»Da, wo Rheineck neu entstanden...«

Moritz August von Bethmann-Hollweg und Burg Rheineck

Heino Möhring

Erwerb der Ruine

Als der Professor der Rechtswissenschaften Moritz August von Bethmann-Hollweg im Jahre 1829 von Berlin nach Bonn übersiedelte, um hier eine Stelle als Ordinarius an der Universität anzunehmen, sah sich der Sohn eines Frankfurter Bankiers am Mittelrhein nach einem standesgemäßen Wohnsitz um. Dabei stieß er auf die verfallene Burg Rheineck bei Breisig und fand ein derartiges Gefallen an ihrer wunderschönen Lage, dass er schließlich am 20. März des Jahres 1832 das Anwesen mit dem Plan, es wieder herzurichten, erwarb. Nach mehreren Kaufverhandlungen mit den vorherigen Besitzern, der Familie Schurp als Erben des einstmaligen Königlichen Oberförsters Schurp, war man sich bei einer Summe von 20000 und einigen hundert Talern einig geworden.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Burg in einem erbärmlichen Zustand. Alte und neuere Gebäude von schlechter Bausubstanz waren willkürlich aneinandergebaut worden. Außer dem Wartturm und Teilen der Ringmauer stammte lediglich die achteckige Kapelle, erbaut in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, noch von der mittelalterlichen Anlage. Ihre baufälligen Wände waren notdürftig mit einer flachen Holzdecke abgedeckt worden, im Inneren waren die Rippen des Kupolengewölbes über den Wandpfeilern nach dem Brand von 1785 blau gestrichen, alles andere weiß übertüncht worden. Anstelle des abgebrannten, einstigen, Schlossbaus hatte man das Haus des Verwalters direkt an die Kapelle gebaut, daran schlossen sich die dürftigen Wirtschaftsgebäude an.

Aufbau

Noch im selben Jahr des Kau- fes beauftragte Bethmann-Hollweg den Bauinspektor und Architekt Johann Claudius Lassaulx, eine Renovierung und Erweiterung des Wohngebäudes vorzunehmen; doch dieser erkannte bei seinen Arbeiten recht bald, dass kaum etwas erhaltungswürdig war. Nach Abtragung des Wohnhauses zeigten die nun freistehenden Wände der romanischen Kapelle starke Risse, so dass auch sie bis auf den letzten Stein niedergelegt werden musste. Jedoch versicherte Lassaulx dem Bauherrn, dass er Wohnhaus und Kapelle ebenso, wenn nicht noch schöner, wieder aufbauen werde. Bereits im Sommer des darauffolgenden Jahres stand der Schlossbau bis zur Sohle des ersten Stockwerks. Der Neubau zeigte sich im Rundbogenstil, stilistisch bewusst an frühere Werke der Stauferzeit im Rheinland angelehnt. Jedoch wollte Bethmann-Hollweg keine romantische Ritterburg entstehen lassen, wie er dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mitteilte, der für seine Eitelkeit und romantischen Schwärmereien bekannt war, und dem der Neubau Rheinecks zu schlicht erschien. Aber genau das lag im Sinne des Bauherrn. Es sollte ein wohnliches Schloss entstehen, dass seinen Bewohnern eine zeitgemäße Lebensweise ermöglichte, gleichzeitig aber dem romanischen Stil der Kapelle entsprach. 1834 erhielt der Neubau sein Dach, wie die Jahreszahl an einem der hinteren kleinen Giebel belegt. Während der Bauarbeiten bewohnten die Bethmann-Hollwegs bei ihren Aufenthalten auf Rheineck ein Gartenhäuschen auf der Terrasse. Ebenso war der oberste Raum im alten Turm zu diesem Zweck hergerichtet worden.

Ein Jahr später konnte bereits die erste Etage des neuen Wohnbaus bezogen werden, der auf insgesamt drei Stockwerke wachsen sollte. Er umschloss von Norden her einen Innenhof, während sich seine drei reich mit Giebeln und Erkern versehenen Hauptfassaden nach Osten und Norden dem Rhein zuwandten.

Gäste auf Rheineck

Sogar die ersten Gäste fanden sich ein. Am 2. Oktober 1835 aß Graf Anton Stolberg mit 14 Mann auf Rheineck zu Mittag. Doch es sollte noch ein weiteres Jahr vergehen, bis die Inneneinrichtung des Schlossbaus mit Möbeln aus dem Frankfurter Haus der Bethmann-Hollwegs so abgeschlossen war, dass man hohen Besuch empfangen konnte. Als im September 1836 der preußische Kronprinz zum Herbstmanöver in Koblenz weilte, meldete er sich mit seinen drei Brüdern Carl, Albrecht und Wilhelm, dem späteren deutschen Kaiser, nebst dessen Gemahlin, der Prinzessin Augusta zum Diner an. Er hatte der Hausfrau auf Rheineck zwar auftragen lassen, man möge lediglich für Wein und Kartoffeln sorgen, doch es wurde der Konditor Laubinger aus Bonn beauftragt, eine herrschaftliches Diner zu liefern. Am 14. September landete die hohe Gesellschaft mit zwei Dampfschiffen am Rheinufer zu Rheineck und stieg den Burgberg hinauf. Nachdem man das Wohnhaus besichtigt und Prinz Carl seine Bewunderung für die geschmackvolle Möblierung kundgetan hatte, entschloss sich zur Überraschung aller der größte Teil der Besucher wieder abzureisen. Prinzessin Augusta hatte bereits an Bord ihres Schiffes gespeist und verließ das Schloß während eines fürchterlichen Platzregens in ihrem Vierspänner. Lediglich Kronprinz Friedrich Wilhelm und seine Begleitung blieben zu Tisch. Zum Essen wurde ein Rheinecker Rotwein Jahrgang 1834 gereicht, der dem Kronprinzen derart mundete, dass er nur noch diesen zum Nachschenken verlangte. Als die Gesellschaft dann in der Abenddämmerung aufbrach, konnte sie zum Abschied vom Dampfschiff aus das gänzlich illuminierte Schloss bewundern.

Zur Einrichtung

Die damalige Einrichtung des Schlosses entsprach teils mittelalterlichem, teils neuerem Stil. Durch ein steinumkränztes Portal mit einem segnenden Engel gelangte man vom Innenhof aus in den Dielenraum des Wohngebäudes. Eine frei in den Raum hängende, leicht geschwungene Treppe bot Zugang zu allen drei Stockwerken. Die stilmäßige Zimmermalerei hatte Louis Pose aus Düsseldorf durchgeführt. Den Speisesaal zierte ein Gemälde von C. Begas, das Kaiser Heinrich IV. im Schlosshof zu Canossa darstellte. Für diese Auftragsarbeit hatte der Maler 2500 Taler, eine für die damalige Zeit hohe Summe, erhalten. Bei der Auswahl und Beschaffung alter Bilder ließ sich Bethmann-Hollweg von dem Kunstkenner Professor D'Alton aus Bonn beraten. Der große achteckige Saal über der Kapelle wurde mit einer reich verzierten Stuckdecke versehen, eine doppelte Säulenreihe schmückte die Rundbogenfenster, durch die sich eine herrliche Fernsicht über das Rheintal und die umliegende Landschaft darbot. Glasmalereien auf den Fenstern repräsentierten die Wappen der vorigen Burggrafen auf Rheineck. Zahlreiche Waffen, meist chinesischen Ursprungs, zierten die Wände vieler Räume des Schlosses, das auch eine Bibliothek beherbergte.

Burgkapelle

Besondere Aufmerksamkeit hatte man der Wiederherstellung der Kapelle gewidmet. Sie war bis auf die Krönung des Unterbaus der alten getreu nachgebildet. Sogar eine kleine Glocke aus dem 17. Jahrhundert, die einst im Türm-chen des Vorgängerbaus gehangen hatte, war mit übernommen worden. Am 7. Oktober 1837 wurde die neue Kapelle durch den Bonner Pfarrer Wichelhaus eingeweiht. Jedoch bestimmten zu dieser Zeit noch Tünche und Stuck den Kapellensaal, zu dessen Ausschmückung der Bildhauer Achtermann aus dem Münsterland beauftragt wurde, ein Kruzifix aus cararischem Marmor zu schaffen. Desweiteren konnte der Maler Edward Steinle für die Bemalung der Wandflächen und den sich darüber anschließenden acht Lünetten unter der Gewölbedecke gewonnen werden. In einer auf 30 Monaten vereinbarten Zeit versah er diese Flächen mit Freskomalereien, die die acht Seligpreisungen aus der Bergpredigt zeigen, und die bis heute erhalten sind.

Als tief religiösem Menschen hatte Bethmann-Hollweg die Restaurierung der Kapelle sehr am Herzen gelegen. Er bestellte den Pfarrer Heinrich Rendtorf aus Schleswig-Holstein als Burggeistlichen und stellte die Kapelle allen Evangelischen für den sonntäglichen Gottesdienst zur Verfügung. 

Der Innenhof von Burg Rheineck, um 1990.

Rittergut Rheineck

Im Jahre 1840 wurde Bethmann-Hollweg von König Friedrich Wilhelm IV., der ihn einst als Kronprinz auf Rheineck besucht hatte, in den Adelstand erhoben, 1858 wurde er gar zum preußischen Kultusminister berufen. Schloss Rheineck erhielt nun den Titel eines Ritterguts, dessen zugehöriges Land durch ständigen Neukauf auf 800 Morgen angewachsen war.

Viele Persönlichkeiten des Reiches aus Politik und Kultur besuchten Rheineck oder verweilten dort. Sie wurden oftmals mit Böllerschüssen und aufgezogener Fahne vom Burgberg aus begrüßt. Jedes freie Wochenende widmete der neue Burgherr seiner Familie und dem Wiederaufbau des Schlosses. Samstags nach Vorlesungsschluss eilte er in einer von kleinen, flinken Rappen gezogennen Kutsche von Bonn nach Rheineck, sein dicker Bullterrier lief die ganze Strecke atemlos nebenher. Der neuentstandene Bau zu Rheineck fand sowohl bei den Zeitgenossen als auch bei der Nachwelt viel Beachtung. Und so wie das Schloss vielen Zeichnern und Stahlstechern ein beliebtes Motiv bot, so fand es auch in zahlreichen Reisebeschreibungen lobenswerte Erwähnung. Dem Dichter Hermann Müller fielen bei der Betrachtung des Schlosses gar folgende pathetische Zeilen ein, die den Geist jener Tage belegen können:

„Da, wo Rheineck neu entstanden / Auf der rauhen Eifel Saum, / Niederstaunend zu den Landen, / wie erwacht aus langem Traum.“

Literatur: