Das Kripper Gericht zur Zeit des Kulturkampfes

Willy Weis/Hildegard Funk

Dem Kripper Völkchen wird seit eh und je von Bewohnern umliegender Ortschaften nachgesagt. daß es für seine Aufmüpfigkeit und seine provokante Sturheit recht bekannt sei. Die nachfolgende Begebenheit aus der Zeit des Kulturkampfes spiegelt eindrucksvoll die damalige politische Situation und die Loyalität der Ortsbewohner zur katholischen Kirche wider. insbesondere zeigt sie. mit welchen Mitteln sich die Rheinländer gegen die verhaßte preußische Obrigkeit wehrten. Die Geschichte begann, als bekannt wurde, daß sich der Weihbischof Dr. Krafft am 23. Mai 1876 während einer Visitarionsreise in Linz aufhalten würde.

Geplanter Bischofsempfang

In dieser Zeit waren offizielle Empfänge kirchlicher Würdenträger bei empfindlicher Strafandrohung untersagt. ebenso das Schmücken der Häuser aus kirchlichen Anlässen. Die Freude der Bevölkerung über den angekündigten Besuch des Weihbischofs war jedoch derart groß, daß die Linzer Schiffergilde, an der Spitze der Fährmann Rahm. beabsichtigte, trotz amtlichen Verbotes den kirchlichen Würdenträger mit einem Empfang zu würdigen. Verrat sorgtejedoch dafür, daß dieses Vorhaben den Behörden nicht unbekannt blieb. Daraufhin warnte der Linzer Bürgermeister Lerner den Fährmann Rahm eindringlichst unter strengster Strafandrohung, eine Begrüßungsfeier in Linz zu Ehren des Bischofes abzuhalten. Rahm, der nunmehr die offizielle Begrüßung nicht mehr in Linz ausführen konnte, ersann einen neuen Plan. ohne jedoch diesmal die Schiffergilde in Kenntnis zu setzen. Den Bürgermeister beruhigte er mit unschuldigster Miene, indem er diesem versicherte. die Begrüßungszeremonie in Linz finde nicht statt. Um sein neues Vorhaben zur Ausführung bringen zu können, weihte er nur drei verschwiegene Kripper ein. die Gebrüder Breuer. die wegen ihrer aufmüpfigen Mentalität für „Späßchen" jeglicher An gegen die verhaßte Obrigkeit stets zur Mithilfe bereit waren. und einen Nachtwächter.

Lichterspektakel in Kripp

Rahm organisierte auf rechtsrheinischem Gebiet einige Teertonnen und transportierte diese, in einer Schalde hinter der Gierponte hängend, auf die linke Rheinseite nach Kripp.

Bei Einbruch der Dunkelheit zündeten die Kripper die Teertonnen am Rheinufer an. und der Bischof konnte sich während des Abendessens in Linz an den lodernden Flammen und dem widerspiegelnden Farbenspiel auf den Fluten des Rheins erfreuen. Seine Freude nahm zu. als er erfuhr. daß dieses Lichterspekiakel ihm zu Ehren veranstaltet wurde. Der Bischof veranlaß-te. daß der Kripper Kirchengemeinde sein Dank ausgesprochen wurde. Die unterdessen wutschnaubend am Linzer Rheinufer auf und ab galoppierenden Gendarmen riefen vergeblich den Fährmann, um ans Kripper Rheinufer zum Löschen der Teertonnen übergesetzt zu werden. Dieser aber lag mit seiner Ponte am gegenüberliegendem Ufer und freute sich diebisch über das gelungene Werk.

Der Rhein als natürliche Barriere hatte sich also als Mithelfer erwiesen.
Die Auswüchse dieses politischen Streiches wurden Gegenstand einer vom Landrat zu Ahrweiler angeordneten Gerichtsverhandlung auf Antrag des Neuwieder Landrates. der den Fall mit der Bitte um Aufklärung zuständigkeitshalber dem linksrheinischen Kreischet übertrug.

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Die Kripper Rheinfront vor 1900. Vergrößert Hotel Hertgen (heute Hotel Rheingold), wo das Kripper Ortsgericht 1876 tagte.

Nachspiel: Gerichtsverhandlung in Kripp

Aus Angst, daß sich die angestaute Agressivität der Kripper Bevölkerung gegen die Obrigkeit auf die Kreisbevölkerung übertragen könnte, wurde zur Vermeidung einer Eskalation die Verhandlung vor Ort in Kripp anberaumt.

Als Gerichtssaal diente das Lokal der damaligen Gaststätte Hertgen am Kripper Rheinufer. dem heutigen Hotel ..Rheingold". Der Zusammenhalt und die Verschwiegenheit der Angeklagten sorgten für einen prozessualen Eklat. Denn die Angeklagten, nicht auf den Mund gefallen, parierten die Fragen der Obrigkeit mit Bauernschläue und rheinischer Gelassenheit.

Nachfolgende recht amüsante Vernehmung mit der gespielten „Unwissenheit" der Angeklagten geben die Unterlagen der Ortschronik wieder, aus der vortrefflich die unerschütterliche Ruhe der Kripper zu erkennen ist. die den Vorsitzenden zur Weißglut brachte, aber zur Sache nichts beitrug.

„Zeugenaussagen"

Als Angeklagte erschienen die drei Gebrüder Breuer. der Nachtwächter und der Fährmann Rahm. Als erster wurde der 64jährige Edmund Breuer vernommen. Auf die Frage, was er über diesen Vorfall wisse, erklärte er:„Jo. ühr Häre. do hat ech kein Ahnung vun, ech hat des mettaqs e klein Ferkel kridt und hann stundelang Arbeit domet gehat, ech han üverhaup vun däm janze fürgessen!" (Ja, ihr Herren, da weiß ich nichts von, ich habe mittags ein kleines Ferkel bekommen und habe stundenlang Arbeit damit gehabt, ich habe ohnehin alles vergessen.)

Als nächstes erklärte der 60jährige Adolf zur Sache. ..Wat soll ech davon wesse? Ech soß en de Koch und hat ming Pief angemach, do hoolit ech, wie druße alles bäken daäht, am Ring brennt et. No. daach ech, jank och emol sehn, un söns weiß ech vun och nix, ühr Häre!" (Was soll ich davon wissen? Ich saß in der Küche und habe meine Pfeife angemacht, da hone ich. wie draußen alles schrie, es brenne am Rhein. Na. dachte ich mir. geh auch mal nachsehn, und sonst weiß ich auch nichts davon, ihre Herren.)

Aufgrund der bisherigen ..sachlichen" Aussagen wurde der 49jährige Johann besonders scharf attackiert und erklärte mit der reuigsten Miene der Welt: „Uehr lew Häre, ech sooß an dem Ovend om Hüsge, hat minge Rehme öm de Hals jehange un wor esu  för mech hin am dussele, do kütt op einmol rning Frau und schreit: Hannes kom flöck eruß, et brennt! Do künnt ühr öch denke, dar ech flöck op ming Bein kom. Wie ech noh sooch, dat et e paar Täärtunne wohre, do wor ech beruhig. Äweer, wenn ech üch sage soll. wie dat passeert eß, dat kunnt ech nit. Et eß jo en Gemeinheit, einer esu verschreck zemaache!" (Ihr lieben Herrn, ich saß an dem Abend zu Haus auf dem Abort, halle meinen Leibriemen um den Hals gehangen und war so vor mich hin am dösen, da kommt auf einmal meine Frau und schreit: Hannes. komm schnell heraus, es brennt! Da können Sie sich denken, daß ich flink auf meine Beine zu stehen kam. Wie ich nun sah, daß es ein paar Teenonnen waren, da war ich beruhigt. Aber. wenn ich Ihnen sagen soll. wie das passiert ist. das kann ich nicht. Es ist ja eine Gemeinheit, jemanden so zu erschrecken! Nach dem Nachtwächter. der überhaupt nichts gesehen hatte, wurde der Fährmann vernommen. Auf die Frage, wen er einer solchen Tat für fähig halte, erwiderte er treuherzig: „Herr Richter, wenn ech offe spreche soll, dann haalen ech de Nachswächter, de Voirsteher un die drei Bröder allzusamme dafür fähig, awer mer welle doch keine zo Unrech verurteile!" (Herr Richter, wenn ich offen sprechen soll, dann halte ich den Nachtwächter, den Vorsteher und die drei Brüder allesamt einer solchen Tat für fähig, aber wir wollen doch keinen zu Unrecht verurteilen!)

Nachdem der Richter gemerkt hatte, daß er sich an der Kripper Sturheit die Zähne ausbiß, beendete er vor lauter Verzweiflung und insgeheimer Wut ergebnislos die Verhandlung mit den Worten: "Schluß! - aus dieser Bande ist doch nichts heraus zu bekommen".

Über die Nachricht der juristischen Niederlage der Obrigkeit brach Freude und Begeisterung unter den Linzern und Krippern aus und gab hüben wie drüben Anlaß zu feuchtfröhlichen Feiern. Diese historische Gerichtsverhandlung hat im Kripper Bewußtsein einen festen Platz eingenommen.

Ob sie allerdings der Anlaß für das stets in Kripp beginnende Lichterspektakel „Rhein in Flammen" ist, dürfte fraglich sein.

Quellen: