Türkische Mitbürger im Kreis Ahrweiler

Attila Doger

Einwanderung seit den 1960er Jahren

Am 30. Oktober 1961 wurde das deutsch-türkische Anwerbeabkommen unterzeichnet. Daraufhin forderten deutsche Unternehmen von 1961 bis 1973 allein 740000 Arbeitskräfte aus der Türkei an. Eine Dauerbeschäftigung der türkischen Arbeitnehmer war anfangs nicht vorgesehen, weshalb zunächst auch die Arbeitserlaubnis auf zwei Jahre beschränkt war. Danach wollten und sollten die Gastarbeiter nach der ursprünglichen Planung in ihre Heimat zurückkehren. Es kam jedoch ganz anders. Viele leben mit ihren Familien nunmehr schon 40 Jahre hier, sie werden hier benötigt und fühlen sich inzwischen hier zu Hause. Gegenwärtig leben in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt rund 2,1 Millionen Türken; 250000 davon besitzen den deutschen Pass. Mehr als die Hälfte aller Türken gehört bereits der zweiten oder dritten Generation an. Von den unter 15-Jährigen wurden Dreiviertel in Deutschland geboren.

Folklore- und Musikdarbietung türkischer Kinder in der Sinziger Grundschule am 20. April 2002

Zur Lebenssituation im Kreis Ahrweiler

Im Kreis Ahrweiler leben 2115 türkische Mitbürger (Stand 1.1.2002). Sie stellen mit 22,92% der hier lebenden Ausländer die stärkste Gruppe dar. Allein in Remagen wohnen 709 türki­sche Mitbürger. Weitere Schwerpunkte sind Sinzig und Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Seit den 1960er Jahren sind türkische Arbeitskräfte im Kreis Ahrweiler unter anderem in Fabriken, im Gaststättengewerbe und auf Baustellen im Hoch- und Tiefbau beschäftigt. Trotz großer Sprachprobleme und vielfach schlechter Wohnsituationen in Wohnheimen und das Gefühl, in der Fremde zu sein, haben sich die meisten Türken dennoch gut eingelebt.

Deutschland und auch der Kreis Ahrweiler ist vor allem für die zweite und dritte Generation inzwischen zur Heimat geworden – und das trotz anfänglicher Schwierigkeiten und Integrati­onsprobleme.

Mittlerweile befindet sich die erste Generation im Rentenalter, die zweite arbeitet hier und deren Kinder besuchen die Schulen im Kreisgebiet, sind Auszubildende oder studieren. Die dritte Generation wächst zweisprachig auf und erlebt beide Kulturen, was gelegentlich auch zu Konflikten in den Familien führen kann. Die meisten von ihnen sprechen besser Deutsch als Türkisch. Um die türkische Sprache bei türkischen Kindern zu fördern, wird mut­tersprachlicher Ergänzungsunterricht (MEU) an den Grund- und Hauptschulen in Bad Breisig, in Sinzig, wo dies außerdem noch an der Sonderschule geschieht, in Remagen und Remagen-Kripp sowie in Ahrweiler angeboten. Wöchentlich wird dieses Fach ein bis drei Stunden von Türkisch-Lehrern unterrichtet.

Die Türkisch-Lehrer im Kreis Ahrweiler vermitteln mit der Sprache auch die türkische Kultur und unterstützen den kulturellen Austausch zwischen Deutschen und Türken. So werden u.a. jedes Jahr in den Schulen türkische Kinderfeste veranstaltet, zu denen Menschen aller Nationen eingeladen sind.

Die dritte Generation, die überwiegend hier geboren und aufgewachsen ist, fühlt sich nicht mehr als „Ausländer". Die Türkei ist für sie oft nur noch ein Urlaubsland, das sie jährlich für einige Wochen besuchen und in dem Verwandte leben. Häufig kennen sie es mehr aus dem Fernsehen als aus eigener Anschauung.

Die meisten türkischen Jugendlichen erlernen hier einen Beruf.

Im Gegensatz zu den Anfangsjahren legen die meisten Eltern heute viel mehr Wert auf eine gute schulische und berufliche Ausbildung ihrer Kinder, da ja eine Rückkehr in die Türkei in der Regel nicht mehr geplant ist. Dennoch besuchen Kinder aus türkischen Familien seltener weiterführende Schulen als ihre deutschen Klassenkameraden. Mit ihren Leistungen liegen sie leider oft weit zurück, werden dadurch häufiger aggressiv, was verständlicherweise die Freude an der Schule dämpft. Hier gibt es einen ursächlichen Zusammenhang mit der defizitären Beherrschung der deutschen Sprache, denn türkische Kinder sind gewiss nicht weniger intelligent als deutsche.

Schulisch und beruflich erfolgreiche Jugendliche sind weniger in der Gefahr, hier auf die „schiefe Bahn" zu kommen, wie es bei solchen ohne Perspektive und fehlender Akzeptanz durch das Elternhaus, durch Gleichaltrige und die Gesellschaft der Fall sein kann.

Zwischen Türken und Deutschen findet auf verschiedenen Ebenen ein kultureller Austausch statt, der aber intensiviert werden könnte. Langjährige Nachbarn haben sich kennen und akzeptieren gelernt, Freundschaften wurden geschlossen, vereinzelt auch Ehen. Das Kli­schee vom ungebildeten Türken, der hier nur zum Arbeiten lebt und den man nicht versteht, existiert bei den meisten nicht mehr. Fast an jeder größeren Arbeitsstelle findet man türki­sche Arbeiter in unterschiedlichsten Berufen und Positionen.

Eine ganze Reihe von türkischen Familien hat sich selbstständig gemacht und betreibt erfolg­reich Gemüse- und Lebensmittelgeschäfte, lmbiss-Lokale und Restaurants, aber auch Au­towerkstätten und Schneidereien.

Sparsamkeit, Familienzusammenhalt und Fleiß haben dazu geführt, dass mittlerweile viele türkische Familien Wohnungen, Grundstücke und Häuser gekauft haben, um ihre eigene Zukunft hier zu sichern.

Die ältere Generation, die sich bereits im Rentenalter befindet, lebt oft ein halbes Jahr in Deutschland und ein halbes Jahr in der Türkei und fühlt sich in beiden Ländern zu Hause.

Religion der Türken – Riten und Bräuche

Die meisten türkischen Mitbürger in Deutschland sind Moslems, christliche Türken sind sel­ten. Über den Islam wissen die meisten Deutschen aber recht wenig. Nach den terroristi­schen Anschlägen vom 11. September 2001 in New York begegnen sie ihm vielfach mit noch größeren Vorbehalten, dabei hat diese Religion nichts mit Terror gemein.

Der Islam ist von seinem Wesen her vielmehr eine Religion des Friedens und der Nächsten­liebe. Feindschaft, Hinterlist und Bosheit sind im Islam streng verboten. Der Islam fordert von seinen Gläubigen das friedliche Zusammenleben und das Teilen mit Bedürftigen.

Gebetsstunde in der Sinziger Moschee, 2002

Als Beginn des Islam gilt das Jahr 611 n. Chr.

In diesem Jahr wurde dem Prophet Mohammed in Mekka die Religion von Gott offenbart. Innerhalb des Islam spielt das Gebet eine zentrale Rolle. Zum Beten gehen die islamischen Türken in die Moschee. Im Kreis Ahrweiler gibt es in Remagen und Sinzig Moscheen in ur­sprünglich anders genutzten Gebäuden. Diese wurden durch Spenden seit 1972 gekauft und zu den heute bestehenden Moscheen umgewandelt.

Die Remagener Moschee befindet sich in der Fährgasse, die Sinziger in der Lindenstraße. In beiden Moscheen gibt es einen Vorbeter, der in der Türkei ausgebildet wurde. Er kommt jeweils für vier Jahre, um hier seine Aufgaben zu erfüllen. Sein Gehalt als Vorbeter wird vom türkischen Staat bezahlt. Für den Unterhalt der Moscheen sorgen die hier lebenden Türken durch freiwillige Beiträge.

Die Moscheen stehen jedem offen – nicht nur Moslems. In den Moscheen trifft sich Jung und Alt nicht nur zum Beten. Zwischen den Gebetszeiten besteht nämlich auch die Möglichkeit zum gemeinsamen Fernsehen, zu Spielen und der Einnahme von Getränken. Es wäre schön, wenn hier auch verstärkt Begegnungen mit Christen stattfinden würden. Dadurch könnten viele Vorurteile abgebaut werden. Zum Besuch in der Remagener und der Sinziger Moschee kann deshalb nur ermuntert werden.

Seit März 2002 gibt es auf dem Sinziger Friedhof ein Gräberfeld für Moslems. Dort ist bereits ein türkischer Mitbürger nach islamischem Ritus bestattet worden. Bei der großen Beerdigung wurde der Sarg von der Moschee in der Lindenstraße zum Friedhof auf den Schultern von mehreren Trägern getragen. Rund 700 islamische Glaubensgenossen nah­men an dieser Trauerfeier teil.

Große Feiern werden durchweg mit mehreren hundert Gästen begangen, z.B. anlässlich der Beschneidung von Jungen im Alter von 5 bis 13 Jahren. (Es wird meist eine ungerade Zahl sein.) Diese Feiern werden ebenso wie große türkische Hochzeiten oft in der Jahnhalle in Bad Breisig abgehalten. Nach der 30-tägigen Fastenzeit (Ramazan) wird ebenfalls ein großes Fest gefeiert. Beim Opferfest, das 70 Tage danach stattfindet, wird ein Hammel geschlachtet, dessen Fleisch an Verwandte und Arme verteilt wird.

In der Moschee gedenken die Familien bei bestimmten Anlässen der verstorbenen Familienmitglieder.

Vor der Pilgerfahrt nach Mekka bitten die Pilger um Verzeihung. Falls sie nicht wiederkehren sollten, entschuldigen sie sich schon für alle Fehler.

Dies sind nur einige Beispiele von den Riten und Bräuchen, durch die auch das Leben der Moslems hier im Kreis Ahrweiler geprägt wird. Über eine verstärkte Teilnahme der christlichen Nachbarn würden sich die türkischen Mitbürger sehr freuen.

Durch besseres Kennenlernen würden viele Missverständnisse beseitigt und zwischen den Kulturen Brücken gebaut. Wir würden lernen, uns gegenseitig so zu akzeptieren wie wir sind. Dies wäre gewiss für alle eine Bereicherung.