Forstwirtschaft in den Gemeindewäldern des Amtes Sinzig um 1880

Stephan E. Braun

„Am besten hat's die Forstpartie, der Wald der wächst auch ohne sie!"

Dieser meist scherzhaft gebrauchte Satz verkennt, daß die Wälder, welche wir heute vorfinden, das Ergebnis der Arbeit von mehreren Generationen Forstleuten und verantwortlichen Waldbesitzern sind. Denn in der Forstwirtschaft muß anders als in der Landwirtschaft mit langen Produktionszeiträumen geplant werden.

Wir gehen heute von Umtriebszeiten (Produktionszeitraum von der Bestandsbegründung bis zum erntereifen Stamm) von mindestens 100 -120 Jahren aus (z.B. bei der Fichte). Zum Teil benötigen Baumarten 200 Jahre und mehr (Eiche) bis sie ihr Erntealter erreicht haben.

Derartig lange Zeiträume bedingen eine langfristige Planung für einen Waldbestand und eine kontinuierliche Pflege, trotz sich wandelnder politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.

Diese unterschiedlichen Anforderungen an den Wald, erfordern auch unterschiedliche Wirtschaftsweisen zu unterschiedlichen Epochen.

Trotzdem verfolgt die deutsche Forstwirtschaft seit über 200 Jahren eine „nachhaltige" Wirtschaft, d. h. es darf nur soviel genutzt werden wie nachwächst. Dieser Nachhaltigskeitsgedanke dient heute anderen Wirtschaftsbereichen als Vorbild.

Die Waldbestände, welche heute erntereifes Holz liefern und nebenbei wichtige Funktionen für die Erholung und den Naturhaushalt erfüllen, wurden vor ca. 100 - 150 Jahren begründet. Im folgenden soll die Forstwirtschaft in den Gemeindewäldern des damaligen Amtes Sinzig im Jahre 1880 dargestellt werden, wobei Vergleiche zur heutigen Situation gezogen werden.

Betriebliche Verhältnisse

Im Jahre 1788 wurden die Märkerbüsche (=Gemein-schafrswald der Bürger) Müh-lenberg und Ziemert/Aulen-berg, sowie der Stadtwald Harterscheid auf die fortan selbständigen Gemeinden Sin-zig, Coisdorf, Löhndorf und Westum aufgeteilt.

Seit 1969 bilden diese vier Gemeindewaldungen wieder einen einheitlichen Forstbetrieb - den Stadtwald Sinzig. Im Jahre 1881 stellt sich die Gesamtgröße der Forstbetriebe wie folgt dar:

Sinzig 427 ha
Coisdorf 65 ha
Westum 182 ha
Löhndorf 206 ha
SA: 880 ha

Der Förster war zuständig für den Forstschutz vor Ort. vor allem sollte er Holzdicbsiahl und sonstigen Forst- und Waldfrevel verhindern sowie die Organisation, Kontrolle und Abrechnung der Waldarbeiten (Holzernte, Kulturarbeiten) durchführen. Daneben beaufsichtigte er auch die Arbeiten an Gemeindewegen im Revier und in der Nähe des Forsthauses Dachsbach. Als Entschädigung für diese zusätzliche Dienstpflicht beschlossen die Stadtverordneten 1883, daß der Förster den Grasaufwuchs an etwa 300 Schritt Wegeböschung unentgeltlich nutzen durfte.

Die waldbesitzenden Gemeinden des Revieres hatten die anteiligen Beförsterungs- und Verwaltungskosten an die Amtskasse Sinzig zu leisten. welche die Besoldungsbezüge an den Förster auszahlte. Als Nebenerwerb betrieb der Forstbeamte (wie damals allgemein üblich) eine kleine Landwirtschaft: das Dienstland lag in unmittelbarer Nähe des Forsthauses. Das Forsthaus Dachsbach und das Dienstland sind heute nicht mehr im Eigentum der Stadt Sinzig, und Forstbe-amtc betreiben heutzutage normalerweise keine Nebenerwerbslandwirtschaft mehr, sondern werden als Diplomingenieure (FH) als Beamte des gehobenen Dienstes besoldet. Auch die alte traditionelle Dienstbezeichnung "Revierförster" mußte mittlerweile offiziell dem "Forstinspektor" weichen.

Vorgesetzter war 1881 der Gemeinde-Oberförster in Ahrweiler, welcher als technischer Verwalter des Waldeigentums der Gemeinden u. a. für die Ertragsermittlung der Waldungen sowie für die Erstellung der Hauungs- und Kulturpläne zuständig war.

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Ohne des Einsatz der Motorsäge ist die Forstarbeit heute kaum noch vorstellbar

Die Bürgermeister waren für den Holzverkauf und die Lohnauszahlung an die Waldarbeiter verantwortlich.

Waldarbeiter

Der Waldarbeiterstand in jener Zeit setzte sich v. a. aus Bauern der umliegenden Dörfer zusammen, welche im Winter, wenn in der Landwirtschaft wenig Arbeit anfiel, im Wald den Holzeinschlag durchführten. Es handelte sich also. anders als heute, nicht um festangestellte ausgebildete Arbeiter, sondern um Saisonarbeitskräfte. Jugendliche und „Anfänger" wurden damals in der Gruppe (Waldarbeiterrotte) von allen, erfahrenen "Holzhauern" angelernt. da es keine Berufsausbildung zum Forstwirt gab. Die Rotte setzte sich meist aus Männern eines Dorfes oder Gemeinde (i.d.R. des jeweiligen Waldbesitzers) zusammen. Die Arbeiten wurden „verakkordiert". d. h. die Lohnhöhe bemaß sich an der Menge des eingeschlagenen Holzes. Bei der Holzernte herrschte reine Handarbeit, die wichtigsten Werkzeuge waren Fällsäge, Axt und Keile.

Beim Fällen eines Baumes mußte zuerst der Fällkerb mit der Axt angelegt werden, dieses war eine schwierige Arbeit, da quer zur Holzfaser geschlagen werden mußte und setzte von daher Geschick und eine gewisse Technik voraus. Anschließend wurde der Baum abgesägt, auf jeder Seite der „Drummsäge" zog ein Arbeiter, falls notwendig wurden noch an die Griffe Seile gebunden, so daß ein zusätzlicher Mann an jeder Seite mitziehen konnte. Die heute eingesetzten Motorsägen fanden ihre Verbreitung in den Sinziger Wäldern in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts.

Da Holz knapp und wertvoll war. durften keine hohen Baumstümpfe stehen bleiben. sondern es mußte dicht über dem Boden abgesägt werden. so daß die Arbeit kniend verrichtet wurde. Schulzausrüstung wie Helm und Schnittschutzhose oder Wetterschutzbekleidung waren unbekannt. Die Bäume wurden je nach Stärke in Stämme und Schichtholz aufgearbeitet. Nach Fertigstellung wurde das Holz vom Förster aufgemessen und numeriert, damit es anschließend verkauft oder versteigen werden konnte und die Entlohnung der Waldarbeiter möglich war.

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Das Aufladen von Eichenstämmen für die Weiterverarbeitung in Sägewerken

Holztransport

Aus dem Wald mußte das Holz mit Fuhrwerken transportiert werden. Eine systematische Erschließung des Waldes mit Winsehaftswegen war nicht vorhanden. Bei den Wegen handelte es sich meist um unbefestigte Verbindungswege zwischen Dörfern, welche als Abfuhrwege benutzt wurden. Im Hanerscheid waren dies der ..Hebammenpfad" zwischen I.öhndorf und Königsfeld, der Weg zwischen Wes-tum und Königsfeld, zwischen Coisdorf und Königsfeld, der Löhndorfer und der Westumer Gestellweg, die „Alte Straße". der „Dedenhacher Butterweg" und die Straße Ahrenthal -Königsfeld. Der Mühlenberg war durch die zwei Hauptwege Sinzig - Heimersheim mit einigen Abzweigungen (v. a. Richtung Löhndorf und Bodendorf) erschlossen. Über den Ziemet fühne der Weg Sinzig - Mönchsheide und über den hinteren Aulenberg ein Weg von Ahrenthal nach Niederbreisig. Im Gelände lassen sich noch heute alte „Fuhr- und Schleifwege" durch Vertiefungen oder Hohlwege erkennen.

Man fuhr mit dem Pferdeoder Ochsengespann kreuz und quer durch die Waldbestände, möglichst den kürzesten Weg zum Holz. Brücken und Durchlässe an Bächen waren nicht vorhanden; an seichten Stellen querten die Wege das Bachbett mittels einer Furt. Eine solche Furt befand sich z. B. im Löhndorfer Wald. wo der Löhndorfer Gestellweg den ..Furth(!)bach" kreuzte. Der heutige Durchlaß und Damm wurde in diesem Jahrhundert erbaut.

Bei den damaligen - aus heutiger Sicht abenteuerlichen -Verkehrsverhältnissen konnte das Holz nur über relativ kurze Strecken transportiert werden. Ferntransport war nur mit der Eisenbahn möglich. Heute verkauft der Forstbetrieb der Stadt Sinzig Holz an Sägewerke, Furnierwerke und sonstige Holzabnehmer in ganz Deutschland und ins benachbarte Ausland (v.a. Belgien, Niederlande). Dieses Holz wird mit 40-Tonnen-Last-kraftwagen aus dem Wald direkt ins jeweilige Werk transportiert. Hier bietet der Autobahnanschluß einen gewissen Standortvorteil. Die heutigen Waldwirtschaftswege müssen ganzjährig mit LKW befahrbar sein und einerseits den Wald systematisch erschließen, andererseits einen guten Anschluß an das öffentliche Straßennetz haben. Holztransport mit der Eisenbahn (Verladung früher in Sinzig, heute in Bad Neu-enahr) findet nur noch in Ausnahmefällen statt (z.B. Export nach Skandinavien). Das Brennholz wurde früher fast komplett in der jeweiligen Gemeinde genutzt, und auch das Bauholz kam meist aus dem eigenen Gemeindewald.

Waldaufbau

Im Jahre 1880 lassen sich im Revier Sinzig zwei Betriebsarten unterscheiden: Hochwald und Niederwald. Der Unterschied beruht in der Entstehung des Bestandes. Unter Hochwald verstehen Forstleute Wald, bei welchem die Bäume aus Samen aufgelaufen sind, im Gegensatz zu Niederwald, wo die Bäume aus Stockausschlägen (Schößlingen aus den Wurzelstöcken von gefällten Bäumen) entstanden. Stockausschlagsver-mögen zeigen nur die Laubbäume.

Wirtschaftsziel im Hochwald ist die Produktion von wertvollem starkem Holz, mit langer Umtriebszeit (z.B. für Bauholz), im Niederwald die Produktion von dünnerem Holz innerhalb kürzester Zeit (z.B. für Wingcrtspfähle oder Brennholz).

1. Hochwald

Der gesamte Distrikt Harterscheid und ein Teil des Aulenberges jenseits des Gappenta-les wurden um 1880 als Hochwald bewirtschaftet. Die Bestände wurden hauptsächlich natürlich verjüngt, d. h. es wurden keine Sämlinge gepflanzt, sondern die nachfolgende Baumgeneration entstand aus dem Samen des Altbestandes. Dieses bedingte eine längere Verjüngungsdauer, denn die Altbestände konnten nicht innerhalb eines Jahres kahlgeschlagen werden, sondern wurden je nach Samenabfall und Fortschritt der Verjüngung kontinuierlich aufgelichtet, planmäßig wurde bei Buche und Eiche ein Zeitraum von ca. 20 Jahren für die komplette Verjüngung auf einer Fläche angestrebt.

Die Umtriebszeiten lagen zwischen 120 Jahren bei Buche und 140 - 160 Jahren bei Eiche. Anders als in vielen anderen rheinischen Gemeindewäldern, welche erst mit der Übernahme des Rheinlandes durch Preußen nach jahrhundertelanger Übernutzung, Be-weidung und Zerstörung systematisch im 19.Jahrhundert neu aufgebaut werden mußten, wies der gesamte Distrikt Harterscheid 1880 bereits einen hohen Anteil von über 100jährigen Altbeständen auf. Hauptbaumarten waren Eichen (traditionell Bauholz, Schreiner- und Stellmacherholz) und Buche (Brenn- und Köhlerholz), als Mischbaumart kam in fast allen Beständen die Hainbuche (hartes, zähes Holz für die Werkzeugherstellung) vor.

Als vierte wichtige Laubbaumart stockte die heute fast unbedeutende Aspe (Zitterpappel) in einigen Beständen. Diese Pionierbaumart, welche sich in aufgelichteten Beständen ansiedelt, war 1880 noch ein Relikt aus der Zeit des Überganges von Waldweide-wirtschaft zur „geregelten Forstwirtschaft" ca. 100 Jahre früher, als die Wälder stark verlichtet waren.

Die Nadelhölzer (Fichte. Kiefer, Lärche, Tanne) kamen jeweils nur in Einzelmischung in Laubholzbeständen, bzw. in kleinen Reinbeständen vor. entstanden meist durch Auspflanzen von Lücken in Laubholz-Naturverjüngungen. Die flächenhafte Umwandlung von Laub- in Nadelholzbestände erfolgte im Sinziger Wald erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die Baumartenverteilung stellt sich heute wie folgt dar:
34 % Buche, 17 % Fichte, 27 % Eiche. 12 % Kiefer. 3 % sonst. Nadelholz (v.a. Lärche Douglasie), 7 % sonst. Laubholz (Hainbuche. Ahorn. Esche. Erle).

2. Niederwald

Im Jahre 1880 waren die Gemeindewälder in den Distrikten Aulenberg/Ziemet und Mühlenberg komplett mit Eichen-Niederwald bestockt. Die Niederwälder lieferten die begehrte Lohrinde für die Le-dergerbung. Hierzu wurden die Gemeindewälder Sinzig, Löhndorf und Westum in jeweils 18, der Gemeindewald Coisdorf (wegen seiner geringen Größe) in 9 gleich große Schläge aufgeteilt, in ersteren wurde jährlich, in letzteren im 2jährlichen Turnus jeweils in einem solchen Schlag alle Eichen (die dann jeweils Ißjährig waren) im April/Mai, wenn der Saftfluß zwischen Holz und Rinde am stärksten ist. geschält. Wichtig war, daß die Rinde an einem Stück mit den sogenannten „Lohlöffel" vom Stämmchen abgetrennt wurde. Die Rindenstücke wurden dann zum Trocknen im Wald aufgestellt und später verkauft bzw. versteigert. Die geschälten Stämme wurden als Brennholz genutzt. Diese Lohrindengewinnung war für die Gemeinden eine lukrative Einnahmequelle, so daß auch in unwegsamem Gelände (wie z.B. in den Steilhängen zum Harbach) der Niederwaldbetrieb rentabel war.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts und der Einführung von Ersatzstoffen und synthetisch hergestellten Gerbmitteln für die Ledergerbung, wurde die Niederwaldbewirtschaftung im Sinziger Wald, wie in der gesamten Rheinprovinz bedeutungslos.

Der heute im Stadtwald Mühlenberg noch vorhandene hohe Eichenanteil (trotz großflächiger Umwandlungen von ehemaligen Niederwaldbeständen in Fichten- und Kiefernwälder) resultiert aus der Förderung der Eiche zu jener Zeit. Denn obwohl die Buche gegenüber der Eiche auf diesen Standorten meist wuchskräftiger ist, dominiert die Eiche in den Altbeständen, welche aus den damaligen Niederwaldbeständen durchgewachsen sind.

Als Gegensatz stocken im angrenzenden Kleinprivatwald fast reine Buchenbestände. Hier herrschen zwar die gleichen Standortverhältnisse wie im Kommunalwald, aber die Bauern bevorzugten in ihren privaten Wäldern die Buche. da diese als Brennholz begehrter war. So kann der aufmerksame Waldbesucher noch heute die Auswirkungen von unterschiedlicher Waldbewirtschaftung und unterschiedlichen Ansprüchen an den Wald vor über 100 Jahren in den jetzigen Beständen erkennen. wobei trotz der Unterschiede die Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsweise immer oberstes Ziel war.

Nachhaltige Forstwirtschaft kann aber nur funktionieren, wenn jede Generation nur soviel für sich vom Wald in Anspruch nimmt, wie sie auch bereit ist, für ihre Nachkommen zu investieren. Die Gemeinden Sinzig, Löhndorf, Westum und Coisdorf waren sich dieser Verantwortung bewußt, wie die herrlichen Waldbilder im Stadtwald Sinzig heutzutage zeigen, denn genau wie heute galt schon damals: „Wir haben die Wälder nicht geerbt, sondern von unseren Enkeln geliehen!"

Literatur und Quellen:

  • Delaforgue: Wirtschaftskarte für die Gemeindewaldungen Sinzig, Coisdorf, Löhndorf und Westum, 1881

  • Hachenberg, Friedrich: 2000 Jahre Waldwirtschaft am Mittelrhein, Koblenz 1992

  • Hausrath, Hans. Der deutsche Wald, Leipzig 1914.

  • Haffke, Jürgen und Koll, Bernhard (Hrsg.): Sinzig und seine Stadtteile, Sinzig 1983.