Der Antoniusaltar in der Marien Wallfahrstkapelle zu Pützfeld und die Verehrung des hl. Antonius im Rheinland

P. Bernd Schrandt SJ

Der rechte Seitenaltar der Marien-Wallfahrtskapelle zu Pützfeld ist dem hl. Antonius von Padua geweiht. Die Kapelle stammt aus den Jahr 1681. Die einheitliche Ausstattung aus der Erbauungszeit hat alle Fährnisse der Geschichte unbeschadet überstanden, war aber unfertig, da ohne farbige Fassung. Quellen zur Entstehung der Kapelle sind nicht auffindbar. Sicher überlieferte Daten sind allerdings die Fertigstellung der Kapelle am 8. September 1681 laut Gründungsinschrift im Gewölbe und die durch zeitgenössischen Meßbucheintrag für den 10. Februar 1699 bezeugte Hochaltarweihe. Das 300jährige Jubiläum der Altarweihe ist denn auch Anlaß dieses Artikels.

Der Patron für verlorene Gegenstände

Die seit der Restaurierung der Kapelle in den 60er Jahren goldglänzende Franziskanerkutte der Antoniusfigur mag befremden, doch das Attribut des Jesuskindes weist die Statue auch für heutige, im Reich der Heiligengestalten wenig bewanderte Pilger eindeutig als jenen volkstümlichen Heiligen aus, der in Nöten um verlorene Gegenstände angerufen wird. Beruht diese seine „Zuständigkeit" für Verlorene(s) vielleicht auf einer Umdeutung des Brevierhymnus „Si quaeris ...", so ist die seit dem 17. Jahrhundert übliche Darstellung des Heiligen mit dem Buch der heiligen Schrift und dem meist darauf sitzenden Jesuskind von liefer theologischer Bedeutung als Hinweis auf das geschriebene und fleischgewordene Wort Gottes. (LThK 1993, Bd. I, Spalte 791), das Antonius in seinen berühmten Predigten gegen die Katharer in Oberitalien und Südfrankreich verkündete.

Der Kirchenlehrer Antonius

In Lissabon geboren, wird er Augustinerchorherr und erhält in Coimbra eine hervorragende theologische Ausbildung. Aus Begeisterung für die Afrikamission tritt er zum Franziskanerorden über. Krankheit veranlaßt ihn, auf dem Weg nach Marokko umzukehren. Unwetter verschlägt ihn nach Italien. Wegen seines Predigertalents beruft ihn der Ordensgründer Franz von Assisi zum ersten theologischen Lehrer der Franziskaner. Im Alter von nur 36 Jahren stirbt Antonius am 13. Juni 1231 in einem Kloster unweit von Padua. Von der Bevölkerung stürmisch verehrt, wird er schon 11 Monate nach seinem Tod heiliggesprochen.

Die Konkurrenz zum Eifeler Viehpatron Antonius dem Einsiedler

Die Verehrung des Antonius von Padua beschränkt sich allerdings jahrhundertelang auf Italien. Im Rheinland ist der berühmte Franziskaner bis ins 17. Jahrhundert praktisch unbekannt, da hier ein anderer Antonius, der Einsiedler und Mönchsvater aus Ägypten, seit der Reliquienübertragung nach Frankreich um das Jahr 1000 (LThK 1993, Bd. I, Spalte 786) höchste Verehrung genießt und als Fürsprecher in Krankheit bei Mensch und Tier angerufen wird. Als Patron des im Rheinland weit verbreiteten Krankenpflegeor-dens; der Antoniter, die ihre Schweine frei herumlaufenlassen durften („Tönnisschweine" oder die „Rennsau" in München, LThK 1930, Bd. I, Spalte 515), um vom Abfall der Reichen gemästet zu werden. bekommt die Darstellung des hl. Einsiedlers das Schwein als Attribut. Antonius der Große wird „Antonius mit der Sau" oder mundartlich „Ferkelstün", bei Rheinbach „Firkestün".

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Antonius von Padua, Marien-Wallfahrtskapelle Pützfeld.

Antonius der Einsiedler, Burgkapelle Kreuzberg

Damit wird Antonius der Einsiedler nun auch „zuständig" für das wichtige Haustier Schwein und mit den „Viehpatronen" Kornelius (Hornvieh), Hubertus (Hunde) und Ouirinus von Neuß (Pferde) einer der „vier hl. Marschälle" (LThK 1962, Bd. VII, Spalte 106) der Kölner Kirchenprovinz. Antoniuswallfahrten gibt es bis heute nach Tönisvorst bei Krefeld und nach Schwalmtal-Amern St. Anton. Pilgerziel der Landbevölkerung war bis 1802 das Nonnenkloster St. Antoni Ganzen zwischen Euskirchen und Kommern, berühmt durch eine Antoniusreliquie. Nach Kriegszerstörung wieder aufgebaut und 1681 neu besie-

delt, schließen sich die Nonnen den Prämonstratenscrn an und unterstellen sich dem Kloster Steinfeld (Eiflia sacra I, 606 f ). Im Brohltal wird der Wallfahrtsort Tönnisstein bis 1802 von Karmelitern betreut. Um die Mitte des 17. Jahrhundert war das Kloster von den Bischöfen von Köln und Trier besucht und beschenkt worden (Eiflia sacra 11, 641 f). Die Gründungslegende von Tönnisstein verbindet die Verehrung der Gottesmutter mit der Person des Antonius des Einsiedlers, - was hätte nähergelegen, als auch in Pützfeld dem Gnadenaltar der Gottesmutter gegenüber einen Altar zu Ehren des Antonius des Großen zu errichten? Kehren wir zum Ahrral zurück: In unmittelbarer Nachbarschaft von Pützfeld befindet sich am Euß der Burg Kreuzberg die Burgkapelle, die wie unzählige andere Burg- und Schloßkapellen dem hl. Antonius dem Einsiedler geweiht ist, denn der Mönchsvater aus Ägypten ist Patron der Ritterschaft und des Adels, da er laut berühmter Lebensbeschreibung des Athanasius (nach der Bibel das meistvcr-breitete christliche Buch der Antike, LZhK 1993, Bd. l, Spalte 1129) aus vornehmer Familie stammte und gegen Dämonen kämpfte. Unweit von Pützfeld gibt es noch Antoniuskapellen in Berg oberhalb Altenahr, in Bad Neuenahr-Hemmessen und in Heimersheim-Green. wo einst auch eine Wasserburg stand. Antoniusaltäre gab es in Ahrweiler, Altenahr, Herschbach, Leimersdorf und Ringen (Schug, 11. 54, 178, 268, 416). In Ahrweiler bestand eine Antoniusbruderschaft, die im 17. Jahrhundert zweimal erneuert wurde (Schug 25).

Eifeler Heilige mit dem Jesuskind

Grund dafür, daß in Pützfeld ein ganz anderer und in der Region bislang unbekannter Antonius mit einem eigenen Altar geehrt wird, kann wohl nicht allein schon die Tatsache sein, daß dieser seit dem 17. Jahrhundert mit dem Jesuskind dargestellt wird („Kindeltoni", LThK 1930, Bd. I, Spalte 518) und seine Statue damit ikonologisch besonders gut als Pendant zum Pützfelder Gnadenbild paßt: denn zur gleichen Zeit wurde es üblich, auch zwei andere in der Eifel sehr verehrte Heilige immer mit dem Jesuskind auf dem Arm darzustellen: Hermann-Josef von Steinfeld, dessen Heiligsprechungsprozeß 1628 eingeleitet worden war (Rick, 19), und St. Josef, der Pflegevater Jesu, dem in Walporzheim und in Bad Neuenahr-Wadenheim Kapellen dedi-ziert (Schug, 17, 70), in Blasweiler und Dümpelfeld lange vor 1700 Seitenaltäre geweiht waren (Schug, 94 und 130). Die Verehrung des hl. Josef zu fördern, lag auch den Kölner Jesuiten am Herzen, wie das in vielen Auflagen weit verbreitete Gebetbuch des Pater Wilhelm Nakatenus „Himlisch Palmgärtlein" beweist, das in seiner Ausgabe von 1668 für den Samstag „Tagzeiten und Gebete" zum hl. Josef vorlegt (Seite 315-340). den Antonius von Padua aber nur kurz im Heiligenkalender erwähnt.

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Innenansicht der Marien-Wallfahrtskapelle Pützfeld nach der Renovierung von 1993.

Die Franziskaner auf dem Calvarienberg bei Ahrweiler

Der Seitenaltar zum hl. Antonius von Padua in der Pützfelder Marien-Wallfahrtskapelle ist in den Jahren seiner Entstehung vor 1700 also völlig außergewöhnlich und nicht aus der bodenständigen Volksfrömmigkeit des Rheinlandes zu erklären. Durch Franziskaner muß die Verehrung des Antonius von Padua ins Ahrtal gekommen sein. Mitten im Dreißigjährigen Krieg gründen 1630 die Franziskaner von Brühl eine Niederlassung auf dem Calvarienberg bei Ahrweiler und übernehmen die Pilgerseelsorge an der schon überregional bekannten Kapelle zum Heiligen Kreuz, die ein frommer Jerusalempilger 1440 dort errichtet hat. Eine bis 1747 gewissenhaft geführte Chronik spricht in oft sehr kurzen Jahresberichten von den Umständen der Gründung, von dem Leid der Bevölkerung durch die bis 1714 zahlreichen Erbfolgekriege. von der verheerenden Pesrepidemie Ende der 60er Jahre und davon, wie man 1664 den Neubau der Kirche in Angriff nimmt und trotz Kriegsnot 1674 zu Ende führt. Die Chronik erzählt von Festen und Gottesdiensten. von Pilgern und Gästen, darunter Prälaten aus Trier. Köln und Mainz. Beeindruckend die durch Zahlen belegte, bis Ende der 80er Jahre des 17. Jahrhunderts ständig steigende Beichthäufigkeit. Gegenstand der Verehrung ist das als wundertätig geltende große Kreuz aus der alten Kapelle. 1652 werden Kreuzpartikeln aus der Pfarrkirche Ahrweiler zum Calvarienberg übertragen und den Franziskanern überlassen. Später ist die Rede vom Ordensgewand des hl. Franz und von einer Reliquie des hl. Hubertus. 1671 erwähnt die Chronik zum ersten Mal den hl. Antonius von Padua. auf dessen Fürsprache gestohlenes Geld noch am gleichen Abend zurückerstattet wird. Ausführlich berichtet die Chronik 1679 von drei auffälligen Gebetserhörungen nach Anrufung des hl. Antonius.

Der Patron Bayerns und der bayrischen Pfalz-Neuburger

1680 gebietet der Franziska-nerprovinzial durch Rundschreiben allen Ordensangehörigen besondere Gebete zur Gottesmutter und zum hl. Antonius für Herzog Johann Wilhelm von Pfalz-Neuhurg. den volkstümlichen Jan Weilern in Düsseldorf, der seit 1678 mit der Erzherzogin von Österreich verheiratet und noch ohne den gewünschten Erben ist. Die Pfalz-Neuhurger. eine Nebenlinie der bayrischen Wittelsbacher. erwarben nach dem Jülich-Kleveschen Erbfolgekrieg 1614 das vereinigte Herzogtum Jülich-Kleve-Berg und waren somit auch die Herren des südlichsien Zipfels der jülichschen Besitzungen, der Grafschaft Neuenahr und des Amtes Remagen-Sinzig. wogegen Ahrweiler und das Amt Altenahr zum Kurfürstentum Köln gehörten. In ihrer Residenzstadt Düsseldorf begannen die Pfalz-Neuburger mit Eifer die Erneuerung des katholischen Glaubens durch Niederlassungen der Kapuziner. Jesuiten und Franziskaner. Der Vater Jan Wellems förderte ab 1655 den Bau von Kirche und Kloster zu Ehren des hl. Antonius von Padua, seit 1805 Pfarrkirche mit den Patronen St. Maximilian und St. Josef (Schürmann, 3). Die enge Beziehung der Düsseldorfer Pfalz-Neuburger zum Calvarienberg in Ahrweiler erhellt aus den Eintragungen der Chronik zu den Jahren 1658, 1659 und 1661, daß die Großmutter Jan Wellems, Maria Franziska, Herzogin von Jülich. von Sinzig nach Ahrweiler gepilgert ist (im April 1658 wurde Jan Weilern in Düsseldorf geboren). Die Pfalz-Neuburger wetteifern mit den bayrischen Herzögen in der Verehrung des hl. Antonius von Padua. Ausgangspunkt dieser Verehrung nördlich der Alpen ist München. Kaiser Ludwig der Bayer überbrachte 1530 den Münchener Franziskanern eine große Oberarmreliquie des hl. Antonius aus Italien. Die alte Münchener Antoniuskirche stand am heutigen Max-Joseph-Platz (Gran. 12). die hochverehrte Reliquie befindet sich heule in der Klosterkirche St. Anna am Lehel. Durch Vermittlung der bayrischen Herzöge bestätigte Papst Drban VIII. 162 5 die Errichtung einer selbständigen Ordensprovinz der bayrischen Franziskaner "unter dem Schutz des hl. Antonius" als "Provincia Bavariae Sancti AnTonii de Padua" (Schlund. 107 f"). In barocker Frömmigkeit stellt Kurfürstin Adelheid Henriette Maria ihre Kinder unter den besonderen Schutz des hl. Antonius: Maximilian Emmanuel, 1679 Kurfürst von Bayern, und Josef Clemens. 1688 Erzbischof von Köln. fühlen sich zeitlehens dem Heiligen verbunden und fördern seine Verehrung nach Kräften.

Kriegswirren und neue Frömmigkeitsformen

Bei der Besetzung des Kölner Bischofsstuhles 1688 interveniert Frankreich mit Waffengewalt zugunsten des Straßburger Bischofs Wilhelm Egon von Fürstenberg. Vorspiel des bis 1697 dauernden Pfälzischen Erbfolgekrieges Lud-wigs XIV. Die Chronik des Calvarienbergs berichtet von französischer Besatzung. Kriegsgreueln, Plünderungen und Einäscherung der Stadt Ahrweiler 1689. ein Jahr später von der Einäscherung Altenahrs samt 18 nördlich gelegenen Dörfern durch fünf französische Kompanien. Die Burg Kreuzberg wurde schon 1686 von durchziehenden französischen Heeren zerstört. Ausführlicher als über die Kriegswirrcn informiert die Chronik in den Jahren 1687 bis 1690 über erstaunliche Heilungen körperlicher und seelischer Leiden nach Anrufung des hl. Antonius. Jetzt spricht die Chronik nicht mehr nur von hl. Messen, sondern auch von "Novenen zu Ehren des hl. Antonius von Padua". Aus anderer Quelle (Schlund. 112) wissen wir. daß es sich bei solchen „Antoniusnovenen" mitunter nicht nur um Gebet an neun aufeinanderfolgenden Tagen handelt (nach dem Vorbild der Apostel. die in den neun Tagen von Christi Himmelfahn bis Pfingsten die Gabe des Heiligen Geistes erflehten), sondern um Gebete. Gottesdienste oder Bußübungen an neun aufeinanderfolgenden Dienstagen. Ende des 17. Jahrhunderts. als die Verehrung des Antonius von Padua nördlich der Alpen und vor allem im Rheinland aufblüht und allmählich den Kult des Wüstenvaters Antonius verdrängt. entsteht der Brauch, jeden Dienstag als "Antoniusdienstag" zu begehen, in Erinnerung an den Tag der feierlichen Beisetzung des Heiligen in Padua am 17. Juni 1231, der ein Dienstag war (LThK 1930, Bd. I. Spalte 518).

Das Wissen um den Antoniusdienstag veranlaßte den Verwalter der Marienkapelle Pützfeld, die wöchentliche Wallfahrtsmesse auf Dienstag nachmittag (15.00 Uhr) festzulegen.

Die Wallfahrtskapelle als Ort der Glaubenserneuerung

Eigentümlich für die figuren-reiche frühbarocke Ausstattung der Wallfahnskapelle Pützfeld ist, wie andernorts beschrieben (Ruland, 128 f). daß die einzelnen Statuen sich entweder auf das ortsansässige Stifterpaar beziehen oder sich einem zum damaligen Zeitpunkt erstaunlich modernen thcologisch-katechetischen Gesamtkonzept unterordnen. d.h. das Figurenprogramm will in erster Linie belehren - und durch Maria und die ausgewählten Heiligen zu Christus hinführen. Wie kaum eine andere Gestalt fügt sich diesem Programm der erste Theologe aus dem Franziskanerorden ein. So wird hier auch deutlich, daß die Pützfelder Kapelle nicht als Zufluchtsort in körperlichen Leiden. d.h. als Pestkapelle errichtet wurde (gegen Backes. 4), wo die Gestalten des Sebastian. des Rochus und/oder des Einsiedlers Antonius nicht hätten fehlen dürfen, sondern hier soll in Glaubensnot geholfen und der "Pest des Unglaubens" gewehrt werden. Diese Bedeutung eignet der Kapelle heute nicht weniger als im ausgehenden 17. Jahrhundert. als sie errichtet wurde.

Quellen und Literatur: