Neues aus Nentrode bei Ahrweiler

Eine wiederentdeckte Karte aus dem 17. Jahrhundert und der Versuch der Deutung einer Sage 

Steffen Schütze 

Die Sage vom Hof von Nentert wird seit alters her im Ahrtal, aber besonders in den Orten Ahrweiler, Kesseling, Königsfeld, Lind und Staffel, erzählt. Demnach soll der Bauer von Nentrode ein sehr frommer und stiftungsfreudiger Mensch gewesen sein. Er verpflichtete durch eine großzügige Spende den Pfarrer, vor der Christmette die Glocken der Laurentiuskirche in Ahrweiler eine Stunde lang läuten zu lassen, so dass er und seine Familie in der Winternacht rechtzeitig und sicher zur Messe erscheinen konnten. Eines Jahres erschien der Bauer nicht zur Christmette. Die Ahrweiler Bürger, die nach dem Rechten sehen wollten, fanden den Hof abgebrannt, den Bauern und das Gesinde geschändet und getötet vor. Nur eine Tochter soll dem Morden entkommen und in das Kloster Marienthal geflüchtet sein. Wie bei vielen Sagen hat auch diese ihren Wahrheitsgehalt. Eine kürzlich im Kreisarchiv Ahrweiler aufgefundene Karte dokumentiert die Zerstörung des Nenterter Hofes im Dreißigjährigen Krieg1). Wir müssen wahrscheinlich in das Jahr 1632 zurückgehen. Der Nenterter Hof, der zwischen dem Steinerberg und dem Häuschen etwas abseits von Ahrweiler in den Bergen an der Kreuzung der Wege aus dem Heckental und Bottenfeldt lag, war seit 1104 als Stiftung des Saffenburger Ministerialen Embrico im Eigentum des Klosters Klosterrath. Seit 1140 hatte das zu dieser Zeit neu eingerichtete Kloster Marienthal den Nenterter Hof in Besitz. Die Hörigen waren pacht- und leistungspflichtig an das Kloster. Leider sind die Akten und Bücher des Klosters 1632 durch die Schweden vernichtet worden2), so dass das Lagerbuch erst Eintragungen ab 1685 aufweist. Mehrere Pächter aus Staffel, in deren Familien scheinbar die Pacht weiter vererbt wurde, pachteten für 12 Jahre den Hof. Im Jahre 1794 haben 15 Pächter aus Staffel das Gut inne. Die Pacht betrug damals zwischen 17 und 27 Malter Hafer, ersatzweise 4-6 Malter Hafermehl, 200 Eier in der Karwoche, 6 Pfund Flachs oder 6 Gulden (gerechnet 18 Stüber) und Bindestroh „gerdtstrohe so sie dem Closter lastern proexigentia vinearum“. 1794 waren 30 Burden gutes Bindestroh zu entrichten3). Außerdem war vor 1794 auch jährlich ein fetter Hammel zu liefern4). Die Höhe der Ablieferungen hat sicherlich über die Jahrhunderte einige Abweichungen gehabt. Die landwirtschaftlichen Produkte zeigen, was auf dem Hof erzeugt wurde. Der Ertrag des Hofes ist bei einem angenommenen Maß von ca. einem Doppelzentner je Malter doch sehr ergiebig, was auf gute Böden schließen lässt. Im Dezember 1632 zieht der Schwedische General Baudissin vom Rhein her ins Ahrtal. Am 14.12.1632 erobern die Schweden die Saffenburg. Sie ziehen mordend und plündernd durch die Dörfer an der Ahr. Mayschoß, Rech, Dernau und Marienthal werden mit den Kirchen geplündert5). In dieser Zeit überfallen die Schweden mit Sicherheit auch den etwas abseits gelegen Hof. Sie plündern und zerstören ihn. Die aufgefundene Karte dokumentiert diese Zerstörung und stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Zeit. Doch wer zeichnete sie, wenn alle Hofbewohner getötet worden sind? War es tatsächlich eine begabte Tochter des Bauern von Nentrode? Leider erfährt man darüber nichts. Ein Bittbrief über Steuerermäßigungen oder Hilfe zum Wiederaufbau konnte bisher nicht gefunden werden. Sicher ist diese akribisch gezeichnete und aufwendig gestaltete Karte nur in einem solchen Zusammenhang zu sehen. Beeindruckend sind die zahlreichen Bäume, Blumen und Pflanzen. Die Skizze des pflügenden Bauern in zeitgenössischer Bekleidung mit Ochsengespann und Radpflug zeigt ein schönes Detail des damaligen Arbeitsalltags. Solche Karten sind inder ländlichen Überlieferung recht selten und einzigartig. Trotz aller Mühe ist der Nenterter Hof nicht wieder aufgebaut worden. 

Kartenausschnitt mit Bäumen und Pflanzen sowie wahrscheinlich später eingezeichneten Grenzsteinen

Pflügender Bauer in zeitgenössischer Kleidung

Der fruchtbare Acker wurde aber weiter bewirtschaftet und verpachtet. Die Karte war vermutlich noch rund 150 Jahre lang im Kloster Marienthal in Gebrauch. Später in die Karte eingezeichnete Grenzsteine weisen auf die Aufteilung des Landes in bis zu 18 Parzellen hin. Die über viele Jahre sich fortsetzenden Streitereien um Weide- und Holzeinschlagrechte in dem umgebenden Wald – das Kloster Marienthal besaß 3 Holzmarken der 9 Holzmarken in diesem Gebiet - zeigen die eingezeichneten abgeschlagenen Baumstümpfe. Dieser Auseinandersetzung ist es auch zu verdanken, dass die Karte mit großer Wahrscheinlichkeit als Anhang eines Schreibens des Marienthaler Priors (!) vom 20. August 1791 in Besitz der Stadt Ahrweiler kam. Sie dokumentiert wohl die Zerstörung des Nenterter Hofes. Fraglich jedoch ist, ob es jene Zerstörung ist, auf die sich auch die Sage bezieht. Mit Sicherheit lässt sich das heute nicht mehr nachvollziehen, zumal an der Wegkreuzung zwischen Heckental und Bottenfeldt auch ein Kreuz eingezeichnet ist, das als „Nenterter Crutz“ bezeichnet ist. Möglicherweise weist dieses Kreuz auf eine frühere Zerstörung des Hofes hin, für die leider Dokumente fehlen. Es bleibt also noch einiges im Dunkel der Geschichte. Vielleicht aber können weitere Entdeckungen im Archiv die noch offenen Fragen klären. Von dem einstündigen Glockengeläut der Laurentiuskirche in Ahrweiler vor der Christmette, das wohl alljährlich bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges erfolgte, kann man aber noch heute Zeitzeugen erzählen hören.

Anmerkungen:

  1. Kreisarchiv Ahrweiler, Bestand 10, Nr. 60 Alle weiteren Abbildungen sind Ausschnitte der dieser Akte beiliegenden Karte, einer kolorierten Federzeichnung auf Büttenpapier mit dem Wasserzeichen PK und aufsteigendem Pferd in der Größe von 32 x 41,5 cm.

  2. Wirtz, S. 64 und  91

  3. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 137 Nr. 2, S. 190a und Nr. 27

  4. Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 137 Nr. 2, S. 190-191, Bestand 137 Nr. 27

  5. Wirtz, S. 64

Literatur und Quellen: