„Für die Wolle gibt es nur noch ein paar Groschen"

Schafhaltung heute

Manfred Reinnarth

„Kuuam!" Ein langgezogener Ruf hallt durch den Morgennebel, schon kommen die Schafe gelaufen. Wie neugierige Schulkinder scharen sie sich um die 33jährige und erwarten nun den Umzug auf die neue Weide. Mehrere hundert Tiere gehören zu der Merino-Herde. Die Lämmer staksen unbeholfen ihrer Mutter hinterher. Zwischen dem Bentgerhof bei Birresdorf und einer Fläche kurz vor Lind an der Mittelahr sind sie zu Hause. Zweimal täglich fressen sie. Petra Brezing aus Bengen hütet ihre Schafe so, daß die Wiesen nicht leiden, aber dennoch so abgegrast werden. daß sie nicht verbuschen. Und da hat sich nicht viel geändert. Gerade in diesem Moment benutzt sie die Metallspitze ihres Hirtenstabes, um Sprößlinge von Bäumen aus dem Erdreich herauszuheben, die sich selbst gesät haben. Genauso haben es die Schäfer vor Jahrhunderten auch gemacht. Dazu stößt sie die Spitze des Stockes, die wie eine kleine Schaufel geformt ist, ins Erdreich, hebt die junge Pflanze mit einem gekonnten Dreh heraus und wirft sie weg. Dann klingelt das Telefon. Ja, ganz recht. Die Schäferin hat ihr Handy dabei. Denn alles ist doch nicht wie früher. Die Technik hat die Schäferin eingeholt. und auch sie ist gezwungen mit der schnellebigen Zeit mitzuhalten.

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Die Schäferin Petra Brezing mit ihrer Schafherde

Als Kind Lämmer mit der Flasche großgezogen

Daß Petra Brezing aus dem Schwarzwald stammt, ist nicht zu überhören. Erst seit fünf Jahren lebt sie in der Grafschaft. Sie stammt aus einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit drei Kühen, zwei Schweinen, Hühnern... „Schon als Kind bin ich oft mit dem Schäfer gelaufen, habe Lämmer mit der Flasche großgezogen. Schäfer zu sein, war immer mein Traum", sagt sie. Nach einer Gärtnerlehre hat sie ihn sich erfüllt. Doch bald wurden im Schwarzwald die Flächen knapp, und so zog sie in den Kreis Ahrweiler. Der Lebensgefährte, Kurt Nieder-berger, ist selbst Schäfer und hat vor Jahren den Betrieb von Josef Krupp in Bengen übernommen. „Für eine normale Beziehung ist aber keine Zeit." Die Schafe wollen Tag und Nacht betreut werden. „Um 8 Uhr kontrolliere ich den Pferch und hüte bis 13 Uhr die Schafe. Dann ist Mittag - zumindest für die Tiere. Denn wenn es draußen keine Arbeit gibt. dann ist noch der ganze Papierkram zu erledigen", berichtet Petra Brezing. Und Papierkram gibt es eine Menge: Zuschüsse müssen ausfindig gemacht und beantragt werden. Bestandverzeichnis und Flächennachweis sind zu führen, Steuer und Sozialabgaben wollen ausgerechnet werden . . . Von 15 Uhr an muß die Schäferin wieder bei ihrer Herde sein. „Bis zur Dunkelheit geht es weiter. Wenn die Schafe satt sind -das merkt man daran, daß sie rülpsen -, dann ist Schluß."

Fleischproduktion trotz Überseekonkurrenz

Die Schafe von Petra Brezing werden alle irgendwann gegessen. „Trotz der Konkurrenz aus Neuseeland setze ich auf das Fleisch. Für die Wolle gibt's nur ein paar Groschen. Da käme ich nie auf meine Kosten." Die Schäferin selbst ißt sehr gerne Lammfleisch aus eigener Produktion. Noch stehen Schwarzkopfschafe in der Herde. Ich stelle aber ganz auf Merinos um, denn die sind nicht so lahm." Auch ein schwarzes ist dabei. „Das gehört meiner Nichte. Eigentlich habe ich das gar nicht so gerne, denn wenn es durch die Herde springt, denken die anderen, der Hund kommt, und rennen auseinander." Ansonsten lassen sich die Tiere nicht beirren. Da kann auch einmal ein Wanderer mit seinem Hund des Weges kommen. Und manchmal schon hat sich ein Reh zur Herde gestellt und genüßlich mitgeäst.

Die Tiere von Petra Brezing haben auch schon im Dienste der Landschaftspflege gestanden. Denn schon seit Jahren werden Schafherden wie die aus Bengen dazu eingesetzt, die typische Eifellandschaft in ihrer bekannten Form zu erhalten. „Ohne die Schafe würden die Weiden verbuschen und ihren Charakter verlieren", erklärt Marcus Mrass, Vorsitzender des Rheinischen Vereins in Bonn. der den Einsatz von Schafen fördert. Ein Biologe bewertet, wenn eine Herde weitergezogen ist. den Erfolg, und danach richtet sich auch die Bezahlung des Schäfers. Der Vorteil des Hütens: „Die Schafe haben im Gegensatz zu Pferden und Kühen kleine Hufe und ein schmales Gebiß. Sie beißen die Kräuter ab, ohne sie auszurupfen."

