Alte Mauern neu entdeckt -

Weinbergsmauern im Ahrtal weisen erstaunliche Biotopvielfalt auf

Dr. Bruno P. Kremer

Im Vergleich zur Naturlandschaft weist die traditionelle Kulturlandschaft mit ihrem kleinflächigen Mosaik unterschiedlicher Nutzflächen oft eine erstaunliche Biotopvielfalt auf. Während beispielsweise ein natürlicher Bachlauf im siedlungsfernen Mittelgebirge jenseits der Uferflanken überall von der gleichen Laubwaldgesellschaft flankiert wird, weist ein vergleichbarer 100 m-Streifen nur wenige Kilometer bachabwärts im kulturlandschaftlich überformten Offenland zunächst ein schmales Band mit Auengehölzen, dann abwechselnde Rohrglanzgras-, Pestwurz- oder Hochstaudenfluren auf, daran anschließend eine Glatthafer-Mähwiese, einen strauchgesäumten Flurweg und schließlich einen Hackfruchtacker. Entsprechend reichhaltig ist die begleitende Spontanflora und -fauna, deren Arteninventare die Ausstattung des ehemaligen Waldstandorts um ein Mehrfaches übertrifft. Die vom Menschen spätestens seit dem Neolithikum flächenweit betriebene Auflichtung der Wälder zum Lebensraummosaik der Kulturlandschaft zerstörte zwar weithin das natürliche Vegetationsgefüge, wirkte aber paradoxerweise in erheblichem Maße artenfördernd.

Gesichtszüge der Ahrtallandschaft

In der Kulturlandschaftspflege, die neben denkmalwerten Objekten auch biotische Ensembles in ihre besondere Obhut nimmt, stehen unter den vom Menschen geschaffenen Lebensräumen vor allem die Heckenzeilen und Streuobstwiesen oft weit im Vordergrund des Interesses. Beide sind als lineare bzw. flächige Anreicherungselemente der Kulturlandschaft nicht nur für die Landschaftsästhetik besonders hochwertig anzusetzen, sondern entfalten gerade wegen ihres außerordentlichen räumlichen Strukturreichtums eine besondere Wirkung als Artenrefugien. Auch Gartengelände, bestimmte Formen der Niederwaldwirtschaft (darunter Hauberg- und Kopfbaumkulturen) oder betont extensiv genutztes Weideland (wie die Allmendeweiden der Mittelgebirgsregion) können fallweise bemerkenswert struktur- und artenreiche Lebensräume darstellen. Mauern in der Wohn- bzw. Wirtschaftsumwelt des Menschen sind dagegen als bedeutsame Lebensraumangebote für die heimische Flora und Fauna im öffentlichen Bewusstsein weniger verankert. Seit geraumer Zeit rücken jedoch auch sie im praktischen Naturschutz stärker in Mittelpunktlage, denn aus der Sicht der Landschafts- und Siedlungsökologie sind Mauerzüge nicht einfach nur technische Strukturen, die das natürliche Relief ergänzen oder stabilisieren, sondern ausgesprochen spannende Kleinlebensräume, die wegen ihrer speziellen Artenausstattung besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Mauern in der Siedlungs- oder Agrarlandschaft sind in Erscheinungsbild und Funktion mindestens so vielfältig wie die Materialien, aus denen man sie errichtet hat. Oft markieren sie lediglich Besitzgrenzen, häufig trennen sie Flurparzellen verschiedener Nutzungsmuster oder sichern im terrassierten Gelände kleinere Anbauflächen vor Bodenabtrag. Traditionell werden sie aus Werk- oder Ziegelstein erbaut, in manchen Regionen aber auch aus Lesesteinen locker aufgeschichtet. Mauerwerk größerer Ausdehnung mit prominenter Lebensraumfunktion findet sich beispielsweise als Umfassung isolierter Siedlungsobjekte (Klöster, Schlösser), aufragendes Befestigungswerk (historische Stadtmauern, Burgen), Stützwerk von Verkehrseinrichtungen (Bahndämme, Steindeckwerk an Brücken) und im mittleren Ahrtal eben auch der Sicherung kleiner Kulturflächen für den Weinbau in Steillagen. Gerade das kunstvoll aufgeschichtete, betont vielgliedrige Mauerwerk der Rebflur macht den besonderen Reiz der alten Kulturlandschaft in diesem Anbaugebiet aus. Älterem Mauerwerk, an dem bereits viele Jahrzehnte oder eventuell sogar Jahrhunderte vorbeigezogen, haftet nämlich ein eigenartiger Charme an, der sich nicht allein aus der jeweiligen Zeit- und Aufgabenstellung des Baukörpers erklären lässt. Vielmehr wirken daran auch Art und Ausmaß mit, wie er an seinem Standort von der Natur erobert, vereinnahmt und in das natürliche Umfeld integriert wird.

Trockenmauern oberhalb Mayschoß: Kleinod der Kulturlandschaft

Nachgebaute Natur

Wo die Fließgewässer steilhängige Talzüge in das Grundgebirge eingeschnitten haben, weist die Naturlandschaft mit felsigen Abhängen und Wänden, mit Gesteinsriegeln, Felsbändern, Blockmeeren und Schutthalden aus gröberem Verwitterungsgut verschiedenartige Reliefstrukturen aus Festgesteinen auf. Für Pflanzen oder Tiere erscheinen diese auf den ersten Blick ebenso wenig als einladende, besiedlungsfreundliche Biotope wie Steinbrüche oder Kiesgruben. Dennoch tragen sie nach aller Erfahrung eine erstaunlich artenreiche, aus vielerlei spezialisierten Erst- und Dauerbesiedlern zusammengesetzte Besatzung. Mauerwerk unterscheidet sich ökologisch nicht grundsätzlich von natürlich anstehendem Fels und ist - von seiner Funktionszuweisung bzw. technischen Ausgestaltung abgesehen - lediglich eine künstlich geschaffene Gesteinsflur mit besonderer Aufgabenstellung. Ebenso wie die natürlichen Gesteinaufschlüsse in den Steilhängen des Ahr-Engtals trägt eine Mauer schon nach kurzer Zeit eine lebendige Patina, denn selbst in der Wohn- und Wirtschaftsumwelt lässt die Natur auf Dauer keine sterilen Freiräume zu. Mauern sind jedoch kein einheitlicher Biotop, auch wenn man zunächst nur Platten, Quader und Würfel sowie ihre wechselseitige Verfugung erkennt. Beim genaueren Hinsehen lassen sich viele standörtliche Unterschiede umreißen. Die Mauerkronen bieten gewöhnlich die am wenigsten problematischen Ansiedlungsflächen. In Lücken oder Vertiefungen kann sich nach Partikeleinwehungen allmählich ein bescheidener Humusvorrat ansammeln, der sogar das auftreffende Regenwasser für geraume Zeit speichert. Den ebenen und meist nur wenig geneigten Mauerkronen entsprechen in der Naturlandschaft die waagerecht verlaufenden Felsbänder, -riegel und -vorsprünge, auf denen sich häufig sehr blumige Galerien einfinden. Viel problematischer erscheinen die senkrecht abfallenden oder doch sehr stark geneigten Mauerflanken. Hier bieten sich den Aufwuchsorganismen zwar nur minimale Vorsprünge für die Verankerung an, doch stellt Mauerwerk aus grob zugerichtetem Natur- oder Bruchstein mit seinem betonten Mikrorelief dagegen kein ernsthaftes Hindernis für die vereinnahmende Organismenansiedlung dar. Dabei ist bezeichnenderweise eine Sukzession zu beobachten, die gewöhnlich mit mikroskopisch kleinen Algen und plakativen Krustenflechten startet. In Fugen und Klüften zusammengewehte oder vom Rieselwasser zusammengeführte Feinerde genügt für den Start zahlreicher Laubmoos-Arten. Nach dem Prinzip der Selbstverstärkung der Anfangsbedingungen nehmen Anzahl und Tiefgang der Kleinstrukturen mit der Zeit zu, so dass sich auch höhere Pflanzen und schließlich sogar Gehölze einfinden. Dabei bestimmt die Gesteinschemie (beispielsweise sauer verwitternder Schiefer vs. Kalkblockwerk bzw. basischer Fugenmörtel) die genauere Standortwahl und den Verlauf der Besiedlungswellen. Je älter das aufgehene Steinwerk ist, um so artenreicher wird auch sein kleidsamer Bewuchs ausfallen.

Mit zahlreichen Fugen und Ritzen öffnet sich zwischen und hinter den locker geschichteten Werksteinen ein nicht zu unterschätzendes räumliches Gefüge, sofern nicht eine lückenlose Verfugung den Zugang völlig abriegelt. Vergleichbare Labyrinthe aus schmalen Gängen und engen Spalten bietet auch das anstehende Sedimentgestein der im Ahrtal vorhandenen natürlichen Aufschlüsse an, in dem die mechanisch-chemische Verwitterung die Schichtgrenzen zu passierbaren Klüften aufgeweitet hat. Die hier landschaftsbestimmenden vorhandenen Weinbergsmauern sind als lückendurchsetztes Lebensraumsys-tem sogar besonders hervorhebenswert.

Neben der räumlichen Beschaffenheit wirken die mikroklimatischen Verhältnisse als lenkendes Faktorengefüge. Eigenfarbe und Porosität der verwendeten Steine bestimmen die Wärmekapazität des Baukörpers. An den Hang angelehnte Stützmauen sind meist feuchter als freistehende, da sie gewöhnlich im großflächigen Kontakt zu den Sickerwasserströmen des Hangbodens stehen oder sogar überrieselt werden. Mit den Rebflächen, die sie abstützen, nach Süden oder Südwesten exponierte Mauern weisen größere tägliche Temperatursprünge auf - im Sommer können sie sogar mehr als 50°C betragen. Das Mauerlückensystem nimmt an diesen Schwankungen jedoch um so weniger teil, je tiefer und geräumiger es ausgebildet ist. Weitgehend unabhängig von ihrer sonstigen Ausrichtung zur Sonne zeigen freistehende Mauern insgesamt steilere Temperatur- und Feuchtegefälle als angelehnte Stützmauern. In seinem Kleinklima kann ein Mauerstandort demnach mindestens so stark differenziert sein wie in seiner Kleinräumigkeit.

Gestein treibt Blüten

Zahlreiche Pflanzennamen vom Mauerlattich bis zum Mauepfeffer stützen die Einschätzung, dass es eine für Mauern charakteristische Vegetation mit standorttypischen Vertretern („Mauerblümchen") gibt. Als sekundärer Felsstandort ist Mauerwerk in seinem floristischen Gefüge in starkem Maße vom Artenimport aus der näheren Umgebung abhängig und reichert daraus sein typisches Arteninventar über viele Jahre und Jahrzehnte an. Die Mauerflora rekrutiert sich demnach in erster Linie aus der Versorgung mit Verbreitungseinheiten, die sich auf verschiedenen Verbreitungsrouten aus der Nachbarschaft einfinden. Auf den eher städtischen oder dörflichen Mauern findet man jeweils einen höheren Anteil gartenflüchtiger Pflanzen, beispielsweise Filziges Hornkraut, Großes Löwenmäulchen sowie Doldige Schleifenblume. Auf den Trockenmauerzügen der Rebfluren in Steillage siedeln dagegen eher Arten der verschiedenen Xerotherm-Gesellschaften (vgl. Jahrbuch 2000), die auch die angrenzenden Felsfluren zieren. Beispielsarten sind Karthäuser-Nelke, Brillenschötchen oder Einjähriger Knäuel. In den Rebgebieten des Ahrtals findet sich als Mauerflora zusätzlich ein Artenensemble, in dem mit Färber-Waid, Schild-Ampfer oder Wermut ursprünglich gebietsfremde Nutzpflanzen vertreten sind. Insofern weisen Mauern immer auch regionale Besonderheiten aus der Kultur-Geschichte auf.

Grundsätzlich lassen sich für Mauern drei verschiedene Wuchsbereiche mit jeweils kennzeichnenden Pflanzengesellschaften unterscheiden: Sonnige Mauerkronen sind oft die Domäne der Fingersteinbrech-Gesellschaft, in der neben Zusammengedrücktem Rispengras und Sandkraut auch mehrere Fetthennen-Arten vertreten sind. Fallweise finden sich hier auch die Begleitarten von Sandmagerrasen ein, darunter beispielsweise Hungerblümchen oder Bauernsenf. Die Mauerfugen der Sonne exponierten Flanken sind dagegen der typische Standort der Mauerglaskraut-Gesellschaft, die außer der namengebenden Art meist auch Mauer-Leinkraut sowie häufig den Goldlack aufweist. Das Mauer-Drehzahnmoos und weitere nahe verwandte Arten sind hier die charakteristischen Vertreter der Laubmoose.

Ausgesprochene Kalkmörtelspezialisten sind außer dem aus dem Mittelmeerraum stammenden Gelben Lerchensporn verschiedene Kleinfarne wie Mauerraute und Braunstieliger Streifenfarn. Auf den Schattenseiten siedelt dagegen die Blasenfarn-Gesellschaft mit Stinkendem Storchschnabel und Gekräuseltem Drehzahnmoos, wie man östlich des Bahnhofs von Altenahr eindrucksvoll beobachten kann. In den alten Weinbergtrockenmauern kommen als zusätzliche wärmeliebende Kleinfarne der Nördlicher und der seltene Schwarzstieliger Streifenfarn sowie als hervorhebenswerte Besonderheit auch der mediterrane Milzfarn vor. Diese Arten erreichen hier allesamt die Nord(west)grenze ihrer Verbreitung in Europa. Die meis-ten dieser Kleinfarne (und ihre wechselseitigen Bastarde) sind zumindest in der rheinischen Mittelgebirgsregion auf Mauerstandorten weitaus zahlreicher vertreten als auf den natürlichen Felsstandorten des Gebietes.

Der dritte abgrenzbare und wiederum mit speziellen Pflanzenarten ausgestattete Bereich ist der Mauerfuß. Hier siedeln gewöhnlich je nach Lage und Exposition verschiedene Ruderal-Gesellschaften. Häufig findet man hier eine Mäusegersten-Flur, alternativ die Schwarznessel-Gesellschaft, den Schöllkraut-Saum oder Artengefüge, die noch stärker die Anreicherung von Stickstoffverbindungen im Boden anzeigen.

Das Gesamtinventar der Blütenpflanzen im direkten Kontakt zu Mauern ist somit erstaunlich umfangreich. Kartierungen in (aufgelassenem) Rebgelände, an Bahn- und Hafendämmen oder von Burg-ruinen im Mittelrheingebiet kamen auf mehr als 200 Arten. Darunter befanden sich auch etliche Arten der Roten Liste wie der Mauer-Gänsefuß oder die Kleine Malve. Hinzu kommen Dutzende von Flechten- und Moos-Arten, die auch an diesem Standort ihr eigenes Gesellschaftsmosaik aufbauen.

Leben in Lücken

Vor allem die durch die räumliche Durchgliederung einer Mauer vorgegebenen Kompartimente stellen auch für Tiere ein ideales Mosaik von Kleinhabitaten dar. Mauereidechse, Mauerfuchs, Mauerassel oder andere populäre Tiernamen verweisen auf die enorme Bedeutung von (alten) Mauern für die Tierwelt im Siedlungsraum oder in der Rebflur. Die Arteninventare sind jedoch ungleich umfangreicher als diejenigen der Mauerflora, da vor allem die Gliederfüßer mit einer großen Typen- und Artenvielfalt vertreten sind.

Die an oder in Mauern vorkommenden Tierarten sind in der Naturlandschaft überwiegend primäre Felsbewohner bzw. Besiedler von Blockschutthalden, natürlichen Höhlen oder Steilaufschlüssen in Lockersedimenten. Für solche Arten erfüllen die Mauern unterschiedliche ökologische Funktionen. Sie dienen diesen Tieren als Nistplatz, Tages- und Nachtversteck, Überwinterungsort, Jagdgebiet und Rast- bzw. Aufwärmplatz, wobei sich diese Lebensraumfunktionsfelder in den Lebensraumansprüchen der beteiligten Arten auch durchaus überlagern können. Für die weitaus meisten Mauertiere ist jedoch ein ausgedehntes Lückensystem hinter der Fassade die mit Abstand wichtigste Kenngröße. Ständig im Verborgenen leben hier beispielsweise die augenlosen Vertreter der Höhlenfauna, darunter der Blindkäfer und die Blindschnecke.

Die Bedeutung als Nistplatz lässt sich am Beispiel der Mauer- und Maskenbienen darstellen. Während erstere über eine sehr flexible Bauweise verfügt und die Form ihrer aus Lehm gemörtelten Brutzellen gewöhnlich den unterschiedlichen Hohlraumabmessungen anpasst, tapezieren die Maskenbienen, die Wände ihrer Zellen mit einem pergamentartig aushärtenden Sekret ihrer Speicheldrüsen aus. Sie bevorzugen enge, röhrenförmige Nistgänge. In Mauerritzen siedeln außerdem Grabwespen. Als Beutetiere tragen sie Fliegen oder Blattläuse in ihre Brutzellen ein und sind damit ein wichtiges Glied der selbsttätigen Schädlingsbekämpfung in der Natur. Als Untermieter kommen in den Nestern dieser solitär lebenden Wildbienen gelegentlich die Larven des Speckkäfers vor.

Obwohl im Mauerökosystem auch einige pflanzenfressende Arten vorkommen, beispielsweise ein an Mikroalgen und Flechten nagender Tausenfüßer, überwiegt hier erstaunlicherweise die Gruppe der räuberisch lebenden Arten. Sie sind - wie vor allem die hier siedelnden Spinnen zeigen - in hohem Maße auf Importe aus der näheren und weiteren Umgebung angewiesen. Die Harlekinspringspinne vertritt hier beispielsweise den Typ des Pirschjägers, der sich anruhende oder rastende Insekten auf der warmen Mauerfassade heranschleicht und sie wie eine Katze von hinten anspringt. Sie jagt tagaktiv, während die Sechsaugenspinne nachtaktiv ist und sich tagsüber in einem Gespinstsack verbirgt. Aber auch Netzspinnen sind im Mauerbereich anzutreffen. Die ursprünglich nur südeuropäisch verbreitete, bemerkenswert farbenprächtige Wespenspinne, die auch in unserem Gebiet immer häufiger auftritt, errichtet ihre großen Radnetze zwischen den Pflanzen am Mauerfuß, während die Kräuselspinne auf den Blättern von Mauerpflanzen sitzt und kleine Stellnetze auf deren Blattfläche aufspannt. Finsterspinnen fangen ihre Beute mit Hilfe von Kräuselfäden; die Fischernetzspinnen bauen ihre kleinen Fangnetztrichter fast ausschließlich in Mauerritzen. Auch die Hausspinne ist hier aktiv und errichtet ausladende Trichternetze gern in Mauen. Dabei bevorzugt sie angesichts der Größe ihrer Gespinste die weiträumigeren Mauernischen. Die Spinnenpopulation einer Mauer demons-triert damit geradezu lehrbuchreif, wie man einen überschaubaren Lebensraum und seine bescheidenen Nahrungsressourcen untereinander optimal aufteilt.

Ebenso wie bei den Mauerpflanzen fällt auch unter der tierischen Besatzung insbesondere der siedlungsnahen oder gar innerörtlichen Mauern der Anteil wärmeliebender Arten mit Hauptverbreitung in Südeuropa auf. Diese Arten bevorzugen hinsichtlich ihrer Lebensraumbindung offenbar um so eher vom Menschen errichtete Strukturen, je weiter sie von ihrem Hauptverbreitungsgebiet nach Norden vorgedrungen sind und in Gebieten vorkommen, in denen von Natur aus kaum noch anstehender Fels zu erwarten ist.

Arten- und Biotopschutz

Obwohl in Mauerspalten gelegentlich auch Wirbeltiere Quartier beziehen (darunter Kreuz- und Erdkröte oder Mauer- und Zauneidechse), Nischenbrüter wie Bachstelze, Grauschnäpper und Hausrotschwanz ihre Bruten in besonders großen Mauerlücken aufziehen und im Ahrtal selbst einige Fledermaus-Arten wie die Zweifarbfledermaus und der Große Abendsegler zur Mauerfauna zu rechnen sind, gehören die vielen wirbellosen Mauerbewohner von den Schließmundschnecken über die Asseln und Spinnen bis zu den zahlreichen Insekten nicht unbedingt zu Artengruppen, denen die ungeteilte Sympathie der meisten Menschen gilt. Die besondere Schutzwürdigkeit alter, ökologisch wertvoller Mauern im Siedlungs- oder Außenbereich ist folglich in der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln. Am ehesten mag der beachtliche Wert einer Lockergesteinmauer aus dem Ortsbild oder der Rebflur mit lebender Patina auf der ästhetischen Schiene nachzuvollziehen sein, beispielsweise als Kontrasterlebnis zum kahlen Sichtbeton seelenloser neuzeitlicher Konstruktionen wie südlich von Altenahr. Mauern und ihr quicklebendiges Lückensys-tem als attraktives Lebensraumgefüge zu verdeutlichen, ist daher ein bleibendes Aufgabenfeld der Umwelt- und Naturschutzpädagogik.

Literatur:

Licht, W., U. Bernert, U.: Untersuchungen zur Vegetation und Standortsökologie von Weinbergsmauern - ein Beitrag zur Praxis der Flurbereinigung. Beitr. Landespflege Rheinland-Pfalz 11, 69-114 (1987).

Ministerium für Umwelt, Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht (Hrsg.): Planung vernetzter Biotopsysteme, Bereich Landkreis Ahrweiler. Mainz 1994. Wegener, U. (Hrsg.): Naturschutz in der Kulturlandschaft. Schutz und Pflege von Lebensräumen. Gus-tav Fischer Verlag, Stuttgart 1998.