Der Wald als Fremdenverkehrsziel um 1900 -

dargestellt am Beispiel von Remagen

Stephan E. Braun

Erholung im Wald

Das neue Landeswaldgesetz von Rheinland-Pfalz fordert, die Leistung des Waldes für die Erholung zu erhalten, zu schützen und zu mehren. Sowohl den Waldbesitzern als auch den Waldnutzern des beginnenden 21. Jahrhunderts ist diese Regelung schon aus dem vorherigen Landesforstgesetz bekannt, denn auch hier wurde die Erholungsfunktion gleichrangig neben die Nutz- und die Schutzfunktion des Waldes gestellt. In vielen Wäldern beweisen die große Anzahl Erholungssuchender, dass die Nachfrage nach dieser Leistung besteht. Die Waldbesitzer bringen jährlich erhebliche Mittel auf, damit ihre Waldwege als Wander-, Reit- und Fahrradwege sowie als Laufstrecken genutzt werden können. Zusätzlich werden Erholungseinrichtungen wie Schutzhütten, Spielplätze und Lehrpfade errichtet und unterhalten.

Wanderer, Spaziergänger, Mountainbiker, Jogger nutzen den Wald für ihre Freizeitaktivitäten, und mit wachsender Freizeit werden die Ansprüche an den Wald größer. Selbstverständlich werden Wälder in unmittelbarer Nähe von Städten und in Fremdenverkehrsgebieten von mehr Erholungssuchenden aufgesucht, als entfernter liegende Wälder abseits von Ballungsgebieten. Dass die wirtschaftliche Nutzung hinter die Erholungsnutzung zurück tritt, wird manchmal als eine relativ neue Erscheinung gedeutet. Der Stadtwald Remagen ist einBeispiel aus unserem Kreis dafür, dass bestimmte Wälder schon seit über hundert Jahren für die Erholung und den Fremdenverkehr eine herausragende Rolle spielen, wenn auch in sich ändernden Erscheinungsformen.

Heute sind es vor allem die Einheimischen, die sich in ihrer Freizeit in den Remagener Wald­orten um den Victoriaberg und den Reisberg (Waldgebiete auf dem Plateau im Süden und Westen Remagens) tummeln. Vor einem Jahrhundert wurden den Gästen von außerhalb diese Wälder als Fremdenverkehrsziele angepriesen.

Rheinromantik und Fremdenverkehr in Remagen

Remagen ist einer der ältesten Fremdenverkehrsorte im Kreis Ahrweiler. Seit dem späten Mittelalter waren die Reliquien des heiligen Apollinaris das Ziel der Wallfahrer, die in Remagen auf den Apollinarisberg pilgerten. Im 19. Jahrhundert zog es vermehrt Reisende nach Remagen, die dort, wie am gesamten Mittel­rhein, die Schönheiten von Kultur und Landschaft als Zeugnisse des (idealisierten) Mittelalters suchten. Remagens Hauptsehenswürdigkeit war die Apollinariskirche mit ihren Fresken. Daneben fanden die Pfarrkirche und das romanische Pfarrhoftor sowie die Funktion der Stadt als Eintrittspunkt für das vielbesuchte Ahrtal in den Reiseführern Erwähnung.

Zuerst waren es wenige Adlige und gebildete Bürger, die den Rhein bereisten und die Schönheit seiner Landschaft und Burgen in Schriften rühmten. Das Jahr 1802, also vor 200 Jahren, gilt mit einer Reise Friedrich Schlegels an den Rhein als das Geburtsjahr der Rheinromantik (vgl. Tümmers, 1968).

Mit dem Beginn der Dampfschifffahrt auf dem Rhein verbesserten sich die Verkehrsverhältnisse wesentlich. Seit 1826 liefen die Dampfboote auch Remagen an und zunächst erreichten die Touristen das Remagener Ufer mit Nachen, später über Anlegebrücken (Haffke, 1993).

Bei diesen Touristen handelte es sich um finanziell Begüterte, denn Reisen und Tourismus waren auch innerhalb Deutsch­lands, anders als heute, nichts für die breite Masse des Volkes. Vor allem Adlige, Akademiker und Industrielle hatten die Mittel und die Zeit zum Reisen. Diese Touristen wollten sich auf ihren Reisen bilden und die Kultur- und Naturschönheiten des Landes im Sinne der Romantik erleben. In der heutigen Zeit mit Reiseattraktionen wie „Kampf­trinken am Ballermann 6 auf Mallorca" oder „Abenteuerliche Fernreisen in fremde Kontinente", finden die Ziele und Reiseabenteuer der damaligen Reisenden (leider) nur noch wenig Beachtung.

Der 1867 gegründete Verschönerungsverein Remagen (Haffke, 1993) schuf mit den Spazierwegen und Aussichtspunkten im Remagener Stadtwald, sowie dem Restaurant „Waldburg" eine Attraktion für die damaligen Reisenden. Hier gab es die Möglichkeit zu einem Naturerlebniss ohne große körperliche Anstrengungen. Man schwärmte von der unberührten Natur und stellte sie in Bildern noch wilder und urtümlicher dar als sie tatsächlich war. Doch auf die Errungenschaften und Annehmlichkeiten der Zivilisation wollte man nicht verzichten. Suchen fortschrittliche Menschen der heutigen hochtechnisierten Welt das „unverfälschte Naturerlebnis", z. B. in der Form von „Survivaltraining" (= „Überlebenstraining") mit Verzicht auf möglichst alle Hilfsmittel, so mussten die „romantischen Orte" in der Natur zur Zeit der Rheinromantik gut erreichbar und so ausgestattet sein, dass man vor den Unbilden des Wetters wie Regen, Wind und Sonne geschützt war.

Der Remagener Wald in zeitgenössischer Literatur

Anhand von zeitgenössischen Reiseberichten und Reiseführern wird nachfolgend versucht, das Fremdenverkehrsziel Remagener Wald für den Zeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg darzustellen.

Ein Artikel in der Zeitschrift „Die Gartenlaube" von 1870, „jenem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so populären Illustrierten Familienblatt" (Krueger, 1992, S. 70), schildert die Erschließung des Waldes oberhalb Remagens für die Erholungssuchenden:Der Victoriaberg wurde „erst seit einigen Jahren zugänglich gemacht […]. Der fünfhundert Fuß hohe Berg wurde bis dahin den Vögeln des Waldes allein überlassen, die schlichten Bauersleut, die das Eichengestrüpp zur Gewinnung der Lohrinde hier fällten, waren für die Schönheit des Punktes unempfänglich. Einmal aufmerksam gemacht, dass hier eine Stelle sei, die der berühmten Rossel bei Bingen ähnlich, bildeten Remagens Bewohner einen Verschönerungsverein, kauften Grundstücke, ließen Waldwege hauen und planieren, Lichtungen schlagen, Einschnitte überbrücken und führten Mooshütten, Pavillons und Erfrischungshallen an den Hauptpunkten auf". (Zitat nach Kürten 2000, S. 72f)

Die Rahmenhandlung des damaligen Artikels ist eine „Wanderung" (aus heutiger Sicht eher ein Spaziergang) durch den Wald auf mit Wegweisern markierten Wegen zu den Aussichtspunkten Eremitage, Hofreiden-Terrasse und Reis-Pavillon.

Vormals beliebtes Ausflugsziel am Rhein: die Remagener Waldburg (Luftaufnahme um 1930

Die sich von den einzelnen Punkten dem Betrachter darbietenden Aussichten auf das Rheintal von Andernach bis Rolandseck, die „Golden Meile", das Ahrtal und die Eifel werden geschildert.

Eingeflochten in den Artikel werden Episoden um bekannte Vertreter der Rheinromantik, die Bezug zu dieser Gegend hatten, allen voran der „Wiedererbauer" des Rolandsbogen Ferdinand Freiligrath.

Auch damals klagte man schon über die „Neuen Zeiten". „Wissen Sie, dass dies rastlose Genießen eigentlich eine fatale Folge unserer Eisenbahnreise ist? Wir gönnen uns keine Ruhe mehr. Zu Schiller’s Zeit schlug die Uhr keinem Glücklichen, jetzt schlägt die Bahnhofsglocke Allen, die sich glücklich schätzen sollten, der Locomotive entronnen zu sein" (Zit. n. Kürten 2000, S. 76). Der heutige Mensch liest es und schmunzelt über die „Hektik" der damaligen Reisenden.

Da dieser Artikel zusätzlich mit dem Holzstich „Panorama des Rheintals gesehen vom Victoria Berge bei Remagen" illustriert war, wird er sicherlich eine gute Werbung für Remagen und den Victoriaberg gewesen sein.

Ein Reiseführer aus dem Jahre 1899 hebt den Viktoriaberg als besonders sehenswert hervor und beschreibt ihn wie folgt:„Der Victoriaberg (zu Ehren der deutschen Kaiserin Viktoria so genannt) ist ein großes bewaldetes Plateau mit schattigen Promenadenwegen, welche zu mehreren schönen Aussichtspunkten führen. Prächtiger Blick rheinauf bis Andernach, rhein­ab ins Siebengebirge, über den Strom weit in den Westerwald. Drei Wege führen in je 1/4 St(unde) hinauf: 1) Fahrweg durch die Lützelbach, 2) Fußweg durch die Weinberge über das Martinsknippchen, 3) Fußweg oberhalb der Stadt durch die Eisenbahnunterführung. - Oben das staatliche Gasthaus zur Waldburg (Pension 5 Mark, Esel zum Reiten zu haben), Eigentum des Remagener Verschönerungsvereins. Von dessen Saale und schattiger Terrasse aus überraschend herrlicher Blick ins weite Rheintal und den Westerwald. - Vom Hotel auf ebenem Waldweg in 1/4 St. zur Ahrplatte, Ruhepunkt, mit Blick ins Ahrtal und Eifelgebirge. Von hier in 1/4 St. durch den Wald zum Reisberg, mit weitem Rheinpanorama. Zurück zur Waldburg in 1/2 St. auf Promenadenweg. Überall Wegweiser" (Meyers 1899, S. 217).

Der oben erwähnte Fahrweg durch die Lützelbach wurde auf Betreiben des bekannten Remagener Hoteliers Carraciola angelegt. Er war der Großvater des noch bekannteren Rennfahrers Rudolf Carraciola. (vgl. Kürten 2000, S. 206)

Karl Kollbach schildert in seinem Reiseführer „Remagen und Umgebung" den Wald sehr ausführlich:„Die Aussicht vom Viktoriaberge bei der Waldburg ist eine der schönsten am ganzen Mittelrhein […] Wer nur etwas Zeit übrig hat, muss von der Waldburg aus den Spaziergang zur Ahrplatte zum Eifelblick und zum Reisberg machen. […] Der ganze Weg führt durch den schönen Wald, der meist im Besitze der Stadt ist und für die Folge ausschließlich als Hochwald und nach landschaftlichen Rücksichten bewirtschaftet werden soll. Nach ca. 10 Min. wird auf einer Holzbrücke eine kleine Schlucht überschritten, die sich zum Rheintale niedersenkt (Anmerk. d. Verf.: das Wässeriger Tal). Später gelangt man auf Heideflächen mit vereinzeltem Baumwuchs, die stimmungsvolle Vegetationsbilder geben. […] Nachdem man von der Ahrplatte und vom Eifelblick aus entweder durch das Birkenwäldchen oder geradeaus auf etwas näherem Pfade durch Wald, Gebüsch und Heide zum Reisberg gelangt ist, hat man ein ganz verändertes, aber nicht minder fesselndes Landschaftsbild vor Augen[…]" (Kollbach 1913, S. 42ff).

Der Wald heute

Welche Spuren dieser Epoche des Remagener Fremdenverkehrs kann der Waldbesucher des Jahres 2002/3 im Bereich des Victoriaberges und Reisberges noch finden? Die Bäume der Kastanienallee am Weg durch die Lützelbach sind original aus jener Zeit. Die „Promenadenwege" durch den Wald sind noch immer stark frequentierte Spazierwege, daneben dienen sie als Waldwirtschaftswege, Lauf- und Mountainbikestrecke, und vor 10 Jahren wurde entlang eines Rundweges unter Leitung des Verschönerungsvereins ein Waldlehrpfad angelegt.

Die meisten der vielgerühmten Ausblicke auf die umgebende Landschaft sind durch den mittlerweile entstandenen Hochwald zugewachsen.

Die eigentliche Hauptattraktion, „das stattliche Gasthaus zur Waldburg" ist aber seit über 30 Jahren geschlossen und verharrt als Ruine im „Dornröschenschlaf", vielleicht in der Hoffnung, dass „der Prinz einer neuen Rheinromantik es wach küsst".

Quellen und Literatur: