällstrecke nicht mehr zum Stehen bringen konnten. Wir sprangen ab. und der Wagen sauste irgendwo ins Gelände und blieb dort, Räder oben, liegen. Dann lautete die Devise: sich schnell aus dem Staub zu machen. Wenn dann am anderen Tag der Polizist, Herr Fiegen, in die Schule kam, wußten wir Bescheid weshalb, dann kam alles heraus.

Damals wurde auch das Strandbad gebaut, für das konservative Neuenahr eine kleine Revolution. Es gab in Neuenahr schon eine Badeanstalt, in Hemmessen bei Hochgürtels Ännchen.

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Tennisanlage in Bad Neuenahr (1996).

Sie bestand aus 2 Becken, einem größeren für das männliche und einem kleineren für das weibliche Geschlecht. Eine Wellblechwand trennte beide voneinander. Wenn wir Jungen dann schon mal an der Wand hochkletterten und zu den Mädchen reinschauten, war auch schon Ännchen da und holte uns herunter. Im Lennepark war also jetzt ein Strandbad für Männlein und Weiblein gemeinsam. Unser Pastor, Pfarrer Lehnen, ein gütiger Herr, donnerte damals auf der Kanzel los und nannte das Strandbad eine Schwanenpfütze. Und so ganz unrecht hatte er nicht. Denn was war das damalige Strandbad? Ein großes mit Wasser gefülltes Erdloch. Auf dem Wasser schwammen einige mit Algen besetzte, glitschige Baumstämme, die die Abgrenzung für Schwimmer und Nichtschwimmer anzeigten. Wir Jungen gingen lieber in die Ahr. An den Pappeln und am Edelweiß waren unsere Badestellen. Wir hatten immer frisches Wasser und brauchten nichts zu bezahlen. In Neuenahr fanden große Tennisturniere statt. Wir Jungen konnten dabei Balljungen machen, ein sehr begehrter Job, denn der wurde mit einem kleinen Taschengeld bezahlt. 

Die Turnhalle

Nicht weit von den Tennisplätzen entfernt befand sich die Turnhalle. Sie war nicht zu vergleichen mit den modernen Turnhallen, die heute fast wie selbstverständlich zu jeder Schule gehören. Sie war eine ehemalige Fabrikhalle der Firma Wenz aus der Mittelstraße, die dort für die Stukkateure Rabitzmatten herstellte, die man für den Innenputz der Neubauten benötigte. Die Mitglieder des Neuenahrer Turnvereins bauten sich in Eigenleistung dieses Gebäudes zu einer Turnhalle um. Sie bestand aus zwei Teilen. Der Fußboden des einen Teiles war mit Sägemehl bedeckt. Dort stand das Reck. Wir Jungen schauten mit Bewunderung auf die Großen in der 1. Riege, wenn sie, nachdem sie ihre Hände mit Magnesium eingerieben hatten, die Riesenwelle drehten. Auf der Stirnseite dieses Teiles der Halle waren ganz groß die 4 F des deutschen Turnerbundes gemalt: Frisch-fromm-fröhlich-frei. Der zweite Teil der Halle bestand aus gestampftem Lehm. Es hieß, der Lehm sei mit Ochsenblut vermischt worden. Hier standen der Barren, das Pferd und der Kasten. Meine Eltern erlaubten es mir und meinen Brüdern Theo und Johannes, in die Jugendriege des Turnvereins einzutreten. Unser Betreuer und Vorturner war Herr Vitt. Etwas Besonderes war es für uns immer, wenn wir als Jugendriege bei Veranstaltungen im Kurhaus oder im Winzerverein auftreten durften. Wir trugen dabei lange weiße Hosen mit schwarzem Gürtel und weiße Trikots. Im Zweiten Weltkrieg fielen hier in der Held die ersten Bomben auf Neuenahr und zerstörten die Turnhalle und die umliegenden Häuser, es gab die ersten Toten durch feindliche Flieger.

Der Wurftaubenschießstand

Am Ende des Kaiser-Wilhelm-Parks, hinter dem Schwanenteich, befand sich der Wurftaubenschießstand. Für uns Jungen insofern interessant, als wir uns hier die Taschen mit den leeren Patronenhülsen voll stopften und ganz gebliebene Tonteller mit nach Hause nahmen.