Rinder haben die Schafe abgelöst

So gerne Petra Brezing sich mit ihren Tieren in den Dienst der Landschaftspflege stellt, sie hat immer wieder einen Horror beim Gedanken an die Formalien: „Wer die Verträge entwirft, sollte sich einmal ein Jahr lang unsere Arbeit anschauen. Schafe sind keine Maschinen, die man an- und ausschalten kann. Die müssen irgendwie von Bengen aus zu den Grundstücken kommen." Von Stückzahlen. Verfügbarkeit und Preisen hätten die Behörden offenbar keine Ahnung. „Mit der Natur läßt sich kein Vertrag machen. Es gibt Sommer, da regnet es in einer Tour, und in anderen, da ist es schon früh heiß", sagt die Schäferin: "Dementsprechend müßte ich mal später oder mal früher auf die Weide, was aber bei vorgegebenen Beweidungszeiten nicht geht." Nur ein einziger Pferch, wie damals im Langfigtal sei eine Zumutung für die Tiere. Abgesehen vom Geld. das nur ausgezahlt wird. wenn die Mittel da sind, geht es um das Futter für die Tiere: „Die Schafe kommen bei mir immer zuerst, und die wollen nur immer abends genügend zu fressen haben." All diese Probleme haben dazu geführt, daß die Landespflege im Kreis Ahrweiler inzwischen Rinder statt Schafe einsetzt.

Gesetze erschweren die Arbeit

Überhaupt erleichtern gesetzliche Vorgaben die Arbeit eines Schäfers heutzutage nicht unbedingt. „Im Winter könnten die Schafe gut das überständige Altgras fressen, weil's dann auch wieder besser austreibt. doch das ist nicht gestattet." So ist die Schäferin gezwungen. selbst für Winterfutter zu sorgen. „Wir müssen auch zukaufen, aber das ist sehr teuer." Heu und Stroh gibt es also in dem Bengener Betrieb aus eigener Produktion. Die Wiesen müssen gedüngt werden - alles Arbeit, die irgendwann gemacht werden muß, wenn die Herde zufrieden im Pferch steht.

Und zu dieser Arbeit gehört auch die Suche nach Grundstückseigentümern im Grundbuch. „Denn ohne Einwilligung des Besitzers dürfte ich eigentlich gar nicht auf die Wiesen." Gerade im Vischeltal hat die Schäferin das Problem, daß die Grundstücke in unzählige kleine Parzellen zersplittert sind. „Wenn ein Besitzer schon 18hundertirgendwann geboren ist. läßt sich kaum noch ein Eigentümer ausfindig machen." Manchmal bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als mit ihrer Herde trotzdem über eine Fläche zu ziehen. „Es ärgert mich aber schon, wenn ich durch jahrelanges Hüten ein verbuschtes Stück wieder zu einer Wiese gemacht habe, und sich dann erst ein Besitzer meldet und mich nicht mehr drübergehen läßt," klagt die Schäferin. Pachtprobleme hat sie auch andernorts: „Die Jagd ist in dieser Gegend oft an sehr wohlhabende Leute verpachtet, die einen Schäfer als störend empfinden. Bei Hönningen, so sagt Brezing, hat ihr ein Jäger Land vor der Nase weggeschnappt, um sie vom Wald fern zu halten.

Auf der Straße geht es ohne Hilfe nicht

Von Mitte Juli bis Mitte Januar ist die Herde unterwegs. Straßen müssen auf dem Weg von Bengen an die Ahr gekreuzt werden. „Seit die Umgehung in Altenahr fertig ist. ist es noch schwieriger, auf die andere Seite zu kommen." Im vergangenen Jahr benutzte die Schäferin mit ihrer Herde für den Weg ins Vischeltal noch die Bautrasse, nun muß sie im Roßberg einen Teil der alten Straße benutzen, bis sie im Ort wieder den Berg hochgehen kann. Bei aller Disziplin ihrer Tiere und der Hilfe ihrer ausgebildeten Hunde braucht Petra Brezing beim Weg über eine Straße Unterstützung. Sigrid Bendel aus Kirchdaun hat eine ganze Weile lang ausgeholfen. Sie hat wie die Schäferin selbst einst über die Aufzucht junger Lämmer mit der Flasche ihre Liebe für die vierbeinigen Wollieferanten gewonnen. Und in diesem Sommer war ein Junge aus Nierendorf, Christian Jäger, mit dabei. Dreimal im Jahr legt die Herde den Weg von Altenahr nach Hönningen zurück. „Es reicht den Leuten, wenn ich so oft komme."

Trotz all der Arbeit hat sich die Schäferin fürs Frühjahr etwas vorgenommen: Sie will die Meisterprüfung ablegen. Neun Wochen Schulzeit an der Versuchsanstalt in Kaiserslautern müssen irgendwie im Zeilplan untergebracht werden. Sehr viele Gesetze und Verordnungen für Tiertransport, Schlachten und Hygiene beispielsweise sind zu lernen. „Irgendwas wird dabei im Betrieb sicherlich auf der Strecke blieben", argwöhnt Petra Brezing und seufzt: „Von Schäferromantik alter Tage ist nichts mehr übrig."