Content-Type: text/html Die dörfliche Art zu leben

Die dörfliche Art zu leben . . .

- Eine Betrachtungsweise -

Amim Franke

„Wer Gutes über Dörfer berichtet, wird als wirklichkeitsfremder Schwärmer abgetan. . . Die dörfliche Art zu leben ist es wert, ohne Geringschätzung betrachtet zu werden. Denn sie ist auf Gemeinsinn gegründet und allein schon deshalb geeignet, in unserer durch Vereinzelung und Habgier gefährdeten Gesellschaft als zukunftsweisendes Korrektiv zu dienen für jedermanns Alltag, aber auch für die Verantwortlichen in der Politik."11 So der Reisejournalist Ulrich Schmidt in seinem neuen „Buch der Dörfer", in dem er mit ausdrucksstarken, anregenden Worten „Einblicke in eine verkannte Lebensform" vermittelt.

Walporzheim

Aus Gemeinsinn mag auch das Lebenselixier des als „Weindorf" bekannten Ortes namens „Walporzheim" bestehen. Seine Substanzen entspringen einer überaus regen Vereinstätigkeit. Da drängen sich rasch Fragen auf: ist es Herzblut, das dieses Vereinsleben pulsieren läßt? Bilden Bodenständigkeit das Gefühl für Heimat den Nährboden für wachsendes Engagement? Oder übernehmen die Vereine Aufgaben, die einst anderen Einrichtungen oblagen? Bilden sie gar das Bollwerk gegen ein städtisches Zentrum, das Identitäten zu schlucken droht?

Dieses liebenswerte über 600 Einwohner zählende Walporzheim ist weder „Fisch noch Fleisch". In der Fachsprache der Raumordner ausgedrückt: kein zentrenfernes, strukturschwaches ländliches Gebiet, eher ein Raum mit Verdichtungsansätzen-will heißen, vor oder hinter den Toren der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahr-weiler liegend - eine Frage der Betrachtungsweise.

Die Ahr, immertort zu landschaftlichen Reizen animierend, ist hier auf Durchreise und hinterläßt dennoch bleibende Eindrücke. Viele sind eingebunden in die Vereinsgemeinschaft dieses Ortsteiles, der gar nicht so recht in das klassische Bild eines sogenannten ländlichen Raumes paßt. Und dennoch: Wenn etwa die nur noch halbtags besetzte Poststelle wegen "rückläufiger Frequentierung" eines Tages ganz schließen muß, wenn der „Spar-Markt" seiner übermächtigen, um die Stadt gruppierten Konkurrenz nicht mehr standhalten kann, dann geht nicht nur Infrastruktur verloren. Es verändert sich der Charakter einer Umgebung, die in enger Beziehung zu ihrer Bevölkerung steht. Dieser Lebensmittel-Markt, der mehr als nur ein Geschäft ist, gehört zum Beziehungsgeflecht, das diesen Ort zusammenhält. Der geräumige Laden im Zentrum des Ortes existiert seit beinahe 50 Jahren, erklärt Berthold Knieps, der das Geschäft seiner Eltern weiterführt. Erst vor wenigen Wochen trat die Post an ihn heran, ob er nicht Postdienste in den kleinen Supermarkt integrieren wolle. Doch das wäre Berthold Knieps zu viel, denn es bliebe nicht beim Briefmarkenverkauf. Hinzu kämen auch Postbank- und Paketdienste. Die Anfrage signalisiert aber, daß die Tage der Poststelle in Walporzheim gezählt sein dürften.

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Die Pützgasse in Walporzheim.

Ob die Zukunft des Spar-Marktes gesichert ist, wer weiß das schon. Man müsse immer mehr verkaufen, um über die Runden zu kommen, sagt der Geschäftsmann und weist gleichzeitig auf seine Gartenterrasse hin, die Gäste wie Einheimische zu einem schmackhaften Imbiß einlädt. Mitunter mehrmals am Tag beliefert Berthold Knieps die Älteren unter seiner Kundschaft, die selbst nicht mehr einkaufen gehen können.

Informationsflüsse trocknen aus

Gibt es eine solche „Begegnungsstätte" nicht mehr, fällt nicht nur eine Einkaufsgelegenheit weg. Der Ort verliert die gegenseitige Anteilnahme am örtlichen Geschehen, weil Informationsflüsse austrocknen.

Hier wird deutlich, was Vereine leisten (müßten), wenn sich liebgewonnene und lebensqua-litätsbezogene Strukturen auflösen.

