Dem Glauben und der Tradition verbunden

Die St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler feiert im Jahre 2003
ihr 600-jähriges Jubiläum

Hans-Georg Klein

Im Jahre 2003 kann die St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler auf ihr 600-jähriges Bestehen zurückblicken. Das ist Anlass genug, sich mit dieser Schützengesellschaft zu beschäftigen, vor allem aber über ihre Anfänge nachzudenken, zumal Peter Joerres 1903 frei bekannte, dass das Jubiläumsjahr 1403 ein wohlbegründetes, aber angenommenes Datum sei. Theo Reintges, der sich wissenschaftlich mit der Entstehung der Schützengesellschaften auseinander gesetzt hat, meint, dass allzuoft legendäre Berichte für phantastische Frühdatierungen der Schützenbruderschaften herhalten müssen. Er hält aber das Datum Ahrweilers für durchaus plausibel.1) Dennoch gilt es, dieses für die Ahrweiler Schützen wichtige Datum von 1403 zu hinterfragen. Die Geschichte der Gesellschaft ist schon oft beschrieben worden (1903 von Dr. P. Joerres, 1928 von Albert Federle, 1953 von Ferdinand Gies und zuletzt 1978 von Albert Friedrich), so dass wir darauf nicht näher einzugehen brauchen.

Zunächst aber ist die Frage zu beantworten, worin sich die St. Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler von anderen Schützenbruderschaften unterscheidet. Dabei können wir Erstaunliches feststellen;

Nach dieser Abschweifung kehren wir nun zurück zu den Anfängen der Gesellschaft und zur Frage, ob die Ahrweiler Schützen mit Recht auf eine 600-jährige Geschichte zurückblicken können. „Die Zeit der Entstehung der älteren Schützengesellschaften ist mir für keine einzige bekannt. Glaubwürdige Nachrichten sagen uns von vielen, wann sie bestehen, nicht wann sie entstehen".2)

Die Problemlage hat sich seit der Veröffentlichung von Peter Joerres im Jahre 1903 kaum geändert. Die Quellenlage ist mehr als dürftig. Statuten aus der Anfangszeit sind nicht mehr vorhanden. Trotzdem wollen wir versuchen, die Zeit der Entstehung der St. Sebastianus- Schützengesellschaft bzw. der -bruderschaft einzugrenzen.

Am 1. Juni 1366 wird Ahrweiler in den Bund der Herren und Städte zwischen Maas und Rhein aufgenommen. Die Mitglieder dieses Landfriedens wollen für die Sicherheit der Straßen und ein gewaltfreies Zusammenleben garantieren. Um die Urteilssprüche durchzusetzen und die Friedensbrecher zu bestrafen, stellen die Geschworenen ein 1000 Mann starkes Heer auf. So stellt der Erzbischof von Köln 250 Ritter und Knechte und 50 Schützen, der Herzog von Brabant ebenso viele, die Stadt Köln 150 Berittene und 50 Schützen, die Stadt Aachen 100 Berittene und 100 Schützen usw. Ist es vermessen zu vermuten, dass die erzstiftische Mithauptstadt Ahrweiler ihrem Landesherrn bei der Gestellung der 50 Schützen helfen musste?

Ahrweiler Fronleichnamsprozession am Ahrtor, 2002: Die Begleitung der Fronleichnams­prozession gehört zu den vornehmsten Aufgaben der St. Sebastianus Bürgerschützengesellschaft Ahrweiler.

Die Vermutung verdichtet sich zur Gewissheit, wenn wir nun den ersten schriftlichen Beleg heranziehen. 1371 belagerte Erzbischof Fried-rich von Saarwerden im Verein mit den Städten Köln und Ahrweiler die Burg Neuenahr und zerstörte sie. In den Rechnungsbüchern der Stadt Köln sind die Ausgaben für diese Fehde genau belegt.3) Die Kölner hatten den Armbrustmacher Meister Gerhard und Bogenschützen (sagittarius) aus Ahrweiler bei der Belagerung unter Vertrag genommen. 1371 erscheint eine Rechnung: Magistro Gerardo balistario pro se et socio suo et pro balistario Ar­wilrense 4 Mark 4 Schilling, d.h. für den Armbrust- machermeister Gerhard und seinen Gesellen und für den Armbrustmacher aus Ahrweiler 4 Mark 4 Schilling. Also gab es 1371 in Ahrweiler schon einen Handwerker, der Armbrüste anfertigte bzw. reparierte. Da eine Armbrust als Freizeitspielzeug zu teuer war (Wert von 3 Malter Korn), ist zu schließen, dass es 1371 tatsächlich in Ahrweiler schon Schützen gab, die mit der Armbrust Wehraufgaben wahrnahmen. Ahrweiler Schützen scheinen bei der Erobe­rung der Burg Neuenahr aktiv mitgemacht zu haben. „Im Sommer des Jahres 1371, oder 1371, erschien der neuerwählte Kölner Erzbischof Friedrich von Saarwerden mit einem kleinen Heer, das aus stadtkölnischen Rittern, aus Fußvolk, aber auch aus einer Abteilung von Bogen- und Armbrustschützen aus Ahrweiler bestand, vor der Burg Neuenahr und schloss sie ein."4) Der Bürgereid verpflichtete zwar alle Bürger zur wehrhaften Verteidigung, aber das Armbrustschießen erforderte dennoch über den reinen Wehrwillen hinaus ein hohes Maß an Übung und Geschicklichkeit. In den Schützen schälte sich die Elite der städtischen Wehrhaftigkeit heraus. Der Schutz des Allerheiligsten bei der Fronleichnamsprozession wurde folglich dieser Elite an­vertraut. „Es ist diese Schutzstellung, vornehmlich des Allerheiligsten, folglich nicht Ursache für die Gründung der ersten Schützenbruderschaften, sondern eine nach­träglich hinzugefügte Aufgabe."5)

Alle Korporationen im Mittelalter, z.B. die Zünfte, waren bestrebt, als Bruderschaft anerkannt zu werden. Eine Bruderschaft ist aber „ein durch die kirchliche Autorität errichteter Verein, welcher die religiöse Vervollkommnung seiner Mitglieder durch Ausübung besonderer Werke der Gottesverehrung oder der Nächstenliebe zum Zwecke hat."6) Zu einer solchen Bruderschaft wurden nun innerhalb der alten Erzdiözese Köln und in den anstoßenden Gebieten die bereits bestehenden Schützengesellschaften erhoben, sie nennen sich von da ab mit Vorzug „St. Sebastianus-Schützenbruderschaften." Die Errichtung einer solchen Bruderschaft war ein bischöfliches Privileg, das den Mitgliedern die Gnade Gottes verhieß, das soziale Ansehen mehrte und die Spendenbereitschaft der Mitbürger anregte. Auch über das Datum der Erhebung der Ahrweiler Schützengesellschaft zur Bruderschaft schweigen die Quellen. Wieder gilt es, sich auf Umwegen dem Jahr der Begründung der Bruderschaft zu nähern.

Das älteste erhaltene Bruderschaftsbuch, das 1655 renoviert wurde, überliefert uns Namen, die uns eine genauere Datierung erleichtern. Allerdings sind die Mitglieder nicht in chronologischer Reihenfolge aufgeschrieben.

Wenn wir dieses Buch als Beleg heranziehen, müssten an erster Stelle Junker Dietrich Blankart und seine Frau Elisabeth stehen. Dietrich ist für 1398 und 1423 belegt. Er ist vor 1430 gestorben. In diesem Jahr ist sein Sohn Johann, auch Mitglied der St. Sebastianus-Bruderschaft Ahrweiler, mit dem Lehen seines Vaters ausgestattet worden. An zweiter Stelle müssten Junker Heinrich Kolb und seine Ehefrau Guda Schönhals stehen. Heinrich ist für 1405 bis 1438 urkundlich belegt. Er starb 1443. Heinrichs Bruder Johann und seine Ehefrau Agnes sind für 1423 bis 1446 nachgewiesen.

Erwähnt werden müssen auch noch die frühen Mitglieder Johann von Einenberg und seine Frau Lisa von Langenau. Beide heirateten 1399. Johann ist nachweislich 1438 gestorben.

Aus dem Todesjahr des Junkers Dietrich Blankart ist abzuleiten, dass die St. Sebastianus- Schützenbruderschaft Ahrweiler mit Sicherheit vor 1430 gestiftet worden sein muss.

Ein weiteres Indiz ist die fromme Stiftung der Irmtrud, Witwe des Peter Scheffen, die 1473 einen Altar zu Ehren des hl. Sebastian in der St. Laurentius-Pfarrkirche fundiert.7) Ferner ist anzumerken, dass von den 12 Heiligen, zu deren Ehre der Kapellenaltar auf dem Calvarienberg im Jahre 1505 konsekriert wird, St. Sebastian zuerst genannt wird. Ebenso stiftete der sehr vermögende Ahrweiler Bürger Peter Muylman 1474 in seinem Testament der Schützenbruderschaft in Ahrweiler einen Geldbetrag und zwei Pfund Wachs.8) Seine Armbrust vermacht der Erblasser dem Paul Schuyss. Dieses Legat gibt uns einen Hinweis darauf, wie die Schützen damals bewaffnet waren.

Der Bruderschaft gehörten alle Schützen der Gesellschaft mit ihren Frauen an. Um zu sehen, wie sich das Bruderschaftsleben in etwa gestaltete, sehen wir uns die Verleihungsurkunde der Bonner Bruderschaft an; die von Ahrweiler wird nicht anders gewesen sein:

... von den gottseligen Schützen unserer Stadt Bonn wird eine Bruderschaft zum Lobe und zu Ehren Gottes und zu Ehren des hl. Märtyrers Sebastian zur Seligkeit aller Brüder und Schwes­tern begründet. Sie feiern andächtig und ehrfürchtig am Tage des hl. Sebastian in der Kirche eine hl. Messe mit Prozession bei Mitführung einer Statue des Heiligen und tun gute Werke ... Wir genehmigen also gnädig das Anliegen einer solchen Bruderschaft zur Vermehrung der Andacht... Wir gewähren allen, die mit wahrer Reue gebeichtet und Buße getan haben und am Sebastianustag der hl. Messe und der Prozession beigewohnt haben, fünf Vater Unser und Ave Maria gebetet haben und auch mit offener Hand gute Werke zum Geleucht der Bruderschaft getan haben, einen 40tägigen Ablass.

Durch die Verbindung dieser Bruderschaft mit der Schützengesellschaft wurde das Aufgabengebiet der Schützen gewaltig geändert. Waren bisher die Stadtverteidigung und die Abhaltung von Schießfesten, teils zur Waffenübung, teils zur Belustigung, die Hauptaufgaben, so wurden jetzt zwei neue, zutiefst christliche Aspekte hinzugefügt: Die Verherrlichung der christlichen Religion und des Gottesdienstes und die Unterstützung bedürftiger Mitglieder der Bruderschaft und der Armen überhaupt. Als äußeres Erkennungszeichen trugen alle Mitglieder der Bruderschaft bei feierlichen Anlässen einen Habit. Die Bruderschaft endete 1828 mit dem Verbot aller Bruderschaften durch den damaligen Trierer Bischof von Hommer. Von dieser Zeit an nannten sich die Ahrweiler Schützen „St. Sebastianus-Bürger- Schützengesellschaft".

Zur Gründungszeit der Schützenbruderschaft hat es nach dem Bruderschaftsbuch auch über lange Zeit 25 aktive Schützen gegeben und etwa die doppelte Anzahl an Mitgliedern in der Bruderschaft. Von diesen 25 aktiven Schützen waren 10 Adlige und 15 Bürgerliche.

Quellenmäßige Belege setzen für die Schützengesellschaft und die Schützenbruderschaft erst mit dem Beginn der städtischen Rechnungs-überlieferung 1487 ein. Wir finden in den Rechnungsbelegen nun jährlich Ausgaben für onsere schutzen: Wein für die Schießspiele auf dem Green „up den grende", Geldzuwendungen für Schützen, die auswärts Schießspiele besuchen wollten und von 1487 an Aufwendungen für das jährliche Vogelschießen. Ferner gibt die Stadt „Trinkgelder" für die Begleitung der Fronleichnamsprozession. Gefeiert wurde entweder im Schützenhaus auf der Schützbahn oder im städtischen Gewandhaus auf dem Markt. Das Schützenhaus scheint aber nicht im Besitz der Schützengesellschaft gewesen zu sein, denn die Stadt bezahlte die nötigen Reparaturen.

Nach dem Stadtbrand 1689 steht das Schützenhaus in dem funktionslos gewordenen Stadtgraben zwischen Adenbachtor und Niedertor. Hier wurden nun die Feste mit schützen-eigenem Wein, der am Sebastianuswall wuchs, gefeiert. Die Schützen erwiesen sich auch gegenüber den mittellosen Franziskanerpatres als sehr spendabel, was offensichtlich dem Ansehen der frommen Patres nicht immer dienlich war, denn der Provinzial musste 1729 seinen Mitbrüdern verbieten, im Stadtgraben etwas zu essen oder zu trinken.

Zusammenfassend kann festgestellt werden:

  1. Schützen treten in der Stadt Ahrweiler mindestens seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts auf (terminus a quo).

  2. Bei der Belagerung der Burg Neuenahr 1371 gab es schon Schützen in Ahrweiler.

  3. Die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft ist mit Sicherheit vor 1430 begründet worden (terminus ad quem).

Anmerkungen:

  1. Reintges, Theo, Ursprung und Wesen der spätmittelalterlichen Schützengilden, Bonn 1963. S. 62.

  2. Joerres, Peter, Festschrift zur 500-jährigen Jubelfeier der St. Sebastianus Bürgerschützen-Gesellschaft zu Ahrweiler, Ahrweiler 1903, S. 25.

  3. Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters, Bd. 11, Die Ausgaben, hrsg. von Richard Knipping, Bonn 1897.

  4. Knoll, Gerhard, Die Neuenahrer Fehde und die Zerstörung der Burg Neuenahr (1360-1394), in: Beuler Lupe, Heft 20-25. In diesen Beiträgen geht Knoll auch auf die Problematik der genauen Datierung ein.

  5. Schützen im Raum Euskirchen, S. 14 f.

  6. zitierte in Joerres, S. 42.

  7. Pfarrarchiv Ahrweiler, Urkunde Nr. 6.

  8. Archiv Gymnich 283; diese Quelle verdanke ich Herrn Prof. Dr. Klaus Flink­.