Der alte Bergfriedhof in Bad Neuenahr

Helga Gassenmann

"Wie konntest du nur gegenüber dem Friedhof eine Wohnung beziehen?", fragten kopfschüttelnd meine Bekannten. "Immer nur Kreuze und den Tod vor Augen, das würde uns zu sehr belasten."

Für mich ist das kein Tabu-Thema. Ich weiß, daß der Tod zum Leben gehört und wir nur Gast auf dieser Erde sind.

Einige meiner Angehörigen haben hier auch ihre letzte Ruhestätte gefunden. Deswegen gehe ich öfter zu den Gräbern. Dabei besuche ich auch die Grabstätten von Bekannten, die mit den Jahren immer mehr werden. Wir alle wissen, daß die menschliche Hülle zu Staub zerfällt und nur die Seele oder der Geist unsterblich sind. Daher reißt die Verbindung auch nicht ab, wenn ich mich mit den Dahingegangenen im Gebet oder einer liebevollen Erinnerung vereine. Diese geistige Verbundenheit erlebe ich besonders auf dem Friedhof. In dieser Stille, einem Ort des Friedens wie der Name schon sagt, bin ich vom Alltagsgeschehen weit entfernt.

Wenn ich noch bestimmte Zeiten benutze, wo ich wenig Menschen antreffe, kann ich ungestört Zwiesprache halten. Ich komme immer getröstet zurück und bin dankbar, daß ich noch lebe und die Sonne über dem Neuenahrer Berg aufgehen sehe und die Vogelstimmen höre, denen der alte Baumbestand sicheren Schutz bietet.

Friedhof.gif (44868 Byte)

Ein Ort der Stille: Der Friedhof um St. Willibrord in Bad Neuenahr.

Etwas von der Geborgenheit hat der alte Teil des Friedhofs seit dem letzten Jahr leider verloren. Im Zuge der Arbeitserleichterung fielen fast alle Hecken zum Opfer. Zuerst war es für die meisten Besucher ein Schock, als sie ihre Gräber so ungewohnt schutzlos vorfanden. Jetzt ist zwar alles übersichtlicher, aber ich fühle mich nicht mehr so abgeschirmt.

Vor einiger Zeit hatte mir eine Neuenahrerin einen ganzen Vormittag Unterricht in Heimatkunde gegeben - auf dem Friedhof! Sie kannte fast alle Familien und deren Schicksale, war mit den meisten in die Schule gegangen und wußte Trauriges und auch Lustiges von Kindern und

Kindeskindern zu erzählen. Manche Ehemänner kamen auch nicht allzu glimpflich davon. Aber das war Vergangenheit. Jetzt liegen sie alle vereint unter der Erde. Mit den Jahren wird alles milder beurteilt. Die Zeit heilt viele Wunden, wie der Volksmund sagt.

Ein Grab im oberen Teil des Friedhofs mag ich besonders: Die beiden Grabplatten sind in Form von zwei Medaillons angeordnet, die mit steinernen Jugendstilornamenten umrahmt sind. Die Verstorbenen, ein Paar, haben verschiedene Familiennamen, aber die ganze Anlage -einschließlich der Buchsbaumbüsche an der Kopfseite - strahlt viel schlichte Harmonie aus.

Daneben befindet sich die Grabstätte der Enkel des Komponisten Engelbert Humperdinck (1854 - 1921), der die Märchenoper "Hansel und Gre-tel" und "Die Königskinder" komponierte.

Die Anlage des Ehrenfriedhofs ist sehr gepflegt und an bestimmten Gedenktagen mit großen Blumenarrangements geschmückt. Die Toten des Ersten und Zweiten Weltkrieges haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Beim Betrachten der Daten kommt immer wieder zum Bewußtsein, wie unsinnig junge Menschen sterben mußten. Die Menschheit hat nichts dazu gelernt, das Morden geht weiter.

Der Neuenahrer Friedhof ist kein Prominenten-Friedhof wie ihn verschiedene Städte vorweisen können. Aber es gibt einige Familien, die eng mit dem Aufbau der Kurstadt verbunden sind.

Eine große Grabstätte birgt die Familienmitglieder der Familie Carl Philipp von Breuning (1808-1886), Landgerichtspräsident und Ritter hoher Orden.

Eine Gedenktafel daneben berichtet über den Pater Oswald von Nell-Breuning, Professor der Philosophie und Theologie an der Hochschule St. Georgen / Frankfurt/Main berühmter und hochbegabter Ehrenbürger der Städte Trier und Frankfurt.

Ein Sproß der weitverzweigten Lenne-Familie war Joseph AugustLenne(1814-1894). Er war Direktor des Neuenahrer Bades. Ein Teil des Parkes trägt seinen Namen.

Die Lebensarbeit des Arztes Dr. med. Albert Lenne (1851 - 1937) galt Bad Neuenahr. Auch die Mitglieder der Familie Rütten haben sich um das Kurbad verdient gemacht: Generaldirekter Ernst Rütten (1891 - 1937); Dr. med. Erich Rütten (1906 -1989) und Dr. Felix Rütten, Chefarzt des Kursanatoriums (1889 - 1961).

Ich habe den Neuenahrer Friedhof zu allen Jahreszeiten erlebt. Am schönsten war er für mich im strengen Winter 1996/1997.

Mehrere Tage hatte es geschneit. Die Wege waren unkenntlich, die Gräber fast eingeebnet. Alle Schalen, Kreuze und Grabsteine trugen dicke Schneehauben. Besonders reizvoll wirkten die allegorischen Figuren, die teilweise in Schneeverkleidung eingehüllt waren und etwas von ihrer Melancholie verloren hatten. Die großen Tannen senkten unter der Schneelast ihre Äste bis zum Boden.

Der Friedhof hatte sich in einen Winterwald verwandelt. Da die Wege für die meist älteren Besucher zu beschwerlich waren, erlebte ich ein paar Tage eine fast unberührte Winterlandschaft.

Es gibt viele Wege, sich mit dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen. Aber alle wünschen wir, den letzten Weg ohne viel Schmerzen in liebevoller Umgebung und Würde anzutreten. Der Philosoph Seneca schrieb schon im 4. Jhdt. vor Chr., daß wir das ganze Leben Zeit haben, um uns auf den Tod vorzubereiten.