Angela Merici – die Gründerin des Ursulinenordens

Die Anfänge der Ursulinen von Calvarienberg zu Ahrweiler

Dr. Michael Riemenschneider

Die Ursulinen von Calvarienberg sind eingebunden in die große Gemeinschaft der Ursulinen, deren Niederlassungen in fast allen Ländern der Erde anzutreffen sind. Sie alle führen sich zurück auf Angela Merici, die Begründerin des Ursulinenordens, und leben nach den von ihr aufgestellten Regeln. Der Weg der Ursulinen führte von Brescia in Nord-italien in alle Welt – auch nach Ahrweiler.

Wer war Angela Merici?

Angela Merici wurde zwischen 1470 und 1475 in einem kleinen Ort am Gardasee als Tochter eines Bauern geboren. Mit fünfzehn Jahren verlor sie ihre Eltern und verbrachte ihre Jugend in befreundeten Familien, u.a. in der eines Onkels mütterlicherseits. Über ihre Jugendjahre ist ansonsten wenig bekannt. Die Biographen, die sich schon bald nach Angelas Tod ans Werk machten, sprechen übereinstimmend von einer außergewöhnlichen Begebenheit, die sie von Angela selbst erfahren haben wollen. Sie sprechen von einer Art Vision, in der ihr eröffnet worden sei, „dass Gott sich ihrer bedienen wolle, um eine Gemeinschaft geweihter junger Frauen zu gründen. Diese wenigen Augenblicke wurden zum Angelpunkt in Angelas religiösem Leben und gaben ihrem Lebensweg die Richtung."1)

Sehr früh trat sie dem sog. Dritten Orden des hl. Franziskus bei, einer Vereinigung von in ihrer häuslichen Umgebung wohnenden Laien, die in Franz von Assisi ihr Vorbild sahen. Die Regel der Gemeinschaft sah u.a. bestimmte Gebetsverpflichtungen und gegenseitige Unterstützung der Mitglieder vor. Auf diese Weise gelangte Angela Merici 1516 nach Brescia in Norditalien, wo sie einer Frau, die ebenfalls Mitglied der Gemeinschaft des hl. Franziskus war, nach dem Tod ihres Mannes und zweier Söhne beistehen wollte; so kam sie in das Haus der adeligen und reichen Familie Patengola. Die einst wohlhabende und blühende Stadt war gekennzeichnet von Kriegsverwüstungen, begründet in einem erfolglosen Aufstand gegen die französische Besatzung, und religiösen Verfallserscheinungen. In letzterem unterschied sie sich nicht von anderen Städten Italiens der damaligen Zeit, „die Bischöfe visitierten nur selten ihre Diözese, die Geistlichen waren in ihren Pfarreien entweder gar nicht anwesend oder führten ein unmoralisches Leben, Priesterseminare und Klöster waren Stätten der Zügellosigkeit und der Unwissenheit"2) die klösterliche Disziplin und Regel wurden nicht eingehalten. „Die Nonnen erlaubten sich unerhörte Freiheiten, ließen Weltmenschen in die Klausur ein… und gingen nach Belieben aus".3) Berichtet wird von Bällen und Festen, die in den Klöstern abgehalten wurden und Ursache für gar manchen Skandal waren.4)

Gesamtansicht des Klosters und der Schulen auf dem Ahrweiler Calvarienberg, 2002

Auf der anderen Seite begegnete Angela in Brescia einer von Laien getragenen Reformbewegung. Maßgeblich beteiligt daran waren Bruderschaften, die karitativ wirkten und beispielsweise Krankenhäuser für Syphilliskranke betrieben. Mit einer dieser Bruderschaften, der Divino-Amore-Bruderschaft, arbeiteten auch Frauen zusammen, die sich um Mädchen und Frauen kümmerten und in Brescia ein Waisenhaus und ein Haus für ehemalige Prostituierte unterhielten. Die Zustände in der Stadt und das Wirken der Bruderschaft prägten Angela Merici nachhaltig. Sie wohnte in verschiedenen Häusern von Mitgliedern und Freunden der Bruderschaft, die ihr ein Zimmer zur Verfügung stellten. Schnell wurde sie selbst Mittelpunkt einer Gruppe von sozial engagierten jungen Männern und Frauen. „Sie schlief wenig und verbrachte einen großen Teil der Nacht im Gebet. Tagsüber war sie ununterbrochen im Dienst für andere. Es zeigte sich, dass ihre besondere Begabung nicht in der materiellen Hilfe bestand, sondern in ihrem klugen Rat"5), so berichten zeitgenössische Quellen. Unterbrochen wurde ihr Wirken durch Wallfahrten, u.a. nach Rom und sogar nach Jerusalem – eine herausragende Leistung in dieser Zeit, zumal für eine Frau, wenn man sich die Umstände einer solchen Reise vor Augen zu halten versucht. Angela Merici empfand offenkundig aufgrund der auch ihr bekannten Zustände im Klerus, bei Mönchen und Nonnen „geradezu eine Abneigung gegen klösterliches Leben"6), ja, sie war nach dem Zeugnis ihrer Schriften eine „Gegnerin jeden formalistischen Christentums7). Ab etwa 1530 begann Angela Merici eine eigene Vereinigung junger Frauen und Witwen nach ihren eigenen Vorstellungen und Zielen aufzubauen, ohne Gelübde und Klausur. Ihr schwebte dabei weder ein Frauenorden noch eine karitativ tätige Frauengemeinschaft vor, die Mitglieder sollten weiterhin in ihren Familien leben, in Ausnahmen auch in kleinen Gemeinschaften und sich zu gemeinsamen Gebetsübungen treffen. Schon zuvor (1522) hatte Angela das Haus eines reichen Gönners verlassen und einen kleinen Raum an der Kirche St. Afra in Brescia bezogen. Dieses Gotteshaus wurde zum religiösen Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft, dort traf man sich auch zum gemeinsamen Gebet. „Ihre Gemeinschaft sollte über ihren äußeren Dienst hinaus eine religiöse Dynamik haben. Ihre Gefährtinnen sollten Frauen des Gebetes und des christlichen Lebens sein und nach einer einfachen Regel leben."8) Diese Regel gab Anweisungen zu Fasten, Beten, Sakramentenempfang, Armut, Ehelosigkeit und „ermutigte die Mitglieder, diese christlichen Grundhaltungen im Einklang mit ihren jeweiligen Lebensverhältnissen zu verwirklichen.9) Sie ermöglichte den Frauen der Gemeinschaft somit weitgehende Freiheit, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit. Am 25. November 1535 fand in einer schlichten Zeremonie in St. Afra die eigentliche Gründung der „Compania di Santa Orsola" statt, benannt nach der frühchristlichen Märtyrerin Ursula, die damals als Patronin der Jugend verehrt wurde. Überliefert sind eine Messfeier und die Eintragung in ein Buch der Gemeinschaft als ein Treueversprechen für ein gottgeweihtes Leben. Die Ursulinen sind also – wie der Lebensweg der Gründerin bezeugt – nicht von Anfang an ein Orden gewesen sondern eine Laiengemeinschaft. Ebenso wenig war die Zielsetzung von Anfang an primär auf die Bildung junger Mädchen ausgerichtet, sondern diente vor allem „der persönlichen Heiligung der Mitglieder"10). Allerdings sind schon Ansätze der Mädchenerziehung im Leben der Angela Merici erkennbar.

Statue der Angela Merici auf dem Schulhof Calvarienberg in Ahrweiler

Angela Merici starb fünf Jahre später am 27. Januar 1540. Sie hinterließ der Nachwelt drei Schriften: Ihre Regel, die sog. Ricordi und ihr Testament.11) Angela Merici wurde am 21. Mai 1807 heiliggesprochen. Ihr Grab befindet sich in der Kirche St. Afra in Brescia; Ihr Festtag ist 27. Januar, ein Tag der jedes Jahr im Kloster und in der Schule auf dem Calvarienberg feierlich begangen wird.

Die Ordensgründung der Ursulinen

Nach Angelas Tod wuchs die Gemeinschaft der heiligen Ursula sehr schnell an. Sie widmete sich Menschen in Not, besonders Kindern und hier wiederum den Mädchen, die bekanntlich bis dahin keinerlei außerhäusliche Erziehung und Ausbildung erhielten. Im Jahre 1544 erhielt die Gemeinschaft die Bestätigung durch Papst Paul III, worin der erste Schritt zu einer Umwandlung in einen Orden gesehen werden kann. Zu einem eigentlichen Schulorden entwickelten sich die Ursulinen erst durch die Einbeziehung in den vom Konzil von Trient ausgehenden Reformprozess.

Das Konzil von Trient (1545-1563) war ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche. Zur Abgrenzung von den reformatorischen Lehren Luthers, aber auch Calvins und Zwinglis erließ das Konzil Glaubensdekrete, die die zentralen Inhalte des katholischen Glaubens verbindlich niederschrieben. So wurden z.B. die Zahl der Sakramente auf sieben festgelegt, die Tradition als zweite Säule des Glaubens neben der Bibel definiert und der Wert der Messfeier he­rausgestellt. Darüber hinaus beseitigten Reformdekrete den Ablassmissbrauch, regelten die Amtspflichten von Bischöfen und Pries­tern, legten das Zölibat des Klerus fest. Sie schrieben auch den Orden eine Reorganisation vor u. a. bezüglich Aufnahmebedingungen und Noviziat und verlangten auch das Leben in einer Klausur. Auch für die von Angela Merici gegründete Ursulinen-Gemeinschaft bedeutete das Konzil einen Umbruch. Sie war bisher eine von einer Frau gegründete und von Gleichgesinnten getragene Laienbewegung von unten und wurde nun verfestigt und institutionalisiert und in die von Bischöfen und Priestern organisierte Kirche eingegliedert.12)

Einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung zu einem Schulorden und an der Integration der Ursulinen in die konziliare Reformbewegung hatte der Erzbischof von Mailand Karl Borromäus. Dieser wurde auf die zwischenzeitlich 130 Ursulinen von Brescia aufmerksam und ließ sich über ihr Wirken einen Bericht erstellen, in dem es heißt: „Diese Gesellschaft sendet Pflegeschwestern in alle Hospitäler Brescias; sie leitet Mädchenschulen und erteilt Religionsunterricht. Gott bedient sich ihrer, um viele Seelen zu bekehren, und führt zahlreiche Familien, in denen Schwes­tern leben, zum Dienst seiner göttlichen Majestät. Es ist nicht leicht, all das Gute verständlich zu machen, das der Herr durch diese Gesellschaft wirkt – so viele Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit übt sie…".13) Borromäus war offenkundig von ihrem Wirken sehr angetan und berief zwölf Ursulinen aus Brescia zu sich nach Mailand. Im Sinne des Konzils lebten die Ursulinen in Mailand erstmals in einer Gemeinschaft, was für die Neuankömmlinge zwar die zweckmäßigste Lösung war, aber auch ihre Entfaltungsmöglichkeiten beschnitt. Sie legten ein einfaches Gelübde ab und trugen eine gemeinsame Kleidung. 1566 gründete Karl Borromäus formell den Orden der Gesellschaft der heiligen Ursula. Er glaubte „kein besseres Mittel für die Reform der Bistümer zu kennen, als an volkreichen Orten die Gesellschaft der heiligen Ursula einzuführen".14)

Viele Ursulinengruppen praktizierten künftig in den Neugründungen die gemeinsame Lebensform. Für geraume Zeit gab es die in ihren Familien wohnenden Ursulinen und die sogenannten „kongregierten Ursulinen", die sich in einem Haus zu gemeinsamer beruflicher Tätigkeit zusammenschlossen. Diese Lebensform löste nach und nach das Weiterleben in der Familie nach einem Treueversprechen ab. Die vom Konzil beabsichtigte straffere Organisation der Orden beeinträchtigte allerdings auch das Wirken der Ursulinen in ihrer offenen Erziehungsarbeit und führte zur Beschränkung ihrer Tätigkeit innerhalb der Klostermauern. Bis zum Tod des Erzbischofs 1584 gab es im Bistum Mailand bereits 18 Gemeinschaften mit ca. 600 Ursulinen. Binnen 100 Jahren verbreitete sich der Orden auf ganz Italien, Frankreich, Holland, Schweiz und Deutschland. Zu den ersten Gründungen in Deutschland zählten 1639 Köln, 1660 Kitzingen, 1667 Erfurt, 1668 Landshut, 1681 Düren, 1691 Straubing und 1695 Freiburg.15)

Die Ursulinen von Calvarienberg führen sich zurück auf die seit 1614 in Lüttich tätigen Schwestern. Von hier gingen mehr als 50 Gründungen aus, u.a. das erwähnte erste Ursulinenkloster in Deutschland Köln und ebenso Düren. Das Kloster Düren seinerseits stiftete 1710 das kleine Kloster Monjoie, heute Monschau, von wo 1838 die ersten Schwestern zum Calvarienberg nach Ahrweiler kamen.16)

Anmerkungen:

  1. Föderation deutschsprachiger Ursulinen (hrsg.): Angela Merici; Regel, Ricordi, Legati. Werl,1992 S. 61 Föderation, a.a.O., S. 61

  2. Föderation, a.a.O., S. 63

  3. Desaing, Maria-Petra: Die Ursulinen. Freiburg 1968, (=Orden der Kirche Bd. 9) S.17

  4. ebenda S. 17

  5. Föderation, a.a.O., S. 64

  6. Desaing, a.a.O., S.17

  7. Wittstadt, Klaus: 450 Jahre Ursulinen – 450 Jahre Postulat; kirchengeschichtliche Perspektiven zu Leben und Werk der heiligen Angela Merici. in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 47 (1985) S. 85

  8. Föderation, a.a.O., S. 66

  9. Föderation, a.a.O.,S. 66f

  10. Lesch, Karl Josef: Katholische Reform und Gegenreformation. in: Handbuch katholische Schule Bd. 3, hrsg. im Auftrag des Arbeitskreises katholischer Schulen von Rainer Ilgner. Köln 1992, S. 46-68, hier S. 59

  11. Der Text der drei Schriften in deutscher Übersetzung aufgrund einer neu entdeckten italienischen Handschrift, die älter ist als die bisher benutzte, findet sich in: Föderation, a.a.O., S. 11 ff.

  12. vgl. Conrad, Anne: Mit Klugheit, Mut und Zuversicht; Angela Merici und die Ursulinen. Mainz 1994 (=Topos Taschenbücher 239), S. 25

  13. so der Bericht des geistlichen Leiters der Ursulinen vom 21. 12. 1566, zit. nach Deasing, a.a.O., S. 47

  14. so Borromäus auf einer Provinzialsynode. zit. nach Wittstadt, a.a.O., S. 95

  15. Wittstadt, a.a.O., S.97 und Wendlandt, Hans Carl: Ursulinen – Gesellschaft der hl. Ursula. in Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10. Freiburg 1965, Sp. 576-578

  16. Die Entwicklung aus bescheidenen Anfängen zu einem bedeutenden Schulorden und der Weg von Brescia über Lüttich, Düren, Monschau nach Ahrweiler bleibt einem weiteren Aufsatz vorbehalten.