Jäger nach dem Bims 

Ein spät-altsteinzeitlicher Siedlungsplatz bei Bad Breisig

Dr. Michael Baales / Dr. Olaf Jöris

Siedlungsplätze der Altsteinzeit (Paläolithikum) sind im Kreisgebiet Ahrweiler bisher noch rar. Jedoch konnte schon 1912 H. Stehn beim Basaltabbau südlich Unkelbach zusammen mit späteiszeitlichen Tierresten auch Steingeräte bergen. 1978 wurde am Schwalbenberg bei Remagen nördlich der Ahr ein weiterer Fundplatz entdeckt, der zwischen 1979 und 1987 vom damaligen „Institut für Jägerische Archäologie" der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. J. Hahn planmäßig ausgegraben werden konnte. Er gehört in die Zeit vor etwa 40000 Jahren, als der moderne Mensch den Neandertaler in Europa ablöste.

Wesentlich jünger ist jedoch ein 1999 nördlich Bad Breisig entdeckter Siedlungsplatz, der mit einem Alter von rd. 12800 Jahren in das ausgehende Paläolithikum gehört. Vergleichbar alte Fundstellen sind bisher im südlich benachbarten Neuwieder Becken lediglich unter dem Bims des Laacher See-Vulkans gefunden worden. Dieser bisher letzte Vulkanausbruch in der Eifel (nur noch das kleine Ulmener Maar in der Westeifel ist jünger) ereignete sich 10966 Jahre v. Chr. und förderte große Mengen von Aschen und Bimse, die die späteiszeitliche Landschaft am Mittelrhein vollständig verschütteten.

Dieser katastrophale Vulkanausbruch fällt in das letzte Drittel einer kurzen Wärmephase der ausgehenden letzten Eiszeit, die um 9620 v. Chr. zu Ende ging. In den letzten Jahren ist es gelungen, unser Wissen über Alter und Ablauf der verschiedenen, z.T. abrupt wechselnden Klimaphasen am Ende der letzten Eiszeit zu präzisieren. Vor allem die nach Jahreslagen abgesetzten Eisschichten Grönlands gewähren einen detaillierten Einblick in das Klimageschehen auf der nördlichen Erdhalbkugel während der letzten 110000 Jahre.

Zwischen etwa 12000 und 10760 v. Chr. kam es aufgrund gestiegener Temperaturen zum ersten Mal nach der maximalen Kältephase der letzten Eiszeit um 21500 v. Chr. in Mitteleuropa zur Ausbreitung geschlossener Wälder, wie sie heute ganz ähnlich für Mittelschweden typisch sind. Diese Warmphase wird nach einem dänischem Fundplatz als Allerød-Wärmeschwankung bezeichnet. Über den damaligen Bewuchs geben zahlreiche Funde unter und in den Ablagerungen des Laacher See-Vulkans, der rd. 200 Jahre vor Ende des Allerød ausbrach, Auskunft. Sehr häufig fanden sich die Stämme von Birken und Pappeln, aber auch Weidenholz und die Traubenkirsche sind nachgewiesen. Die Kiefer ist durch einige Holzkohlen belegt. Derartige Pflanzenreste fanden sich auch zusammen mit Blattabdrücken in den Trassablagerungen des Brohltals, die auf heiße Glutlawinen zurückzuführen sind, die mehrmals mit hoher Geschwindigkeit durch die Täler um den Laacher See-Vulkan rasten.

Klimaverlauf der letzten 16000 Jahre nach grönländischen Eiskernen. LSV Ausbruch des Laacher See-Vulkans

Flutwelle ergoss sich in die Goldene Meile

Die Glutlawinen des Brohltals schossen auch über die Brohltalmündung hinaus bis auf das andere Rheinufer und riegelten den Fluss so kurzzeitig ab. Hierdurch entstand ein Pfropfen, der den Rheinlauf durch zahllose entwurzelte Bäume und Unmengen vulkanischen Materials bis zur Andernacher Pforte zurück verstopfte. Als Konsequenz staute sich der Rhein im Neuwieder Becken bis nach Koblenz zu einem etwa 80 qkm großen See auf. Typische Ablagerungen dieses Stausees finden sich an vielen Lokalitäten zwischen Andernach und Koblenz. 

Auswirkungen des Laacher See-Ausbruches, die zur Bildung des Neuwied-Rhein-Stausees führten. - NR Neuwied - KO Koblenz

Durch die Aufstauung war der Rheinlauf bis zum Zufluss der Ahr weitgehend trocken gefallen. Wie lange der Damm bestanden hat, ist ungewiss. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass er bereits während des wohl nur wenige Wochen dauernden Ausbruchs des Laacher See-Vulkans wieder brach. Mit dem Bruch des Dammes ergoss sich eine Flutwelle durch das Rheinbett nach Norden; und die Wassermassen überfluteten auch das breite Rheintal in der „Goldenen Meile" zwischen Bad Breisig und Remagen.

In den Abbauwänden der Kiesgruben bei Bad Breisig und Sinzig finden sich bis zu 60 cm mächtige Aschen- und Bimsschichten, die vor allem von dieser Flutwelle angeschwemmt wurden. An der Basis dieser vulkanischen Ablagerungen zeigt jedoch ein nur wenige Zentimeter mächtiges Bändchen, dass die Goldene Meile bereits zuvor durch feinen Aschenstaub des Laacher See-Vulkans „eingepudert" worden war. In dieser Aschenlage konnte Dr. Georg Waldmann, Geologe und Biologe (heute im englischen Coventry lebend), in den 1990er Jahren an zwei Stellen zwischen Bad Breisig und Sinzig Pflanzenabdrücke ausgraben und so auf die Vegetation zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Laacher See-Vulkans in der Goldenen Meile rückschließen.

Beim erneuten Besuch seines Fundplatzes bei Bad Breisig entdeckte er dann im Sommer 1999 oberhalb der angeschwemmten vulkanischen Ablagerungen und nur wenig unterhalb der heutigen Geländeoberfläche eine wenig auffällige Konzentration stark weiß verbrannter (calzinierter) Knochenfragmente. Bald fanden sich auch erste Steingeräte, und so war schnell klar, dass hier die erste altsteinzeitliche Fundstelle entdeckt worden war, die am Mittelrhein in die Zeit nach dem Ausbruch des Laacher See-Vulkans datiert.

Präparation des erhaltenen Feuerstellenbereiches in Bad Breisig (November 2000). Die Feuerstelle zeichnet sich durch eine dunkle Verfärbung des Sedimentes aus, gespickt mit weiß calzinierten (verbrannten) Knochensplittern.

Im Herbst 2000 konnten wir als Altsteinzeit-Archäologen vom Museum Monrepos bei Neuwied im Auftrag der Archäologischen Denkmalpflege in Koblenz zeitweilig unter Mithilfe des Finders und einigen Freiwilligen, darunter Studenten der Universität zu Köln, auf etwa 9 qm diese neue Fundstelle erstmals untersuchen. Dies war nur möglich dank des Einverständnisses der Grundstückeigentümer, Herrn M. Klee (Kiesbaggerei Anton Klee) und der Landwirtsfamilie Kurp (beide Bad Breisig). Allen Genannten sei für ihre Unterstützung herzlich gedankt.

Jagdlager der späten Altsteinzeit

Aufgrund der Ausgrabung entpuppte sich die recht unscheinbare Ansammlung der calzinierten Knochensplitter als eine noch etwa zur Hälfte erhaltene Feuerstelle spätpaläolithischer Jäger und Sammler. Ein Ring aus Steinen, mit dem wir etwa unsere Lagerfeuer heute gerne einfrieden, war nicht vorhanden.
Aus der Feuerstelle und ihrem bisher ausgegrabenen Umfeld stammen fast 1600 Steingeräte und die Abfälle ihrer Herstellung (sog. Steinartefakte), die in ihrer Lage punktgenau dokumentiert werden konnten. Die Ausdehung dieser Siedlungsstelle ließ sich bisher in der nur kleinen Fläche nicht begrenzen. Erst eine Fortsetzung der Ausgrabung wird zeigen, wie groß die Siedlungsstelle tatsächlich ist, und die Analyse der dann dokumentierten Steinartefakte wird zeigen, ob bestimmte Aktivitätsbereiche zu unterscheiden sind oder gar ein Zeltplatz rekonstruiert werden kann.

Bisher lässt sich schon feststellen, dass die Menschen für ihre Steinartefakte unterschiedliche Rohmaterialien nutzten. Der Großteil der verwendeten Rohmaterialien, etwa 90 %, stammt aus der Region um Bad Breisig selbst. Da von diesem regional vorkommenden Material, dem sog. Tertiärquarzit, zahlreiche größere Rohstücke verarbeitet worden waren, dürfte in nicht allzu weiter Distanz den damaligen Menschen ein entsprechendes Materialvorkommen zugänglich gewesen sein. Nur zu einem geringeren Teil wurde auch Feuerstein verarbeitet, der aus etwa 100 km Entfernung aus dem Raum um Aachen-Maastricht nach Bad Breisig gebracht worden war. Hieraus lässt sich sicher rückschließen, dass die damaligen Menschen, die in recht kleinen Gruppen von vielleicht 10-12 Mitgliedern lebten, ein weiträumiges Netz sozialer Beziehungen zu anderen, oft weit entfernt lebenden Gruppen pflegten. Es wird vermutet, dass zu dieser Zeit auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik nicht mehr als etwa 5000 Menschen in hochmobilen Gruppen lebten.

Offenbar mit Beginn der allerødzeitlichen Bewaldung wurden Pfeil und Bogen erfunden. Damit einhergehend bildeten sich in ganz Europa weitgehend ähnliche Steingeräteinventare aus, deren Fundplätze wir mit der Bezeichnung „Rückenspitzen-Industrien" zusammenfassen. Dieser Begriff geht auf charakteristische Pfeilspitzen zurück, deren schneidende Kante ein gestumpfter, durch gezielte Feinbearbeitung hergestellter sogenannter Rücken gegenüberliegt, der zur Stabilisierung der Spitze angelegt wurde. Solche Geschossspitzen wurden mit einer teerartigen, aus Birkenrinde gewonnenen Masse an den Holzschäften der Pfeile fixiert. Reste solchen Schäftungspechs hafteten noch an einigen Rückenspitzen des Fundplatzes Kettig (Kreis Mayen-Koblenz), der unter dem Bims im Neuwieder Becken entdeckt werden konnte. Das experimentell nachvollziehbare Verfahren der sog. Birkenpech-Herstellung ist zudem aus der Völkerkunde hinlänglich bekannt.

Rekonstruktion der Schäftungsweise von Rückenspitzen am Beispiel eines Fundes aus Bad Breisig

Während der Ausgrabung konnten auf dem Siedlungsplatz bei Bad Breisig 33 Pfeilspitzen geborgen werden, die nicht selten unvollständig sind. Offenbar wurden an der Feuerstelle beschädigte Pfeile repariert. Gejagt wurden in den Wäldern um Bad Breisig vor allem Rot-hirsch und Reh, wie einige Zähne und Knochenreste belegen. Darüber hinaus ist auch das Fragment eines Pferdezahnes vorhanden. Dies ist die gleiche Tierwelt, die auch vor Ausbruch des Laacher See-Vulkans im Neuwieder Becken nachgewiesen wurde, doch finden sich dort häufig auch noch Elch, Auerochse, Gemse, Steinbock und Biber, zudem Braunbär, Wolf, Rotfuchs, Dachs und Marder.

Rückenspitzen und deren Fragmente aus Bad Breisig (Zeichnungen: G. Rutkowski). 1, 2 u. 5 westeuropäischer Feuerstein; sonst Tertiärquarzit, Maßstab = 2 cm 

Neben den Pfeilspitzen sind in Bad Breisig weitere Steingeräte gefunden worden, die dazu dienten, die Felle der erlegten Jagdbeute zu reinigen und Knochen und Geweih zu bearbeiten.

Jäger nach dem Bims

Die neue Fundstelle bei Bad Breisig zeigt erstmals für unseren Raum den Aufenthalt von Jägern und Sammlern nach dem verheerenden Ausbruch des Laacher See-Vulkans. Dass die erneute Nutzung der mittelrheinischen Landschaft bereits recht bald nach dem Ausbruch wieder möglich war, ist nicht ganz unerwartet.

Der Vergleich mit dem ähnlich katastrophal verlaufenden Vulkanausbruch des Mount St. Helens in Nord-Amerika im Jahre 1980 zeigt, dass dort bereits nach einem Jahr die Vegetation wieder sprießte. Dies lockte recht bald auch wieder Tiere an, vor allem das Rotwild, dessen Bestand heute, zwanzig Jahre nach dem Ausbruch, wieder zahllose Tiere umfasst. So kann auch für das Mittelrheingebiet mit einem schnellen Erholen der Natur gerechnet werden, weshalb die Region auch für den Menschen wieder attraktiv wurde.

Wieviel Zeit zwischen dem Ausbruch des Laacher SeeVulkans und dem Aufenthalt der Jäger in Bad Breisig verstrich, kann jedoch kaum genauer abgeschätzt werden. Die Tierreste von Bad Breisig gelten in unserem Raum jedenfalls als typisch für die Allerødzeit. Erst rd. 200 Jahre nach dem Ausbruch des Laacher See-Vulkans ging diese zu Ende, und mit dem Einsetzen des ausgesprochen kalten Klimas der sog. Jüngeren Dryaszeit (s. Abb. S. 72 o.) änderte sich auch ab 10760 v. Chr. die Tierwelt; letztmals drangen zu dieser Zeit Rentiere bis in unseren Raum vor, wie etwa am Kartstein unweit Mechernich in der Nordeifel belegt. Diese etwa 1140 Jahre währende Kälteperiode wurde ihrerseits durch den rapiden Anstieg der Temperaturen um 9620 v. Chr. abgeschlossen. Zu dieser Zeit begann unsere heutige Warmzeit, die wir optimistisch als „Nacheiszeit" bezeichnen.

Anmerkung:

Im Frühjahr 2001 konnte der Rest des erhaltenen Fundplatzes (insg. 50 qm) untersucht und weitere 700 Steinartefakte eingemessen werden. Die Ausgrabung fand in enger Zusammenarbeit mit der Archäologischen Denkmalpflege Koblenz statt.

Literatur:

Baales, M. / Jöris, O. (im Druck): Wandel von Klima und Umwelt an Mittelrhein und Mosel gegen Ende der letzten Eiszeit. Zur Chronologie und Lebensweise der letzten Jäger und Sammler am Mittelrhein. Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel.

Kleinertz, R. (1993): Fossile Blattabdrücke aus der Allerödzeit vor 11.500 Jahren. Heimat-Jahrbuch Kreis Ahrweiler 51, S. 123ff.

Schmincke, H.-U. / Park C. / Harms, E. (1999) Evolution and environmental impacts of the eruption of Laacher See Volcano (Germany) 12 900 a BP. Ouaternary International 61, S. 6ff.

Schweitzer, H.-J. (1958) Entstehung und Flora des Trasses im nördlichen Laacher Seegebiet. Eiszeitalter und Gegenwart 9, 28ff.

Waldmann,, G. / Jöris, O. / Baales, M. (2001): Nach der Flut. Ein spätallerødzeitlicher Rückenspitzen-Fundplatz bei Bad Breisig. Archäologisches Korrespondenzblatt 31 (im Druck).

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