Das Handwerk im Kreis Ahrweiler seit dem Zweiten Weltkrieg

M a r l i s    F ö h r

Leistungsfähiges Handwerk ist ein Stabilisierungselement unserer Wirtschafts- und Sozialordnung und neben der Industrie ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Als größte "Lehrwerkstatt der Nation" ist es ein zuverlässiger Panner junger Menschen. wenn es um ihre Ausbildung geht. Gut funktionierende Handwerksunternehmen versorgen die Bevölkerung mit Gütern und Leistungen. Sie sind als Partner der Industrie gleichzeitig deren Zulieferer und ausführender Teil für Instandsetzung und Instandhaltung industrieller Erzeugnisse. Das Handwerk ist durch nichts zu ersetzen, da Spezialwissen. qualifizierte Arbeit und individuelle Leistung die wichtigsten Voraussetzungen zur Führung eines Handwerksbetriebes darstellen.

Mit seinen insgesamt 126 verschiedenen Berufen steht das Handwerk für Vielseitigkeit. Tradition und Kreativität. Die technische Entwicklung hat es heute möglich gemacht, daß für körperlich schwere Arbeiten erleichternde Hilfsmittel und Maschinen zur Verfüg-gung stehen. Damit bleibt das Handwerk nicht länger nur ..Männersache", sondern auch Frauen haben gute Chancen.

Der Kreis Ahrweiler kann heute mit insgesamt 1541 in die Handwerksrolle eingetragenen Handwerksbetrieben (31.12. 1997) ein gut ausgebautes Netz qualifizierter Unternehmen vorweisen, die auch das Resultat der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg sind.

Aufbauphase Baubranche

1945 waren viele Betriebe ruiniert. mußten wieder instandgesetzt und vielfach neu gegründet werden. Zahlreiche Meister und Gesellen waren im Krieg geblieben oder kehrten gesundheitlich so angeschlagen zurück, daß an eine schwere Arbeit nicht mehr zu denken war. Arbeitsmaterial war knapp und wurde zum Teil aus Trümmern „reaktiviert".

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Fliesenleger bei der Arbeit.

Ganz oben auf den Prioritätenliste stand die Instandsetzung der zerbombten Wohnungen, damit die Menschen, die unter vielen Mangelerscheinungen litten, wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Auch an zerstörten Krankenhäusern, Schulen. Geschäften und Betrieben mußten die Kriegsschäden behoben werden. Das konnte nur bewerkstelligt werden mit einem enormen Arbeitseinsatz, wobei der Begriff „Überstunden" noch ein Fremdwort war. 60 und mehr Stunden pro Woche waren keine Seltenheit. Man wollte den Neuanfang und war bereit. sich mit seiner ganzen Arbeitskraft einzubringen.

Nach dem Wiederaufbau der industriellen Fertigungsanlagen konnten die Handwerker der Baubranche wieder das notwendige Material kaufen und verarbeiten. In der Anfangszeit hatten sich viele dies trotz Verbots auf dem Schwarzmarkt oder durch „Beziehungen" besorgen müssen.

Dagegen mußten sich die Betriebe auf dem Nahrungsmittelsektor. vor allem Bäcker und Fleischer, noch längere Zeit mit der Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel herumschlagen.

Der Bedarf an Wohnungen. Schulräumen und Krankenhäusern stieg enorm. Vieles lohnte nicht mehr aufgebaut zu werden, war restlos veraltet und mußte neuen fortschrittlicheren Bauten weichen, die auf dem neuesten Stand der Technik waren.

Die Bevölkerungszahlen nahmen trotz der vielen Kriegto-ten durch Flüchtlinge aus den Ostgebieten, Ausgebombte aus den Städten, auf dem Lande zu. Die Schulen platzten aus ihren Nähten und wurden durch Provisorien vorübergehend entlastet.

Den Meistern und ihren Mitarbeitern wurde in der Aufbauphase das Äußerste abverlangt. Das Lehrlingsangebot wurde knapp, gute Fachkräfte rar. In dieser Phase kamen Betriebsgründungen gerade recht: Junge Meister, die in Abend- und Wochenendkursen ausgebildet worden waren, wollten an den Wiederaufbau-Boom teilhaben und gründeten Firmen.

Damals konnte der kaufmännische und berufspädagogische Teil der Meisterprüfung über die Kreishandwerkerschaft bei den Berufsbildenden Schulen in Bad Neuenahr-Ahrweiler absolviert werden. Für den fachtheoretischen Teil der Ausbildung fuhren die angehenden Meister damals noch zur Handwerkskammer nach Koblenz. Meisterschulen wurden eher selten besucht, da man nicht gleichzeitig neben der Schule auch noch seiner Arbeit nachgehen konnte.

Das Anwachsen der Betriebe, besonders im Bau- und Bauausbaugewerbe. brachte einige Unruhe an der ..Preisfront" mit sich. Darüber hinaus mischten auch immer häufiger im Kreis Ahrweiler wie auch anderswo Anbieter aus den umliegenden Städten und Kreisen bei großen Bauobjekten mit. Im Bonner und Kölner Raum waren aber auch Firmen aus dem Kreis Ahrweiler beschäftigt.

Zum Nahrungsmittelsektor

Die Nahrungsmittel verarbeitenden Betriebe profitierten nach den entbehrungsreichen Jahren der Kriegs- und Nachkriegszeit ab der Währungsreform im Jahre 1948 von der Lust am Essen. Die „Fresswelle" bescherte ihnen gute Umsatzzahlen.

Wir können uns heute noch an die vielen Bäckereien -meist Klein- und Kleinstbetriebe - in unseren Städten. Gemeinden und Dörfern erinnern. Heute hat leider nicht mehr jeder Ort im Kreis Ahrei-ler eine Bäckerei oder ein   Lebensmittelgeschäft. Die Grundversorgung auf dem Lande erfolgt nicht mehr vor Ort, sondern im nächsien Mittelzentrum oder durch rollende Läden. Supermärkte sind gleichsam aus dem Böden geschossen. In ihnen Finden wir Verkaufsstellen von Großbäckereien. Vielfach haben Supermärkte auch eigene Bäckereien, die ständig frisches Brot. Brötchen und Kuchen in großer Vielfalt anbieten.

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Blick in die Backstube.

Ähnlich sieht es bei den Fleischern aus. Nur noch wenige Metzger im Kreis schlachten selbst, sie verarbeiten vielmehr das Fleisch, das ihnen von Großschlachtereien angeboten wird.

Das Bekleidungshandwerk

Als es in der Nachkriegszeit aufwärts ging, bekamen die Frauen Lust auf neue Frisuren. Zöpfe wurden abgeschnitten und Locken, mit oft abenteuerlichen Techniken ..fabriziert", waren „in". Anstelle der aus alten Kleidern. Anzügen. ja aus Uniformen und Decken genähten „Modellkleidern" mußten jetzt neue modische Anziehsachen her.

„Mann" ließ sich wieder einen Anzug schneidern. Die Damen standen den Herren mit ihren Wünschen nicht nach.

Noch war es auch üblich, seine Schuhe zum Schuhmachermeister zum Besohlen zu bringen oder sich bei "Problemfußen" gleich neue Schuhe anfertigen zu lassen. Heute ist dies völlig anders geworden. Das Schneiderhandwerk, welches nach dem Zweiten Weltkrieg noch mit zwei Innungen (Damen- und Herrenschneider-/innen) im Kreis Ahrweiler vertreten war, mußte inzwischen wegen Auftragsmangel aufgeben. Seit den 60er Jahren kauften die Leute billiger und öfter von der "Stange" und brauchten den früher so geschätzten Beruf nicht mehr. Die Geschäftsaufgaben hatten die Konsequenz, daß es im Kreis Ahrweiler auch seit Jahren keinen Ausbildungsplatz für Schneider-/innen mehr gibt.

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Schreinermeister in der Werkstatt

Holzverarbeitung

Gravierende Veränderungen standen auch in anderen Branchen an. So konnten holzverarbeitende Betriebe als Kleinbetriebe kaum mehr bestehen. Meist war ein gewaltiger Maschinenpark nötig, umeinen Beirieb noch wirtschaftlich führen zu können. Dabei waren neben handwerklichen auch technische und elektronische Kenntnis unumgänglich.

Die Kreishandwerkerschaft

Das Handwerk des Kreises Ahrweiler wird vertreten durch die Kreishandwerkerschaft. Als Körperschaft des Öffentlichen Rechts muß sie u.a. die Gesamtinteressen des selbständigen Handwerks wahrnehmen, die Behörden bei Maßnahmen im handwerklichen Bereich unterstützen. Auskünfte, Gutachten und Anregungen vorgeben sowie als Bindeglied zwischen den einzelnen Institutionen des Handwerks füngieren. In der Kreishandwerkerschaft Ahrweiler sind 13 Innungen zusammengeschlossen:

Bäcker-Innung, Baugewerbs-Innung, Elektro-Innung, Fleischer-Innung. Friseur-Innung, Klempner- und Installateur-Innung, Kraftfahrzeuginnung. Maler- und Lackiererinnung. Metallhandwerkerinnung. Raumausstatter-Innung. Schuhmacher- und Bekleidungshandwerk-Innung, Tischler-Innung, Zimmererinnung.

Entwicklung der Handwerksbetrieb im Kreis Ahrweiler seit 1992
(Die Angaben beziehen sich nur auf die in der Kreishandwerkerschaft Ahrweiler organisierten Innungen)

  Mitgliedsbetriebe Mitarbeiter dav. Auszubildende Lohnsummen
1992 697 2726 575 101.900.000,-
1993 693 4015 569 113.791.958,-
1994 690 3786 640 123.778.078,-
1995 688 3720 585 126.997.666,-
1996 669 2572 672 135.571.996,-
1997 660 3455 675 137.700,783,-

Innungsaustritte aus der Kreishandwerkerschaft erfolgen meistens wegen Aufgabe des Betriebes, sei es aus Altersgründen oder wirtschaftlichen Ursachen. Neuzugänge können selten die Betriebsschließungen wettmachen. Der Nachwuchs im Handwerk kommt immer weniger aus der eigenen Familie, was früher eine Selbstverständlichkeit war. Die Bereitschaft Lehrlinge auszubilden, ist nach wie vor groß, auch bei der Ausbildung über den eigenen Bedarf hinaus. Trotz insgesamt gesunkener Mitarbeiterzahlen sind die Aurwendungen für Löhne gestiegen, vor allem die Lohnnebenkosten belasten die Betriebe.

Handwerk hat Perspektive

Die Bevölkerung des Kreises Ahrweiler ist ständig gestiegen, die Zuwächse zählen zu den höchsten in Rheinland-Pfalz. Im Jahre 1939 lebten im Kreis Ahrweiler rund 74.000 Menschen. Ende 1997 waren es 127.566. Diese Menschen wollen versorgt werden, brauchen Wohnraum und sind auf zahlreiche qualifizierte Handwerksbetriebe angewiesen. Das berechtigt zu der Prognose, daß das Handwerk auch in Zukunft weiter mit einer positiven Entwicklung rechnen kann. Dank der fortschrittlichen Ausbildung, beruflicher Vielfalt und guter Aufstiegschancen wählen verstärkt neben Haupt- und Realschülern auch Abiturienten Handwerksberufe, weil sie dort eine gute berufliche Perspektive sehen.

Zu allen Zeiten hat das Handwerk auch im Kreis Ahrweiler seine erstaunliche Anpassungsfähigkeit bewiesen und die Anforderungen und Probleme der Zeit und des technischen Fortschritts nicht nur bewältigt, sondern sich auch dienstbar gemacht.

Sorgfalt und ständige Qualitätskontrolle werden dem Handwerk im Kreis Ahrweiler auch in Zukunft seinen hervorragenden Ruf und seine große wirtschaftliche Bedeutung sichern.

Jeder tüchtige Handwerker kann in der Regel mit einem sicheren Arbeitsplatz rechnen. Für das Handwerk im Kreis Ahrweiler gilt auch heute noch das Dichterwort von Johann Wolfgang von Goethe:
„Allem Leben, allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk vorausgehen."