Die Stadt Remagen 1900/1901 im Spiegel der Rhein-Ahr-Zeitung

Marlis Föhr

Das Blättern in alten Zeitungsbänden ist stets etwas Besonderes. Die vergilbten Seiten verströmen einen staubigen Geruch, vermitteln den Sinnen das Gefühl von Alter und ziehen den Interessierten in ihren Bann. Schnell liest man sich in Zeitungsartikeln fest, erfährt Banales und Marginales, das durch den langen zeitlichen Abstand einen eigenen Reiz bekommt, stößt aber auch auf vielfältige Informationen zur Geschichte unserer Region. So erging es auch mir bei der Durchsicht der Rhein-Ahr-Zeitung der Jahre 1900 und 1901, die mir Herr Karl Dreesbach freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Ich habe meine Auswertungen unter verschiedenen thematischen Schwerpunkten zusammengefasst und kurz kommentiert. Diese Aspekte ergeben ein kleines Bild von Remagen zur damaligen Zeit. Der heutige Leser und Kenner der Verhältnisse vor Ort kommt sicher hier und da zum Schmunzeln, wird aber auch vielleicht zu einem Vergleich mit unserer heutigen Situation in der Rheinstadt angeregt.

Werbung für Remagen anno 1900

„Remagen findet immer mehr Gnade bei denjenigen, welche sich ein warmes Herz für die unerschöpflichen Reize der Natur bewahrt haben. In der bekannten Niederung ,Goldene Meile' gelegen, umschlossen von bewaldeten Höhenzügen, versteht es Remagen in frühester und spätester Stunde seine Reize zu entfalten. Die Unterkunftsverhältnisse sind recht günstig, die Gastwirte bestreben sich, den Ansprüchen ihrer Gäste nach jeder Richtung hin in vollem Umfange zu genügen. Unter einer umsichtigen Verwaltung schreitet das Städtchen von Tag zu Tag weiter fort. Die Wasserverhältnisse sind die Besten, die Kanalisation lässt nichts zu wünschen übrig, und zurzeit schreitet im südlichen Teile der Stadt eine neue große Gasfabrik ihrer Vollendung entgegen. Mit der städtischen Verwaltung geht Hand in Hand der äußerst rührige Verschönerungsverein, welcher in dem über dem Viktoria- und Reisberg sich erstreckenden 800 Morgen umfassenden Remagener Stadtwald mit seinen vielen prächtigen Aussichtspunkten Erstaunliches geleistet hat. Er hat es auf diesem herrlichen Fleckchen Erde verstanden, die Schönheiten von Rhein und Ahr in harmonischen Gleichklang zur bringen. Das große Restaurant ,Waldburg' auf dem Viktoriaberge wird dank seiner idyllischen Lage und der guten Bedienung sehr zahlreich besucht. Allenthalben bekannt ist die herrliche Apollinariskirche und auch die Pfarrkirche, die zurzeit durch umfangreiche Bauten wesentlich erweitert wird. Viele namhafte Kölner Familien haben sich in Remagen Villen erbaut. Ein Ausflug nach Remagen und ein längeres Verweilen in dem gemütlichen Städtchen dürfte niemanden gereuen." Soweit eine Beschreibung der Stadt Remagen vor über 100 Jahren und ein Beispiel, wie man damals überzeugende Fremdenverkehrswerbung unter das Volk brachte. Die Rhein-Ahr-Zeitung vom 27. August 1900 zitiert hier aus einem Artikel der ,Kölnischen Volkszeitung'.

Kirchenbau

Im Januar 1900 beginnen die Arbeiten zum Neu- und Umbau der Pfarrkirche St. Peter und Paul. Bei der Aushebung eines großen Baumes im Pfarrgarten kommen zahlreiche Totenschädel und Gerippe zum Vorschein, ein Beweis für eine frühere Friedhofsanlage. Zum alten „Thor", dem romanischen Pfarrhoftor in Remagen, schreibt die Rhein-Ahr-Zeitung:

„Dieses gut erhaltene Thor neben dem Pfarrhause mit seinen symbolischen Darstellungen kann nur römischen Ursprungs sein. Die Steine sind nicht behauen, sondern gebackene schwere Ziegelsteine, worauf Figuren aus Trass oder sonstigem Material aufgetragen und mit einer Form abgedruckt wurden. Dieses geht deutlich aus dem unteren mit einem Steinwurf beschädigten Stein hervor. Dieser zerschmetterte die obere Auflage, so dass der helle römische Ziegel sichtbar wurde, während der Löwe ein behauener Stein und stark verwittert ist." Diese Interpretation ist nach neuerer Erkenntnis zwar falsch, da das romanische Pfarrhoftor aus dem 11. Jahrhundert stammt, bezeugt aber das große Interesse an dem plastischen Kunstdenkmal. Die Grundsteinlegung zur neuen Remagener Pfarrkirche erfolgt am 30. September 1900 durch den Trierer Bischof Dr. Felix Korum. Fast zur gleichen Zeit wird auch der Grundstein zum Neubau der Katholischen Kirche St. Nepomuk in Kripp durch Dechant Müller gelegt. Die Bevölkerung von Kripp hoffte nach Fertigstellung der Kirche auch auf einen eigenen Seelsorger. Dieser Wunsch ging allerdings erst später in Erfüllung. Kripp wurde unter Pfarrer Brückert im Dezember 1918 zur selbstständigen Pfarrgemeinde erhoben.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Remagen

Anfang März 1900 tritt ein neuer Fahrplan der Köln-Düsseldorfer-Dampfschifffahrt in Kraft. Damals verkehrten täglich zwei Schiffe zu Tal und zwei zu Berg. Heute (2004) sind es in der gleichen Zeit 14 Schiffe zwischen Köln und Mainz. Sobald um 1900 ab Ostern die ersten Ausflügler die Stadt Remagen besuchen, sind auch die Ladenschlusszeiten im Gespräch. Die Geschäftsleute wollen in der Sommerzeit ihre Läden bis 10.00 Uhr abends offen halten und machen eine Eingabe an die Königliche Regierung in Koblenz. Ihre Begründung: Remagen hätte als Knotenpunkt der Bahn auf der Rhein- und Ahrstrecke oft noch abends nach 9.00 Uhr einen bedeutenden Zustrom an Fremden. Das Gesuch wurde abschlägig beschieden.

Städten und Ortschaften in ländlicher Umgebung wurden nur Ladenöffnungszeiten bis 7.00 Uhr abends zugestanden.

Ansicht von Remagen nach 1900

Die Einwohnerzahl von Remagen lag aber schon bei über 3.000! Das Thema Ladenöffnungszeiten war also auch damals aktuell. Wir erfahren, dass der Pfingstverkehr im Jahre 1900 enttäuschend war. Die meisten Gäste, die mit der Eisenbahn und Fahrrädern unterwegs waren, fuhren zur Ahr. Auch dort zählte man weniger Touristen als in den Jahren vorher.      Der Tourismus war stets von der allgemeinen Konjunkturlage abhängig. Sorgen bereitete der Bevölkerung auch damals der Preisaufschlag auf fast alle Artikel des täglichen Lebens. Ein Aufruf vom 1. Dezember 1900 in der Rhein-Ahr-Zeitung könnte auch heute noch gelten: „Kaufet am Platze! Durch Kaufen am Ort mehrt man den Wohlstand der eigenen Vaterstadt. Man unterstützt seinen Nachbarn, damit er seine Steuerlast tragen kann, da sie sonst auf andere Schultern verteilt werden müsste. Man erwirbt sich Liebe und Verehrung seiner Mitbürger, denn ein Freund in der Nähe ist besser als ein Bruder in der Ferne."

„Neues" von der Bahn

Ein Dauerthema in Remagen war und ist auch der Eisenbahnbetrieb. Am 7. August 1900 scheint es ernst zu werdenmit der Beseitigung eines Übelstandes: Drei Bahnübergänge am „Bachthor" werden von einem Bahnwärter bedient. Zu seiner Entlastungsoll dem Personenverkehr eine Überführung gebaut werden. Nach wie vor erscheint es wie ein Wunder, dass außer einigen abgefahrenen Katzenschwänzen und Hundpfoten keine größeren Unglücke zu beklagen sind, so ein damaliger Kommentar. Am 2. März 1901 wird im preußischen Abgeordnetenhaus ein Betrag von 65000 Mark in den Eisenbahn-Etat eingestellt. Er ist gedacht zur „Herstellung einer Unterführung am Bachthore zu Remagen (...), die noch in diesem Frühjahr in Angriff genommen werden soll.“ Am Sonnabend, dem 16. September 1900 kommt es zu einem folgenschweren Unfall am Bahnhof Remagen. Ein Schnellzug fährt auf einen haltenden Vorzug auf, wobei viele Passagiere von den Trittbrettern geschleudert und zum Teil schwer verletzt werden. Die Lokomotive des Schnellzugs bohrt sich in die letzten Wagen des Vorzuges, und sechs Waggons springen aus den Schienen. Die Aufräumungsarbeiten müssen im Schein von Fackeln durchgeführt werden. Ein ganz besonders erfreuliches Ereignis bietet der 24. April 1901, denn an diesem Tag passiert der Kaiserliche Extrazug um 9.36 Uhr die Station Remagen. Schon am Abend vorher wurden hier sechs Gendarme zusätzlich stationiert, um mit Fahrrädern ausgerüstet, die Chaussee bis Rolandseck zu überwachen und Seine Majestät Wilhelm II. vor möglichen Anschlägen zu schützen. Personenschutz anno 1901, preiswert und (meistens) effektiv.

Die neue Stadtbeleuchtung

Elektrische Straßenbeleuchtung und helle Straßen erscheinen uns heute völlig selbstverständlich. Am 19. Dezember 1900 erstrahlte die Stadt Remagen erstmals in der neuen (Gas-)Glühlicht-Beleuchtung. „Die Laternen sind bei großer Lichtstärke so zahlreich angebracht, dass Straßen und Plätze taghell erleuchtet sind. Das Licht ist nicht grell und blendend, sondern weiß und wohltuend," beschreibt der Reporter das große Ereignis.

Die Straßen der Stadt Remagen

Breiten Raum widmen Zeitungsartikel dem Straßenausbau, denn viele Straßen der Stadt Remagen befinden sich damals aufgrund von Kanalisierungsarbeiten in einem schlechten Zustand. Die Anlieger beschweren sich immer wieder bei der Stadtverwaltung hierüber. Auf Zusammenkünften wird der Ausbau von Nebenstraßen gefordert und ein Antrag an die Stadtverordneten zur Komplettierung der Straßen mit Bordsteinen, Bürgersteigen und Wasserabfluss übergeben. Fortschritte sind erkennbar, so beim Ausbau des Schmiedegangs, dessen Bewohner den Herren von der Wegebau-Commission Dank für „die herrliche Instandsetzung ihrer Straße" abstatten.

Der Ausbau der Remagen - Birresdorfer Straße wird von der Westdeutschen Tiefbau-Gesellschaft ausgeführt. Am 31. Juli 1901 berichtet die Rhein-Ahr-Zeitung, dass das Straßenbett „ausgeschöpft und abnivelliert" wurde. Anschließend wurden in der Mitte der Straße die Geleise für eine Schmalspur verlegt, auf der mit Kippwagen das zum Stücken bestimmte Steinmaterial vom Scheidskopf herangefahren wurde. Zur Instandsetzung der Straße war auf Grund eines Pachtvertrages mit der Stadt Remagen die Basaltaktiengesellschaft verpflichtet. Bereits 1892 beabsichtigt die Gesellschaft die Aufstellung einer Locomobile, um die Steine aus dem tiefen Bruch heraus zu befördern und erbot sich, eine einmalige Zahlung von 8000 Mark für den mechanischen Betrieb an die Stadt Remagen zu leisten, ohne von ihren anderweitigen aus dem Pachtvertrag herrührenden Verpflichtungen befreit zu werden. Trotz dringenden Anratens des zum Zeitpunkt amtierenden Bürgermeisters, Herr von Lassaulx, nahm die Stadtverordnetenversammlung diesen Betrag nicht an, sondern bestand auf einer Zahlung von 13000 Mark. Daraufhin setzte die Basalt AG den Bruch außer Betrieb, entfernte das Betriebsmaterial, das laut Vertrag im Jahre 1900 übergeben werden sollte und unterließ auch die weitere Instandsetzung der Straße. So wurde die Stadt Remagen nicht nur um 8000 Mark geschädigt, sondern musste auch für die Ausgabe von 58000 Mark für die Sanierung der Straße aufkommen. Durch den Arbeitsplatzverlust der im Betrieb beschäftigten Arbeiter entstand eine weitere Belastung. Die Bewohner der Hauptstraße durch Remagen beklagten sich über den ständig zunehmenden Verkehr. Ihrer Meinung nach war er fast mit dem einer Großstadt vergleichbar, wenn z. B. wie am 18. Mai 1901 geschehen ein kolossaler Benzinwagen der Klosterbrauerei Koblenz und in entgegengesetzter Richtung eine Straßenlokomotive mit anhängendem Gefangenenwagen und vier weiteren Gefährten durch die Stadt rollten.

Statistik für die Jahre 1900/1901

Die Volkszählung brachte zum Stichtag 1. Dezember 1900 folgende Ergebnisse: In der Stadt Remagen lebten damals 1283 männlich und 1557 weibliche Personen, in Kripp 333 Männer und 361 Frauen. Heute liegt die Einwohnerzahl der Stadt Remagen bei 6916 (30.6.2004), die von Kripp zum gleichen Stichtag bei 3067. Angaben zum Zivilstand belegen für die Zeit um 1900 eine deutlich niedrigere Lebenserwartung und hohe Kindersterblichkeit. Vieh- und Obstbaumzählungen weisen für 1900 folgene Zahlen aus: Remagen: 76 Pferde, 192 Rinder, 160 Schafe, 210 Schweine, 1416 Stück Federvieh, 52 Bienenstöcke, 9920 Obstbäume Kripp: 25 Pferde, 140 Rinder, 2 Schafe, 85 Schweine, 80 Ziegen, 555 Stück Federvieh, 8 Bienenstöcke, 2799 Obstbäume

Zur Zeitung

Die Rhein-Ahr-Zeitung, der ich die Daten und Fakten entnommen habe, war ein Handels- und Anzeigenblatt für die Städte und Bürgermeistereien der Rhein- und Ahr-Gegend. Für den Druck und Verlag war C. Hedecke in Remagen verantwortlich. Die Zeitung erschien zweimal wöchentlich, mittwochs und samstags und kostete im Quartal durch Boten oder per Post 1 Mark 25 Pfg. Mehr als hundert Jahre sind seit der vorgestellten Berichterstattung der Rhein-Ahr-Zeitung ins Land gegangen. Ich konnte feststellen: Die sogenannte „gut alte Zeit" war nicht immer gut. Bei allem Fortschritt sind auch die Menschen seither weder zufriedener noch glücklicher geworden. Viele Probleme sind die gleichen geblieben: Durch Baumaßnahmen verschmutzte Straßen, Diskussionen über Ladenschlusszeiten und Fehlentscheidungen von Stadträten ... Würden die heutigen Besucher der Stadt Remagen die gleichen postiven Eindrücke mit nach Hause nehmen wie vor hundert Jahren? Sicher ist hierfür ein Werbeartikel in der Zeitung nicht der geeignete Nachweis, wenn die Besucher vor hundert Jahren einen positiven Eindruck von Remagen hatten. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass sich auch heute immer noch ein Besuch in der Stadt Remagen lohnt.