Alltagsleben in der römischen Villa am Silberberg in Ahrweiler

Karin Joachim M.A.

Der Fund des römerzeitlichen Hauses am Fuße des Ahrweiler Silberberges, das seit 1993 unter dem Dach des Museums Roemervilla besichtigt werden kann, bietet hervorragende Einblicke in das Alltagsleben der Menschen, die sich hier vor rund 1800 Jahren niederließen. Der Fund ermöglicht in seiner Gesamtheit und aufgrund seiner außergewöhnlich guten Erhaltung eine Loslösung von leider immer noch gängigen Vorurteilen über das Leben der römerzeitlichen Bevölkerung in den Rheinlanden zugunsten eines wesentlich differenzierteren Blickes auf die Lebensumstände fern der römischen Kernlande. Rom war in der Tat weit entfernt. Und dennoch ist das Gebiet der Germania Inferior bereits sehr bald nach seiner Erhebung zur römischen Provinz im späten ersten nachchristlichen Jahrhundert weitgehend romanisiert.

Die römische Villa

Bevor wir die Villa am Ahrweiler Silberberg betrachten, seien hier einige Bemerkungen zur römischen Villa im Allgemeinen angeführt, die für das Verständnis des Villenlebens unerlässlich sind. Die römische villa wird bereits bei römischen Autoren als Wohngebäude außerhalb der Stadt definiert und ist begrifflich nicht allzu scharf umrissen. Mit dem Begriff Villa belegte man die unterschiedlichsten Ausprägungen ländlichen Lebens. Die großen Villen unweit Roms (meist Peristylvillen) waren mehr als ein Wohnsitz außerhalb der Stadt, sondern gleichsam eine Lebensform der römischen Oberschicht, Aufenthaltsort von Kaisern, Senatoren und anderen Angehörigen der römischen Oberschicht oder von Dichtern, die dieses Lebensgefühl literarisch beschrieben. Das Landleben der höheren Schichten wurde idealisierend mit dem Begriff des otium, der Befreiung von alltäglichen Pflichten, gleichgesetzt und begründet. Gehörte zu diesen großen Landvillen auch ein Wirtschaftbereich (pars rustica), so stand dieser unter der Aufsicht eines Verwalters, villicus. Daneben gab es aber auch den landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb, auf dem das Leben alles andere als süß war und der von Pachtbauern betrieben wurde. Diese Betriebe trugen mit ihrem Ertrag entscheidend zu der Versorgung des Imperium Romanum bei. Insgesamt lebten 9/10 der Bevölkerung auf dem Land. Über die Lebensumstände dieser Menschen erfahren wir kaum etwas.

Die römische Villa am Silberberg in der Provinz Germania Inferior

Die Villa am Silberberg, die heute unter dem Museumsdach zu besichtigen ist, wurde gegen Ende des 1. Jhs. n. Chr. errichtet. Der Bau fällt genau mit der Erhebung des bisherigen Militärbezirkes zur Provinz Niedergermanien (Germania Inferior) zusammen. Der Haustypus unterschied sich dabei gravierend von den einfachen Hallenhäusern der einheimischen Bevölkerung. Die Villa am Silberberg ist vor diesem Hintergrund in dem vorher kaum dauerhaft besiedelten Gebiet des Ahrtales etwas Besonderes und Neues. Der sehr frühe Vorgängerbau aus der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. gehört zu einer ersten Phase von Hofgründungen nach römischem Vorbild im Rheinland. Möglicherweise hängt die Aufgabe dieser Villa, die wir als Haus I bezeichnen, mit den Unruhen während des Bataver-Aufstandes zusammen. Die Villa, die kurz nach Niederlegung des ersten Gebäudes hier am Silberberg errichtet wurde, und die bis etwa 259/60 bewohnt war, entspricht dem Typus einer Portikusvilla, eine Eigenentwicklung der nördlichen Provinzen. Ein vorgelagerter Portikus (Säulengang), erstreckte sich vom Außenniveau in der Höhe deutlich abgehoben in Ost-West-Richtung auf einer Länge von über 50 Metern. Im Osten und Wes-ten war das Gebäude zweigeschossig und zusammen mit dem sich im Westen anschließenden Badetrakt betrug die Frontlänge des gesamten Gebäudekomplexes 72 Meter. Die Lage am linken Ahrtalrand mit der Ausrichtung des Gebäudes nach Süden entspricht den Vorgaben des römischen Architekten Vitruv, der um 33 v. Chr. sein grundlegendes Werk zur Architektur (de architectura libri decem) verfasste, das maßgeblich wurde für den Bau der unterschiedlichsten Gebäude, öffentlich wie privat. Die Möglichkeit zur Ausnutzung des vollen Sonnenbogens und der Schutz durch den Hang des Silberberges im Norden waren ebenso wie das Vorhandensein von Frischwasser entscheidende Voraussetzungen für die Wahl des Bauplatzes. Der freie Talblick war ein weiterer wichtiger Aspekt, der auch ästhetisch motiviert war. Die erhöhte Lage gewährte zusätzlich Schutz vor möglichen Hochwassern. Jeder, der sich durch den sich im Süden an das Herrenhaus anschließenden Nutz- und Ziergarten, an den Dienerhäusern und Stallungen vorbei dem Haupthaus näherte, erkannte, dass hier ein repräsentativer Bau stand, dessen Besitzer über Geld und Einfluss verfügte.

Das Modell der Ahrweiler Römervilla (Ausschnitt) liefert ein anschauliches Bild vom Alltagsleben.

Der Wirtschaftsbereich, von dem heute leider überirdisch keine Überreste mehr erhalten sind, mit Stallungen und kleinen Gemüseäckern diente aller Voraussicht nach nicht dem Haupterwerb, sondern dazu, eine gewisse Autarkie herzustellen. Produziert wurden Gemüse und Obst zur Selbstversorgung. Nutztiere als Fleischlieferanten (Geflügel, Schaf, Ziege, Schwein), aber auch als Arbeitstiere (v.a. Rind, Pferd und Esel) wurden hier möglicherweise in geringer Anzahl gehalten. Kleinere handwerkliche Arbeiten, z.B. an Gerätschaften und den Gebäuden, führte man sicher auch selbst durch. Für die Ausführung dieser mit dem Wirtschaftsbereich zusammenhängenden Tätigkeiten beschäftigte man entsprechendes Personal, dessen Anzahl nicht unbedingt sehr hoch gewesen sein wird oder bediente sich speziell ausgebildeter Wanderhandwerker, deren handwerkliches Geschick häufig vortrefflich war.

Wenden wir nun unseren Blick ins Innere der noch gut erhaltenen Villa: Qualitativ hochwertige Wandmalereien aus mehreren Nutzungsphasen und hervorragende Estrichböden bestätigen den ersten Eindruck, dass es sich hierbei um ein repräsentatives Herrenhaus gehandelt haben muss. Auch die Aufteilung der Räume – so befindet sich beispielsweise der größte Raum als Repräsentationsraum unmittelbar gegenüber dem Eingangsbereich – spiegelt den gehobenen Lebensstandard wider. Einzelne Details lassen vermuten, dass hier kein Stadtrömer lebte, sondern ein romanisierter Einheimischer.

Die Bewohner und ihr Alltag

Leider wissen wir über die genaue Herkunft des Hausherren ebenso wenig wie über seinen Beruf. Ob er ein ziviler Beamter oder ein in militärischen Diensten stehender Offizier war, lässt sich nicht mehr feststellen. Der Befund lässt erkennen, dass das Herrenhaus zunächst wohl nur in den Sommermonaten als eine Art Sommerfrische genutzt wurde. Man kann sich also gut vorstellen, dass der Besitzer zu dieser Zeit noch in zivilen oder militärischen Diensten stand und hier im Ahrtal der stickigen Stadt – vermutlich das mit dem Wagen in einer Tagesreise erreichbare Bonn – zusammen mit seiner Familie entfloh. In dieser Nutzungsphase wurden auch verschiedene Um- und Anbaumaßnahmen am Haus durchgeführt. Es ist gut vorstellbar, dass sich die Ansprüche des Hausherren mit seinem beruflichen Werdegang veränderten. Die Räume, die schon bald dem Herrenhaus hinzugefügt wurden, waren allesamt mit einer Fußbodenheizung ausgestattet, und in einen der Räume wurde ein Ofen eingebaut, so dass die Folgerung zulässig ist, dass das Gebäude nun weit über den Sommer hinaus, möglicherweise sogar über das ganze Jahr hindurch genutzt wurde. Eine Ursache hierfür könnte darin liegen, dass der Herr des Hauses nun aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden war und als Privatier das Anwesen weiter nutzte und seinen Bedürfnissen gemäß ausbaute. Der Einbau von Heizungen kann auch auf einen Klimawandel zurückgeführt werden, der für die Rheinlande kühlere Temperaturen seit der Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts bescherte. Insgesamt haben sich mit Ehefrau, Kindern und Anverwandten in dem Herrenhaus 10-15 Personen aufgehalten. Das häusliche Personal bestand voraussichtlich aus einer oder mehrerer Dienerinnen für die Hausfrau, einem Privatlehrer und einem oder mehreren Hausdienern.

Küchenherd mit Backofen und Räucherkammer, um 300 n. Chr.

Dass hier ein gehobener Lebensstil gepflegt wurde, konnte bereits dargestellt werden. Die im Areal des Herrenhauses gefundenen sogenannten Kleinfunde sprechen darüber hinaus eine beredte Sprache: Austernschalen verweisen auf höchste Gaumengenüsse und geben bereits Anhaltspunkte auf die von den Römern bevorzugten Speisen und Getränke, die vor allem bei dem römischen Autor Apicius so wunderbar überliefert sind. In den Rheinlanden gibt es zahlreiche Belege für die Nahrungsgewohnheiten der römischen Bevölkerung, die hier nicht ausführlich beschrieben werden können. Der Unterschied dessen, was bei der durchschnittlichen Bevölkerung und den Angehörigen der oberen Schichten auf den Tisch kam, war eklatant. Opulente, verschwenderische Gastmähler, wie sie uns in satirischer Form überliefert sind, waren in den nördlichen römischen Provinzen eher die Ausnahme. Man legte in den gehobenen Gesellschaftsschichten zwar Wert auf schmackhafte Speisen, ließ sich wie hier am Silberberg auch einmal Delikatessen von weit her kommen, aber man war auch auf Produkte, vor allem Gemüse und Obst, aus der unmittelbaren Umgebung angewiesen, die man auch für den Winter konservierte. Getreide, in den Rheinlanden v.a. Dinkel, war besonders bei der einfacheren Bevölkerung und dem Militär Nahrungsgrundlage.

Festzustellen ist in fast allen Lebensbereichen eine Durchdringung von einheimischen keltisch-germanischen und römischen Lebensgewohnheiten. Deutlichster Beleg für die Anwesenheit der Römer ist das in lateinischer Sprache verfasste und als Dialog zwischen zwei Personen aufzufassende sogenannte Lehrer-Schüler-Graffito, das in den Verputz des Treppenhauses der römischen Villa am Silberberg eingeritzt wurde und sich erhalten hat. Es ist wahrscheinlich, dass die Kinder des Hausherren einen lateinischen Privatunterricht genossen haben. Amtssprache war Latein und jeder, der es zu etwas bringen wollte, musste diese beherrschen. In den Familien wurde jedoch öfter auch die einheimische Sprache weiter gepflegt.

Die Kleidung in den Provinzen war keinesfalls mit jener der Stadtrömer identisch. Man trug eine weitaus praktischere Kleidung, die einheimische Elemente bewahrte. Notwendiger Bestandteil der Gewänder in den Provinzen waren die als Fibeln bezeichneten Gewandspangen, von denen zahlreiche Stücke am Silberberg gefunden wurden und deren Verbreitung v.a. in den nördlichen Provinzen (Germania, Britannia, Belgica, Gallica) und auch in den östlichen Provinzen (Noricum, Pannonicum, Dacia und Moesia) nachzuverfolgen ist. Diese Fibeln werden häufig als typisch römisch angesehen, sind aber bereits Bestandteil der einheimischen keltisch- germanischen Tracht.

Eine Vermengung römischer und einheimischer Gottheiten ist geradezu Kennzeichen der römischen Religion: Die Verehrung bestimmter römischer Gottheiten war im Rahmen des Staatskultes Pflicht und wies den Religionsausübenden als römischen Bürger aus. Daneben gab es eine Reihe einheimischer Gottheiten, die neben den römischen verehrt wurden oder sogar mit römischen Gottheiten ähnlicher „Zuständigkeiten” von offizieller Seite gleichgesetzt wurden (=Interpretatio Romana). In der Villa am Silberberg lässt sich ein kleiner Raum erkennen, der nachweisbar als Larenheiligtum genutzt wurde. Laren waren Schutzgötter der Felder, der Reisenden und der Wegkreuzungen und allgemein Schutzgötter der Familien. Besonders beliebt waren die Matronen, einheimische Gottheiten, die vor allem im Bonner Raum verehrt wurden. Bekannt ist auch das Matronenheiligtum von Nettersheim in der Eifel. In den Rheinlanden wurde in den militärischen Ansiedlungen seit dem 2. Jh. verstärkt der ursprünglich persische Gott Mithras verehrt. Auch anderen kleinasiatischen oder sogar ägyptischen Gottheiten waren hier Heiligtümer oder Weihesteine gewidmet.

Viel Wert legten die Römer auf die Körperpflege. Das Element Wasser war allgegenwärtig sowohl in Rom als auch in den Privatvillen. Sicher hatten die Kelten und Germanen nicht über so ausgeklügelte Be- und Entwässerungssysteme und Wasserspiele verfügt. Bereits der Erbauer des Hauses I hatte dem Wohnhaus ein Badegebäude hinzugefügt, das in Größe und Ausstattung bereits mit dem des Nachfolgerbaues vergleichbar war. Wollte man nach römischem Modus leben, so gehörte ein Badegebäude mit seinen unterschiedlich temperierten Räumen einfach zu einem repräsentativen Herrenhaus dazu. Und angenehm war der Aufenthalt dort allemal. Die Nutzung des Wassers war mehr als reine Körperhygiene: Zum einen wurde damit eine Vorbeugung vor Krankheiten durch alle sozialen Schichten hindurch ermöglicht. Zum anderen beinhaltete der Aufenthalt im Bad, der sich über mehrere Stunden hinziehen konnte und der möglichst täglich am Nachmittag erfolgte, einen sozialen und kommunikativen Aspekt, denn nicht selten wurden offizielle und berufliche Angelegenheiten in den weiträumigen Badeanlagen beschlossen. Der Aspekt der Freizeit, der Abwendung von den alltäglichen Sorgen um den Broterwerb, der sich auch in Spielen jeglicher Art äußert (in der römischen Villa am Silberberg wurden zahlreiche Spielsteine gefunden), war eine weitere Errungenschaft der römischen Kultur, die bei der einheimischen Bevölkerung in solchem Umfang sicherlich nicht anzunehmen ist.

Resümee

Die Ausführungen konnten viele Bereiche des Lebens im römerzeitlichen Rheinland nur anreißen. Die relativ rasche Romanisierung hängt mit der vorzüglichen Infrastruktur (Straßensystem, Geldwirtschaft, Handel) zusammen, die die römischen Okkupatoren geschaffen hatten sowie mit der Bereitschaft der keltisch-germanischen Einheimischen, die neu gewonnenen Möglichkeiten zu übernehmen. Die Feststellung, dass das Rheinland relativ rasch romanisiert war, darf aber nicht zu dem Rückschluss führen, dass man hier genauso lebte wie in Rom. Die einheimische Bevölkerung behielt ihre Eigenarten und Gewohnheiten dort bei, wo sie die römische Ordnung nicht störten oder sogar im Alltag praktikabler (z.B. aufgrund des anderen Klimas) waren. Und bereits im 2. Jh. zeigte sich eine Tendenz zur Betonung der kulturellen Eigenarten nicht nur entlang des Rheins, sondern in den verschiedensten römischen Provinzen. In den Rheinlanden hielt sich aufgrund der militärischen Präsenz auch eine Vielzahl von Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen des römischen Imperiums auf, die meist auch nach ihrem Ausscheiden aus dem militärischen Dienst hier wohnhaft blieben. Gemeinsam bildeten diese die romanisierte Bevölkerung des 2.-4. Jhs. n. Chr.

Literatur (eine Auswahl):