Lernfähigkeit fördern statt „intellektuelle Stopfgänse"1) züchten

Das Rhein-Gymnasium Sinzig im Porträt

Manfred Sturm

Franz Alt und Ignaz Bubis waren schon da (im FORUM ZUKUNFT nämlich), aber auch Momo oder Aladdin (bei der KLEINEN THEATER-AG der Klassen 5-8), und die Liste der weltberühmten Autoren, die von der GROSSEN THEATER-AG in den letzten 21 Jahren zur Aufführung gebracht wurden, reicht von Sophokles über Büchner und Hofmannsthal bis zu Dürrenmatt und Frisch und schließt Komödienautoren heutiger Zeit nicht aus. Glenn Miller, Benny Goodman oder Tommy Dorsey wurden in zahlreichen Konzerten von der BIG BAND präsentiert, den musikalischen Kontrast schufen diverse Chöre u.a. mit der Aufführung des Mozart-Requiems. Volleyball-Teams schafften es bis zu den deutschen Meisterschaften in Berlin.

Dies sind Schlaglichter auf eine lebendige Schule – an der Ahr gelegen, aber RHEIN-GYMNASIUM getauft –, jetzt 32 Jahre alt und seit 28 Jahren an seinem derzeitigen Platz. 108 Schülerinnen und Schüler gab es 1971 und ein halbes Dutzend Lehrer, 32 Jahre später sind es 763 in 22 Klassen und zahlreichen Oberstufenkursen, unterrichtet von 53 Lehrerinnen und Lehrern. Die männliche Übermacht hat sich in den letzten Jahren, bedingt durch die vielen Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse, erheblich abgeschliffen. Dadurch hat sich die altershomogene Zusammensetzung des Lehrerkollegiums, über viele Jahre fast unverändert, aufgelöst. Die Junglehrer, viele mit Zwischen-erfahrungen in anderen Betätigungsfeldern, brachten so neue Sichtweisen und Ideen mit, eine unbedingte Notwendigkeit, um ein System wie die Schule „am Puls der Zeit" zu halten.

1979 war der Schulaufbau mit dem 1. vorgezogenen Abiturjahrgang vollendet und dieser wie seine Nachfahren finden sich in einer Bildergalerie im Verwaltungstrakt der Schule (inkl. aller Schülerunterschriften) und pflegen die Schulverbindung im Club der Ehemaligen.

Gründungsvater war OStD Heinz-Otto Fausten, dem als 1. Schulleiter der künstlerische und sportliche Bereich besonders am Herzen lagen. Big Band und verschiedene Chöre erreichten bald eine Qualität, die sie auf landesweite Wettbewerbe reisen ließ. Die Gründung der Schulsportgemeinschaft Rhein- Gymnasium (SSG RheGy) hatte bis weit in die 80er Jahre einen bedeutenden Schwerpunkt im Fechten, bedient aber bis heute diverse Sportarten bis hin zum Eltern-und Lehrersport.

Da der Rheinländer gerne feiert, gehören Schulfeste zum Ritual, und zu einem der Höhe- punkte im Schuljahr entwickelte sich bis heute der Tanzabschlussball der Klassen 10 im Dezember.

Das Gebäude des Rhein-Gymnasiums Sinzig, um 1980

Schon 1974 erkannte der 1. Schulleiter, dass ohne eine sprudelnde Geldquelle eine Schule auf Vieles verzichten müsste. Also wurde ein Förderverein gegründet, dessen segensreiches Wirken bis auf den heutigen Tag nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. So ermöglichte er Konzerte (Tantiemen, Noten- und Instrumentenkauf) oder unterstützte den technischen Aufbau beider Theater-AGs seit 1982, sorgte für eine erweiterte Ausstattung der Schule mit Computern oder Einrichtungen für die Oberstufenschüler, half in persönlichen Notfällen oder bei Schülerfahrten. Daneben zeichnet der Förderverein seit vier Jahren Schülerinnen und Schüler für hervorragende Leistungen und vorbildliches Verhalten aus und versucht damit eine Kultur der Anstrengung zu fordern.

Nachfolger von Herrn Fausten wurde OStD Rudolf Clade, der von 1980-1995 das Haus führte. In jene Zeit fällt die Gründung weiterer Arbeitsgemeinschaften, darunter die bewusst auf die städtische und regionale Öffentlichkeit abzielenden Theater-AGs. Dürrenmatts „Die Physiker" eröffneten 1982 den Reigen und seither haben alle Inszenierungen den Bezug zur eigenen Zeit gesucht, sei es der Doppel­abend „Von Krieg und Frieden" 1985 zum 40-jährigen Gedenken an den Atombombenabwurf auf Hiroshima (die Inszenierung wurde zum Landes-Schüler-Theatertreffen 1985 eingeladen), sei es „Antigone" mit der zeitlos gültigen Diskussion um Verantwortungs- und Gesinnungsethik 1989, sei es „Die Troerinnen" des Euripides 1993 mit deutlichem Anklang an die Massenmorde im zerfallenden Jugoslawien, sei es „Sofortige Erleuchtung inkl. MwSt" 1996 zum Thema Gehirnwäsche bei Sekten. Es gab Aufführungen auf dem Rathausplatz oder das Sinziger Schloss bildete die Naturkulisse für Büchners „Leonce und Lena" 2001. In 21 Jahren wurden so unter Leitung von Manfred Sturm 36 Inszenierungen he­rausgebracht.

Wenige Jahre später (1986) gründete sich die Kleine Theater-AG für SchülerInnen der Klassen 5-8. Neben einer verantwortlichen Lehrerin, damals Frau Trotha-Leinz, heute Herr Marc Steuer, führten immer Oberstufenschüler, die auch der anderen Theater-AG angehörten, Regie. Inzwischen sind die Aufführungen dieser AG ein Magnet für alle Schülerinnen und Schüler aller Grundschulen im Umkreis und überraschen mit immer perfekteren Bühnenbildern und immer perfekterer Bühnentechnik.

Innovativ war die Schule aber auch immer auf ihrem ureigenen Feld, dem Unterricht. Schon lange vor PISA und anderen Studien haben wir uns auf den Weg gemacht, den Schülerinnen und Schülern das eigenständige Lernen beizubringen. Seit 1993 verbringen die Schulneulinge die gesamten ersten vier Tage mit ihrem Klassenlehrer bzw. ihrer Klassenlehrerin, der / die darüber hinaus möglichst viele Stunden in seiner / ihrer Klasse unterrichten soll. Zur Stärkung der Klassengemeinschaft und Sozialkompetenz gibt es sog. Begegnungstage in dem Jugendgästehaus Bad Neuenahr-Ahrweiler mit einem erlebnispädagogischen Programm, dessen Übungen nur erfolgreich zu bestehen sind, wenn miteinander kommuniziert und teamorientiert gedacht und gehandelt wird. Schulpaten der Klassen 10 und 11 betreuen die Fünftklässler nicht nur in diesen Tagen, sondern auch im Schulalltag. Eine „Zwergenolympiade" festigt die Klassengemeinschaft zusätzlich. Die Unterzeichnung einer Schulvereinbarung zwischen Schüler(in), Eltern und Schule soll den Gemeinschaftsgedanken ebenfalls fördern und zu einer corporate identity beitragen, die am 1. Schultag mit der Überreichung eines T-Shirts mit Emblem des Rhein-Gymnasiums an die Schulneulinge symbolisch demonstriert wird.

Deutschen Schülern mangelt es oft an methodischen, kommunikativen und teamorientierten Fertigkeiten, die im rasanten Wandel unserer Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft eine immer wichtigere Rolle spielen. Daher gibt es bereits seit 10 Jahren am Rhein-Gymnasium sog. Trainingstage, in denen Methoden, Kommunikationsformen und Teamorientierung vermittelt werden. Diese Tage sind eine Art Crash-Kurse, in denen die Basis für die Arbeit im Laufe des Schuljahres gelegt wird, der sog. Methoden-, Kommunikations- und Teampflege. Zunächst begrenzt auf die Orientierungsstufe, wurde dieses Konzept des EIGENVERANTWORTLICHEN ARBEITENS (EVA) seit der Amtsübernahme durch OStD Dieter Lehmann 1996 systematisch ausgebaut und umfasst inzwischen alle Jahrgangsstufen. Es wurde zum Modellversuch, dem zahlreiche andere Schulen durch Hospitation während unserer Trainingstage Referenz erwiesen. Seit dem Jahr 2001 ist dieses Konzept integriert in das landesweite PÄDAGOGISCHE SCHULENTWICKLUNGsprogramm PSE, für das unsere Schule zwei Trainer abstellt.

Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen über solche neuen Lernverfahren, die eine deutliche Veränderung der Lehrerrolle fordern – er ist mehr Moderator und „Arrangeur" von Lernprozessen als Demonstrator und stellt das problemlösende Denken und Handeln in den Vordergrund, ein Kardinalmangel des deutschen Schulsystems, wie die internationalen Studien gezeigt haben, wäre aber unvollständig, wenn sich die Schule nicht nach außen öffnen und die Berufsorientierung vernachlässigen würde. Deshalb wird das Konzept des eigenverantwortlichen Lernens ergänzt durch ein BERUFS- UND STUDIENWAHL-KONZEPT (BuS), das in der 9. Klasse einsetzt und sich die erworbenen Fertigkeiten aus dem PSE-Programm zunutze macht. Ein von den Fächern Deutsch und Sozialkunde begleitetes Kommunikations- und Bewerbungstraining, letzteres unterstützt von Trainern aus der Berufspraxis, konfrontiert die Schülerinnen und Schüler erstmals mit diesem zentralen Thema. Interessen, Neigungen und Fähigkeiten sollen erkannt und mit der Wirklichkeit der Berufswelt abgeglichen werden. Ein Jahr später sind die Zehntklässler authentische Adressaten für die Präsentation des Betriebspraktikums, das in der Jahrgangsstufe 11 durchgeführt wird. Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler anzuleiten, ein Praktikum zu absolvieren, das ihren möglichen Berufsvorstellungen nahe ist.

Ab Jahrgangsstufe 11 gerät auch die Studierfähigkeit immer stärker in den Blickpunkt. Deshalb gibt es am Rhein-Gymnasium eigene Trainingstage zu Beginn des Schuljahres, in denen wissenschaftspropädeutisches Arbeiten vermittelt wird. Einen Einblick in die Arbeitswelt bietet das 14-tägige Betriebspraktikum, für das (schon einmal übungshalber) eine Bewerbung verfasst werden muss. Ein Visualisierungs- und Präsentationstraining schließt sich unmittelbar an und gipfelt in der erwähnten Präsentation vor den Klassen 10 in Form einer Plakat- oder Powerpoint-Vorstellung mit freiem 10-minütigen Vortrag. Alle TeilnehmerInnen dieses Trainingsprogramms und des Betriebspraktikums erhalten ein schul-eigenes Zertifikat, das eine mögliche Bewerbung im folgenden Jahr unterstützen soll. Auch dieses vom Rhein-Gymnasium über Jahre hinweg entwickelte und evaluierte Konzept

hat landesweit Aufmerksamkeit erregt, wurde auf Fortbildungsveranstaltungen für Laufbahnberater vorgestellt und nach Hospitationen am Rhein-Gymnasium in verschiedenen Schulen des Landes ebenso erfolgreich adaptiert.

Seit diesem Schuljahr gibt es für die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 ein Training Berufs- und Studienwahl (BuS), geleitet und durchgeführt von externen Experten des Arbeitsamtes, der Studienberatung einer Hochschule sowie Ausbildern einer deutschen Großbank. Ziel ist es einerseits, die Schülerinnen und Schüler fit zu machen für die Bewerbung um eine Ausbildungsstelle (Bewerbungsunterlagen zusammenstellen, Vorstellungsgespräch führen, Assessmentcenter-Verfahren kennenlernen), andererseits Orientierung bei der Studienwahl zu geben (Entscheidungsprozess für ein Studium, Organisation desselben), um unseren Schülerinnen und Schülern das mögliche Schicksal eines Studienabbruchs zu ersparen, der in den letzten Jahren rapide zugenommen hat und zeigt, dass hier Beratungsbedarf dringend vonnöten ist, stellt doch jede falsche Entscheidung eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen dar.

Der gesellschaftliche Wandel hat zahlreiche Verwerfungen zutage gefördert, nicht zuletzt eine gewaltige Veränderung in den Familienstrukturen (Berufstätigkeit beider Eltern, Scheidungsquote, in den letzten Jahren zunehmende Verarmungsprozesse durch Arbeitslosigkeit) und eine wachsende Gewaltbereitschaft zur Lösung von Konflikten. Auf diese Herausforderungen reagiert die Schule durch ein Präventionsprogramm Gewalt und Drogen. Daneben ist aber die individuelle psychologische Betreuung von herausragender Bedeutung. Seit Jahren arbeitet im Rhein-Gymnasium eine ausgebildete Psychologin und deren hohe Belastung zeigt täglich, wie notwendig eine solche Einrichtung ist.

Die Abiturienten 2003: Christiane Beer, Alexander Beitel, Cyrano Bergmann, Stephanie Bley, Klaus Blumenrath, Irene Böhler, Simone Braun, Stefan Burghardt, Melanie Czeratzki, Benjamin Enke, Jens Eraßmy, Marcel Falcke, Sebastian Flerus, Daniela Fuhrmann, Jan Gassen, Susanne Güthler, Till Hennig, Christian Hofeditz, Mireille Hulke, Christian Hurth, Oliver Jansen, Silke Jungbluth, Larissa Junk, Karim Kirner, Simon Koch, Eva Kochhan, Daniela Kohzer, Panagiota Kotta, Hülya Kula, Stefanie Lindener, Patrick Mudra, Maria Muschinski, Martin Beat Pohl, Kristina Quarz, Markus Ritterrath, Sebastian Rolser, Raphael Rolser, Hanna Schäfer, Stefanie Schilling, Matthias Schmidt, Tim Seger, Luzie Sennewald, Corinna Simeit, Frank-Markus Starke, Yvonne Sternitzke, Andreas Strohe, Michael Ungers, Marijke Viveen, Julian Weber, Martin Weier, Nina Wilmers, Ralf Ziegler

Internationale Verständigung ist Ziel einer jeden weiterführenden Schule. Das Rhein-Gymnasium unterhält seit 14 Jahren eine Schulpartnerschaft mit Trzebnica in Polen, Tain in Schottland und wird im nächsten Jahr eine solche mit einer Schule in Montevideo aufnehmen. Damit tragen wir einer Entwicklung Rechnung, die Spanisch zu einer immer häufiger gewählten Fremdsprache hat werden lassen. Zwar kann diese Sprache zur Zeit nur als 3. Fremdsprache gewählt werden (von der Klassenstufe 9 bis zum Abitur), aber das Rhein-Gymnasium könnte sich auch hier eine Vorreiterrolle mit dieser Sprache als 2. Fremdsprache vorstellen. Daneben unterstützt die Schule mit ihrer Dritten Welt-AG seit vielen Jahren ihre Partnerschule in Lima durch Verkaufs- und Spendenaktionen.

Mit dem gerade erstellten Qualitätsprogramm versucht das Rhein-Gymnasium nicht nur Bilanz zu ziehen, sondern auch Schwachstellen in seiner pädagogischen und fachlichen Arbeit auszumerzen und sich neue Ziele zu setzen. Dazu zählt die Zusammenarbeit von Schülern, Eltern und Lehrern in der Arbeitsgemeinschaft GEMEINSAM SCHULE GESTALTEN, um die corporate identity weiter zu stärken sowie die Förderung des ökologischen Bewusstseins über sog. Energieteams.

Weitere Informationenüber das Rhein-Gymnasium unter der Homepage: www.rhein-gym.org.

Anmerkung:

1) Das Zitat aus der Überschrift stammt vom ehemaligen Kultusminister des Landes, Dr. Bernhard Vogel, geäußert bei der Einweihung des Gebäudes 1975.