Einer, der dies ganz genau weiß, ist Karl-Heinz Binder, ehemals Vorsitzender des Verkehrsund Verschönerungsvereins von Walporzheim. Er zählt sie alle auf - nicht ohne Stolz, denn vielen Vereinen gehört er an, verhalf ihnen zur dauerhaften Existenz in Zusammenarbeit mit jenen Persönlichkeiten, ohne die das zum Überleben notwendige Selbstwertgefühl eines solchen dörflich strukturierten Ortsteiles nicht zu halten wäre.

Quicklebendige Vereinsstruktur

Ob der traditionsreiche Männergesangverein „Lyra" (mittlerweile 100 Jahre alt), der rührige Walporzheimer Sportverein, die engagierte Karnevalsgesellschaft „Bunte Kuh", die Möh-nen,dieGemeinschaft der Feuerwehr, der Junggesellenverein, die Gymnastikgruppen, die Musikgruppe mit einer stattlichen Anzahl musizierender Kinder oder das schon zur Institution gewordene Treffen der älteren Ortsbewohner:

zahlreiche Familien sind irgendwie irgendwo in diese quicklebendige Vereinsstruktur eingebunden. Ohne die Anmietung der Klassenräume in der ehemaligen Walporzheimer Grundschule blieben der Vereinskultur kaum Entfaltungsmöglichkeiten.

Ortsvorsteher und Ortsbeirat übernehmen die Brückenfunktion dorthin, wo beispielsweise Zuschüsse locker gemacht oder für andere Vorhaben geworben werden muß - bei der Stadtverwaltung.

Nicht zu vergessen der Winzerverein, der dem Ortsteil einen ganz besonderen Stempel aufdrückt und die Dominanz des Weinbaus dokumentiert. Davon lebt der Ort, von seinen „Freizeitwinzern", die an so manchen Abenden in der Woche oder an freien Wochenenden die Mühsal der Weinbergsarbeit auf sich nehmen - was sie erzeugen, muß schließlich Nutzen bringen. Daß dies auch im doppelten Sinne gelingt, dafür sorgt die Arbeitsgemeinschaft „Weindorf". Die Verantwortlichen und viele Helfer/innen unterstützen und bündeln Aktivitäten, schaffen die Einheit in der Vielfalt, um nicht nur Weinberge und Brauchtum zu pflegen. Das „Weindorf" schmiedet hieraus mit Geschick und viel Engagement jenes Aushängeschild, das Gäste zum Verbleib animieren soll.

Da gerät Karl-Heinz Binder ins Schwärmen:

„Viele Kontakte, insbesondere nach Norddeutschland, bestehen schon seit mehr als 20 Jahren." Daraus entwickelten sich zahlreiche Freundschaften. Für Binder ist der persönliche Einsatz, die Ansprache der Gäste eine wesentliche Voraussetzung für eine gelungene Ortswerbung. Er spannt den Bogen zu den „Zugezogenen" des Ortes, die „selbstverständlich" und „ganz gezielt" in das Ortsgeschehen integriert werden müßten.

Da drängt sie sich wieder auf, die Frage nach den Persönlichkeiten, die den Antrieb geben, mitreißen und vorangehen müssen und dabei so manche - auch persönliche - Hürde zu überwinden haben.

Schuld

Diese Eigenschaften vereint der Ortsbürgermeister von Schuld, Jürgen Hecken, auf sich. Er stößt an und treibt voran, versucht für „seinen" Fremdenverkehrsort neue Qualitätsmaßstäbe zu setzen. Dabei bringt die pittoreske - allerdings im Vergleich zu Walporzheim - zentrenfernere Gemeinde etwa zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs eine beeindruckend schöne landschaftliche Grundausstattung mit.

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Eingebettet in die Ahrberge: Schuld.

Begrenzt von wuchtigen, emporstrebenden Felsen, weiten Wiesen und dichten Wäldern macht sich an der oberen Ahr ein malerisches Tal breit, das alle Voraussetzungen für einen anerkannten Fremdenverkehrsort mitbringt.

Doch trotz des wertvollen Kapitals Landschaft sowie einer Reihe von Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten, wozu insbesondere die weit über die Orts- und Kreisgrenzen hinaus bekannte Freilichtbühne an der Schornkapelle oder die „Schulder Passionsspiele" gehören, bleibt für Ortsbürgermeister Hecken einiges zu tun. Das wirtschaftliche Standbein des Ortes muß stabiler, die Infrastruktur-vor allem im gastronomischen Bereich - verbessert und der Verbleib sowie die Gemeinschaft der Ortsbewohner erhalten werden.

In den 80er Jahren durchtrennte die Bahn durch Kappung des Schienennetzes eine wichtige Lebensader der Ortsgemeinde. Zwar fing eine besser ÖPNV-Ausstattung einiges auf, doch die zunehmende Abhängigkeit vom Privat-Pkw war unumkehrbar.

Von den 927 Einwohnern des Ortes sind nach Angaben des Bürgermeisters etwa 450 berufstätig. Davon pendeln immerhin rund 80 Prozent nach Bonn, Köln, Düsseldorf oder Koblenz, um ihrer Arbeit nachzugehen. Rund 80 Arbeitsplätze bieten Handwerks-, Handels- und Dienstlei

stungsbetriebe in Schuld selbst an. Dazu kommen zwei landwirtschaftliche Vollerwerbsbetrie-be. Das vielerorts in ländlichen Gebieten anzutreffende Problem der fehlenden Hofnachfolge ist in Schuld erfreulicherweise kein Thema. Einige Nebenerwerbslandwirte gesellen sich dazu, pflegen die Landschaft, bearbeiten die Felder und bieten der Ortsbevölkerung eingene Erzeugnisse an.

Die Jugend muß im Dorf bleiben

In Schuld gibt es alles, was sowohl die Ortsbewohner als auch die Feriengäste benötigen, wozu auch die Raiffeisenbank und die Kreissparkasse gehören. Dennoch steht die Erhaltung vorhandener privater sowie öffentlicher Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe bei Jürgen Hecken ganz oben auf der Prioritätenliste. Die Ansiedlung neuer Betriebe erscheint illusorisch, nicht zuletzt aufgrund fehlender Flächen. Es gibt noch eine Poststelle in Schuld, deren Öffnungszeiten immer weiter schrumpfen. Von ehemals drei Telefonzellen blieben nur noch zwei übrig. Eine wird dringend am Aussiedlerwohnheim benötigt, die andere am Campingplatz. Immerhin verkraftete der Ort den Zuzug von 117 Aussiedlern. „Integrationsprobleme gab es nicht", berichtet der Ortsbürgermeister stolz. „Zweigleisig" will er die Zukunft des Ahr-Ortes sichern: Einmal gilt es, die Wohn- und Lebensqualität zu verbessern: „Die Jugend bleibt im Dort und das soll auch so bleiben."

Zum anderen brauchtder Fremdenverkehr neue Impulse, und zwar auf vielfältige Art und Weise. Der Ausbau von Freizeitangeboten, dazu zählen beispielsweise der Wander- und Fahrradtourismus, steht oben an.

Um neue Aufgaben eigenständig anzupacken und zu bewältigen oder in der Fachsprache ausgedrückt, um die endogenen Kräfte zu bündeln, bedarf es eines stärkeren Zusammenhalts aller, und zwar nach innen wie nach außen. Das beginnt mit dem Einsatz für ein besseres Erscheinungsbild des Ortes - etwa im Rahmen des Wettbewerbes „Unser Dorf soll schöner werden", führt über ein gut aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken der Dienstleister bis hin zum verbesserten Leistungsangebot im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes. Der Bürgermeister sucht in diesem Zusammenhang nicht nur den Kontakt und Möglichkeiten der Kooperation mit den umliegenden Ortschaften. Insbesondere die Hilfestellung der Experten in Sachen Tourismus und Fremdenverkehr, wie beispielsweise der auf Kreisebene arbeitende „Touristik-Service Ahr, Rhein, Eifel" ist gefragt.

Im Ort selbst hake es manchmal bei der Zusammenarbeit mit den Gastronomiebetrieben. Auch bei der Übergabe solcher Betriebe laufe nicht immer alles glatt. Hier müßten auch die Ämter besser mitziehen, gibt Jürgen Hecken mit Blick auf manchmal zu hohe Auflagen zu bedenken. Schuld braucht eine Identität, hinter der alle stehen (müßten). Es gilt, mangelnder Innovationsfähigkeit und schleichender Funktionsentleerung entgegenzuwirken.

Sorgen bereitet die finanzielle Situation. Die öffentlichen Mittel fließen nicht mehr so, wie in früheren Zeiten. Schließlich sind Finanzspritzen vonnöten, nicht nur für eine bessere Fremdenverkehrsinfrastruktur. So schlägt allein schon der Umbau der alten Schule in ein Dorfgemeinschaftshaus mit rund 80 000 DM zu Buche. Und die Kehrseite landschaftlicher Schönheit zeigt sich im Forsthaushalt, für den etwa 60 bis 70 000 DM pro Jahr veranschlagt werden.

Trotz der Furcht vor einem gänzlichen Ausbleiben finanzieller Unterstützung, blickt der Ortsbürgermeister positiv in die Zukunft. Schließlich gibt es auch in Schuld zahlreiche, höchst aktive Vereine und entsprechende Feste und Veranstaltungen. Gemeinsinn gehört also auch hier noch zum Vokabular - er bewahrt schließlich die dörfliche Art zu leben.

Anmerkung:

  1. Ulrich Schmidt, „Buch der Dörfer". Verlag Rasch und Röhring (Hamburg)