Wenzel Hollar (1607 - 1677) sieht den Rhein von Oberwinter bis Brohl

Heino Möhring

Als der Zeichner und Graphiker Wenzeslaus Hollar im Frühjahr 1636 in Köln bei einem seiner Kunstausflüge auf den ebenfalls kunstbeflissenen Engländer Lord Thomas Howard Arundel traf, wütete der Dreißigjährige Krieg bereits seit 18 Jahren in Deutschland und Mitteleuropa. Im Rheinland zogen französische, spanische, holländische, schwedische und kaiserliche Truppen mordend durch Dörfer und Städte. Die Grausamkeiten des im Namen der Religion geführten Krieges waren unvorstellbar. Unter der Bevölkerung herrschte ein unbeschreibliches Elend, ganze Landstriche wurden entvölkert.

Hollar hatte 1627 als Zwanzigjähriger seine Heimatstadt Prag verlassen. In den folgenden Lehr- und Wanderjahren bereiste er das westliche Deutschland und Holland. 1631 finden wir ihn als Mitarbeiter der berühmten Werkstatt Merians in Frankfurt.

Lord Arundel war als Gesandter des englischen Königs in diplomatischer Mission zu Kaiser Ferdinand II. nach Österreich unterwegs. Über Arnheim kommend lud er nun Hollar ein, ihn auf seiner Reise nach Wien zu begleiten.

Rheinaufwärts...

An 8. Mai 1636 brach man mit dem Schiff rheinaufwärts auf. Das einmastige Gefährt, ein Oberländer, wurde von sechs Pferden gezogen, an anderer Stelle ist von neun die Rede, hatte einen Lastkahn für das Reisegepäck und einige kleinere Beiboote im Schlepptau und trug an Bug und Heck deutlich sichtbar den Union Jack. Mit im Gefolge des Grafen befand sich William  Crowne, der als dessen Sekretär fungierte, und über die Reise Tagebuch führte. Aus seinem Bericht geht herevor, wie unruhig die Zeiten damals waren und wie sehr die Bevölkerung unter den Kriegsgreueln zu leiden hatte. Mitunter musste man um Einstellung der Kampfhandlungen an den Ufern und Rheinhöhen ersuchen, um freie Durchfahrt zu erlangen. Viele Dörfer und Ortschaften waren geplündert und verbrannt. Man sah verhungerte Menschen mit Gras im Mund, und als Graf Arundel, gerührt durch das Elend, Lebensmittel verteilte, so der Chronist, fielen die verzweifelten Menschen übereinander her.

Federzeichnungen

Von all diesen Schrecken ist in Hollars Zeichnungen, die auch als Vorlage für Kupferstiche dienten, nichts zu erkennen. Mit präziser Feder wird die Landschaft in ihren wesentlichen Linien und markanten Punkten wiedergegeben, und das mit einer Erhabenheit über die Kriegswirren hinweg, als ob dem Beetrachter eine Atmosphäre des Friedens, ja fast einer Idylle vermittelt werden soll. Da das getreidelte Schiff stromaufwärts nur sehr langsam vorankam, obwohl der Rhein in damaliger Zeit mit einer spiegelglatten Oberfläche ruhig dahinglitt, hatte Hollar ausreichend Zeit, die Landschaft aus der jeweils günstigsten Perspektive zu erfassen. Mal zeichnet er vom Bug des Schiffes aus, mal vom entgegengesetzten Ufer, mal aus dem Hintergrund. Die so entstandenen Federzeichnungen wurden nach der Rückkehr bearbeitet und zur Veröffentlichung als Kupferstiche laviert oder aquarelliert.

Auch die vier für unseren Kreisbereich in Frage kommenden topographischen Zeichnungen von Oberwinter, Remagen, Breisig und der Burg Rheineck zeigen die wesentlichen Gestaltungsprinzipien Hollars: extremes Querformat, Diagonalkomposition, niedriger Horizont und Wasserspiegelungen.

Wenzel Hollar: Ansicht von Oberwinter vom Rheinstrom aus

Wenzel Hollar: Ansicht von Remagen vom Rheinstrom aus

Oberwinter wird zum Rheinufer hin mit einer hohen Giebelfront von Fachwerkhäusern dargestellt. Bei einem burgähnlichen Gebäude unter ihnen könnte es sich um das Haus des Grafen von Norney handeln. Ob es sich bei dem langgestreckten Bau rechts neben der Kirche schon um das Haus „Zum Schwanen“ handelt, ist nicht gewiss, wird doch die Entstehung dieses heute zu einem der ältesten und schönsten Häuser des Ortes zählenden Gebäudes in das Jahr 1671 gelegt. Deutlich in der Ortsmitte jedoch hebt sich das romanische Langhaus des Vorgängerbaus der Laurentiuskirche hervor. Ihm vorgesetzt, im Bild zur rechten Seite hin, steht der gedrungene Kirchturm mit einem zelt­artigen Dach. Der im frühen 16. Jahrhundert angebaute spätgotische Chor zur Linken hin ist bis heute erhalten. Es ist kaum zu glauben, dass das so friedlich daliegende Oberwinter zwei Jahre bevor Arundels Schiff es passierte, durch die Einquartierung kaiserlicher Truppen derart ausgeplündert worden war, dass diese früher abziehen mussten als geplant, weil aus den Menschen nichts mehr herauszupressen war.

Mit „Reinmagen“ betitelt Hollar die nächste linksrheinische Stadt Remagen. Auf dem heutigen Apollinarisberg erkennt man das vormalige Martinskloster, eine Propstei der Benediktiner von Siegburg. Darunter liegt Remagen mit Befestigungsmauer und etlichen stattlichen Häusern, die vom damals spitzen Turm der mittelalterlichen Pfarrkirche St. Peter und Paul überragt werden. Das Gotteshaus muss zum Zeitpunkt als Hollar die Zeichnung anfertigte, wieder hergerichtet worden sein; denn vier Jahre zuvor, 1632, war die Stadt von den Schweden erobert worden, wobei 106 Häuser und die Kirche ausgebrannt waren. Nach mehrmaligen Rückeroberungen durch spanische Truppen im Auftrag des Kaisers standen im Jahre 1640 in Remagen lediglich noch 60 Häusern und Hütten. Die Not war so groß, dass der Bürgermeister in den Nachbargemeinden um Hilfsmittel zum Wiederaufbau betteln musste.

Bevor der Oberländer Arundels vor „Brysich“ und „Reineck“ in Sichtweite kam, passierte er die „Kripp“ an der Ahrmündung. Hier hatten die Schweden einen befestigten Vorposten zum Schutz der von ihnen besetzten Stadt Linz errichtet. Außerdem befanden sich an dieser Stelle Stallungen und Krippen, zur Fütterung der Treidlerpferde, daher der Name.

Die Ansichten von Breisig und Rheineck verdeutlichen Hollars Zeichentechnik. Er besaß die Fähigkeit, mit einem Blick das Wesentliche in Einfachheit und Schnelligkeit auf dem Papier festzuhalten, wobei Landschaftsformationen und Gebäude skizzenhaft umrissen werden.

Aus der Perspektive der Zeichnung erkennt man, dass Hollar vom Schiff aus zeichnete. Unter der bewaldeten Höhe des linken Rheinufers, auf dem Bild rechts, tritt die Silhouette des damaligen „Brysich“ hervor. In jener Zeit unterstand das „Breisiger Ländchen“ dem Fürstentum Essen, das von 1614 bis 1644 von der Fürstäbtissin Maria Klara von Spaur geleitet wurde. Die Vogtei über das Ländchen übte das Herzogtum Jülich aus.

Der Darstellung zufolge scheint von der einstigen Befestigungsmauer nichts mehr vorhanden zu sein. Nach Breitbach müssen ein Jahr zuvor jedoch noch Teile davon bestanden haben, denn er erwähnt einen Neubau „an der Neuerportzen“ im Jahre 1635. Deutlich in der Dorfmitte ist der spitze Turm des kleineren Vorgängerbaus der heutigen St. Marienkirche zu sehen, einer Kapelle, die dem hl. Nikolaus und dem hl. Sebastian geweiht war. Im Gegensatz zu den eher niedrigen Häusern der Dorfmitte präsentiert sich das Breisiger Rheinufer mit einer höheren Giebelfront. Dahinter sticht die sehr schlanke Turmspitze der ehemaligen Donatuskapelle hervor, die zum Templerhof gehörte. In dieser Kommende hatten seit dem Mittelalter die Templer, nach ihnen die Johanniter, ein Hospiz unterhalten. Es galt als Zentrum des Ordens für den Mittel- und Nieder­rhein und lag außerhalb des Ortes in südlicher Richtung.

Ebenfalls in südlicher Richtung hinter Breisig erhebt sich auf einer bewaldeten Bergkuppe die Burg Rheineck. Hollar widmet ihr eine gesonderte Zeichnung. Der Betrachter befindet sich nun unterhalb des Burgbergs und sein Blick geht von der Flussmitte aus rheinaufwärts bis nach Andernach im Hintergrund. Die Burg mit ihren Gebäuden und dem Bergfried mit vormals spitzem Dach stellt sich noch in der alten Form vor ihrer Zerstörung durch die Franzosen 1689 dar. Vier Jahre bevor Hollar sie zeichnete, waren auch hier die Schweden durchgezogen. Sie waren von Gustav Adolf von Mainz aus an den Mittelrhein geschickt worden und hatten hier gewaltige Verwüstungen angerichtet. Unter dem Befehl des Feldmarschalls Baudissin hatten sie auch die damals im Besitz der Familie Warsberg befindliche Burg Rheineck vorübergehend besetzt.

Am Fuße des nach Süden hin abfallenden Burgbergs wird mit viel Busch- und Baumbewuchs die Einmündung des Brohltals sichtbar. Das Dorf Brohl selbst, etwas vom Ufer abgelegen zu den Hängen des Eibergs hin, würdigte der Zeichner nicht. Die Papiermühle an der Mündung des Brohlbachs und den Ortsteil Nippes, entstanden durch die Verladung von Trass und Tuffstein, gab es noch nicht.

Würdigung

Wie sich in den vorangehenden Ausführungen zeigt, ist es recht interessant, die Zeichnungen Hollars aus dem 17. Jahrhundert auf ihre topographischen Darstellungen hin zu untersuchen oder sie gar mit den heutigen Gegebenheiten zu vergleichen. Manch Interessantes zur Entwicklungsgeschichte der Landschaft und der Orte am linken Ufer des Mittelrheins tritt dabei zu Tage. Zu einer Ausstellung seiner Zeichnungen im Jahre 1959 heißt es:

„Sein Realismus kennt keinerlei Kompromiss. Seine Landschaften sind nicht komponiert. Er versteht es zwar ebenfalls, einen geeigneten Blickpunkt zu wählen, von dem aus sich ein bestimmter Naturausschnitt am günstigsten darbietet, aber er hält diesen Ausschnitt vor allem darum fest, um ein Dokument vorzulegen, das er allerdings durch seine große Begabung zu einem Kunstwerk macht“.

Literatur:

- Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.): Wenzel Hollar, Radierungen und Zeichnungen aus dem Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1984.
- Berthold Poland, Landesmuseum Mainz (Hrsg.): Wenzel Hollar, Reisebilder vom Rhein, Mainz 1986.
- Oberwinterer Festkomitee (Hrsg.): 1100 Jahre Oberwinter, Remagen 1986.
- Stadtverwaltung Remagen (Hrsg.): Zur Geschichte des Raumes Remagen, Remagen 1977.

Wenzel Hollar: Ansicht von Burg Rheineck vom Rheinstrom aus