Der Kreis Ahrweiler eine Orgellandschaft?

Eine Orgelreise durch die Jahrhunderte

Kurt-Ludwig Forg

Gewiss würde kaum ein Organologe – wie sich die Zunft der mit diesem Instrument Beschäftigten wissenschaftlich nennt – auf die Idee kommen, den Kreis Ahrweiler als Orgellandschaft zu definieren. Das Fehlen eigener bedeutender Orgelbauwerkstätten über die Jahrhunderte hinweg als auch das Fehlen eines eigenständigen regionalen Stils lassen die Begriffskopplung Kreis Ahrweiler und Orgellandschaft auf den ersten Blick als nicht recht zusammen passend erscheinen.

Eine andere Ansatzweise, die Betrachtung der Orgellandschaft des Kreises Ahrweiler unter einem historischen Aspekt als Spiegelbild der zeitlichen Abfolge verschiedenster Stilepochen führt jedoch zu einem erstaunlichen Ergebnis: Mit einem Bestand barocker Instrumente der König-Familie, romantischen Instrumenten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, und Beispielen von orgelbewegtem, neobarockem, avantgardistischem, eklektischem und neoromantischem Orgelbau lässt sich so eine Zeitreise durch den Orgelbau unternehmen, die neben den unterschiedlichen Klangidealen auch die technischen Veränderungen im Orgelbau und der Prospekt- bzw. Gehäuseentwicklung auf begrenztem Raum ansatzweise zu erläutern versucht. Dabei stehen nicht nur Neubauten im Interesse dieses Beitrages: Vielfach wurden in der Geschichte des Orgelbaus aus finanziellen Sachzwängen heraus auch alte, wertvolle Gehäuse wieder verwendet und mit einem neuen klanglichen und technischen Innenlebenversehen. Ebenso häufig wurden auch ganze Orgeln veräußert und in anderen Kirchen aufgestellt.

Die Orgellandschaft des Kreises Ahrweiler bietet somit ein Spiegelbild über die Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukunst der letzten300 Jahren – angesichts der über 2000-jähri-gen Geschichte dieses Instrumentes nur eintemporäres Segment, aber das uns nächst liegendste. Sie ist aber gleichzeitig auch ein Beleg für die klangliche und technische Erfindungskunst ihrer Erbauer, die als Kunsthandwerker ihren Beitrag zum europäischen Kulturgut Orgel leisteten.

Das 18. Jahrhundert – Barocke Kleinodien in Dümpelfeld und Aremberg

Die kleine Orgelreise führt uns zunächst nach Dümpelfeld, wo in der aus dem 13. Jahrhundert stammenden St. Cyriacus-Kirche im April 2002 eine unerwartete Entdeckung gemacht wurde: 1730erbaute Balthasar König, der einer zunächst in Münstereifel und später in Köln ansässigen Orgelbauerdynastie angehörte, das Dümpelfelder Instrument. Vermutlichstand dieses Instrument zunächst an der linken Rückwand des Kirchenschiffs, bevor es zwischen 1822 und 1830 auf eine kleine Empore über der Nordwestecke des Kirchenschiffs umgesetzt und wahrscheinlich auch umgebaut wurde. 1880 wurde durch den Linzer Orgelbauer Johann Stockhausen ein entscheidender Eingriff vorgenommen: In einem technischen Neubau verwendete er zwar einen großen Teil des barocken Pfeifenmaterials Balthasar Königs wieder, bettete dieses allerdings in ein Werk romantischer Stilistik ein, das mit seinem grundtönigen Ideal die vorher vorhandenenhellen barocken und silbrigen Töne vergessen machte. Zusammen mit dem erhaltenen Registerbrett, Schleifen, Prospekt- und Registerstöcken sowie barocken Gehäuseteilen verharrte dieses Instrument in einer Art Dornröschenschlaf und sieht derzeit seiner Restauration - wahrscheinlich nach der Kirchenrenovierung - entgegen. Die Bedeutung dieses Instruments erschließt sich unmittelbar aus der Tatsache, dass die Königfamilie zu den bedeutenden Orgelbaudynastien des 18. Jahrhundertszugezählt wird und für die rheinische Regioneine ähnliche Bedeutung wie Silbermann für den Raum Sachsen bzw. das Elsass besitzt.

Rund 20 Jahre später – um 1750– erbaute Balthasar Königvermutlich für die Augustinerinnen-Klosterkirche Marienthal/Ahr ein einmanualiges Instrument mit 13 Stimmen, das nach Auflösung des Konvents zusammen mit weiterer Kirchenausstattung in die Pfarrkirche St. Nikolausin Arembergübertragen wurde.

Die Orgel von Aremberg stammte ursprünglich aus der Klosterkirche von Marienthal / Ahr.

Der Zahn der Zeit, aber auch unsachgemäße Reparaturen setzten diesem Werk stark zu: Dokumentarisch belegt ist ein geradezu desaströser Zustand des Pfeifenwerks und der Mechanik dieses Instruments, dessen hoher Wert schon äußerlich am eleganten fünfteiligen Eichenholzprospekt erkennbar war. Die 1988/89erfolgte Restaurierung durch die Werkstatt Weimbs aus Hellenthal versetzte dieses Instrument in seinen barocken Originalzustand zurück. Innerhalb eines größeres territorialen Kontextes steht dieses Instrument in der Tradition einmanualiger Orgeln des Rhein-Maas-Gebietes des 18. Jahrhunderts. Vergleiche mit Instrumenten gleicher Größe, ähnlicher Disposition und Klangbild in Elsaute (St. Rauch, Maastrich (Cellebrüder-Kapelle) belegen, dass der Orgelbau politische und sprachliche Schranken zu überwinden wusste, und somit die Europäische Union um Jahrhunderte vorweg nahm.

Die Instrumente in Dümpelfeld und Aremberg sind mit mechanischer Traktur (der Verbindung zwischen Tasten und Ventil mittels einer Holzleiste) und der technischen Konstruktion der Schleiflade erbaut. Diese Konstruktionsart von Orgeln wird heute wieder bei nahezu allen Orgelneubauten in Deutschland angewendet. Technische und klangliche Entwicklungen führten im 19. und 20. Jahrhundert zu anderen Lösungen, die heute nach lange andauernden und ideologisch geführten Diskussionen in ihrer Eigenständigkeit und ihrem Eigenwert anerkannt sind. Die „königlichen“ Instrumente –wie ja die Orgel als Königin der Instrumente bezeichnet wird – in Dümpelfeld und Aremberg weisen das wechselhafte Schicksal vieler historischer Instrumente auf: Umbau, Umsetzung, Vernachlässigung, Dornröschenschlaf und glücklicherweise auch die Wiederentdeckung.

Das 19. Jahrhundert – Romantischer mechanischer Orgelbau

Im 19. Jahrhundert fanden auch – parallel zur Industrialisierung - zahlreiche Entwicklungen im Orgelbau statt, die sich klanglich bereits ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts andeuteten. Die Entwicklung eines mehr grundtönigen Klangideals führte zur Entwicklung auch neuer technischer Systeme, welche eine leichtere Spielart der immer größer werdenden Instrumente beinhaltete. War in vielen Dorfkirchen die Einmanualigkeit im 18. Jahrhundert noch die Regel, so sollte im 19. Jahrhundert auch in kleinen Kirchen die Zweimanualigkeit zur Norm werden.

Beispielhaft für diese Entwicklung sei die Orgel in der Pfarrkirche St. Petrus in Kesseling angeführt. Als opus 191 in ihrem Werkkatalog erbaute die Barmener Werkstätte Ibach 1895 ein zweimanualiges Werk hinter einem neogotischen Gehäuse. Als Grundsubstanz wurde ein älteres, sich bereits in der Kirche befindliches Werk verwendet und von der Einmanualigkeit zur Zweimanualigkeit erweitert. Die Geschichte dieses Vorgängerinstrumentes lässt sich nicht genau klären, denn sowohl die Herkunft des Instrumentes als auch des Gehäuses lassen sich nicht genau bestimmen. Auffällig ist in dieser Orgel eine Flöte 4’ mit runden Holzpfeifen, die wohl aus dem Vorgängerinstrument stammt. Mit der Erweiterung des Kesselinger Instrumentes durch Ibach zog sich die Kirchengemeinde für die damalige Zeit eine Weltfirma ins Dorf: Der Werkkatalog der von 1794-1904 bestehenden Werkstätte weist (in dieser Zeitungewöhnlich) auch Neubauten für Belgien, Cuba, Holland, Spanien, Südafrika, USA und natürlich auch für viele Kirchen in Deutschland nach. Dieses Instrument wurde 2004/05 durch Orgelbau Merten aus Remagen restauriert.

Die Evangelische Christuskirche Bad Breisig, die 1902 eingeweiht wurde, konnte 1905 eine gebrauchte Stumm-Orgel aus Remagen gebraucht erwerben. Das Instrument stammt aus dem Jahre 1872, wurde allerdings wahrscheinlich beim Ortswechsel mit einem neogotischem Prospekt versehen. Von den 370 nachgewiesenen Werken der Orgelbaudynastie Stumm zwischen 1722 und 1896 sind noch 140 unverändert, umgebaut oder teilweise erhalten, bzw. restauriert. Berühmte Instrumente entstanden in dieser Zeit für Münstermaifeld, Kirchheimbolanden oder auch die Abteikirche Amorbach. Mit zwölf Registern nimmt dich das Breisiger Instrument eher bescheiden aus, sein Wert zeigt sich aber auch in den 1977 bzw.1997 erfolgten Restaurierungen des Instrumentes durch Klais/Bonn bzw. van Vulpen/Utrecht.

Die Orgel in der Rosenkranzkirche von Bad Neuenahr

An dieser Stelle sei auch noch auf die Stahlhuth-Orgel von 1871 im Kloster Calvarienberg zu Ahrweiler als weiterem Denkmal romantischem Orgelbaus hingewiesen, ebenfalls mit einem neogotischen Gehäuse versehen.

Das 20. Jahrhundert – Eine ungeheure Vielfalt und rasante Entwicklung Spätromantik – Orgelbewegung – Neo-barock – Avantgarde – Eklektizismus

Ein Blick in die Rosenkranzkirche zu Bad Neuenahr zeigt eine grundsätzliche andere Art der Orgelbauästhetik als die romantischen Instrumente von Kesseling, Bad Breisig und Ahrweiler. Dem symmetrischen Freipfeifenprospekt des 1940 von Johannes Klais aus Bonn erbauten Instrumentes mit 38 Registern auf drei Manualen wird nach Jahrzehnten der Missachtung wieder historischer Wert zugemessen. Der zu Beginn des 20. Jahrhundertseinsetzende Verzicht auf Gehäuse führte zu Freipfeifenprospekten, die neuen ästhetischen Regeln folgten. Heute wird diese äußere Gestaltung wieder gewürdigt und bei Neubauten als Quelle architektonischer Orgelkonstruktion genutzt. Klanglich und technisch verkörpert das Instrument höchst interessante Charakteristika: Der äußere Aufbau des Instruments mit dem zweigeteilten Rückpositiv in der Emporenbrüstung, dem mittig stehen Haupt- und Schwellwerk sowie den flankierenden Pedaltürmen verrät den damals modernen Rückbezug auf den Werkaufbau barocker, speziellnorddeutscher Instrumente, die auch klanglich als Vorbild dienten. Die Abkehr vom romantischen Orgelbau zeigt sich im Verzicht auf ein Schwellwerk, was wohl von den Planern solcher Instrumente gar nicht als Verlust empfunden wurde. Ein Vergleich mit dem ebenfalls1940 von Walcker aus Ludwigburg erbauten und etwas größerem Instrument für die Dreikönigskirche in Neuss zeigt auf, dass Klais die neue Bewegung stärker aufnahm und damit auch intensivere Impulse für die Entwicklung des Orgelbaus gab.

Die Kombination weicher, teilweise noch romantisch intonierter Grundstimmen mit barocken Mixturen, Aliquot- und Zungenregister wird in der Orgelbaugeschichte als „orgelbewegt“ charakterisiert und als Übergang zum ab den 50er Jahren immer mehr vorzufinden „neobarocken“ Typus mit steilem, oftmals schrill anmutendem Klangbild angesehen. Wurden die orgelbewegten Instrumente in der Regel mit elektrischer oder elektropneumatischer Traktur und Kegel- bzw. Membranladenerbaut, fand in den neobarocken Instrumenten immer mehr die Schleiflade ihre Anwendung. Parallel dazu änderten sich auch die Spieltrakturen: War zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Traktur noch pneumatisch (hier funktioniert die Verbindung zwischen Taste und Ventil übereinen Luftstrom durch Bleirohre), so kamen mit der sicheren Verwendung elektrischer Systeme bald Kombinationen mit elektrischer Impulsgebung (elektropneumatisch) oder rein elektrische Trakturen (Magnete unter den Ventilen und Kontakt unter den Tasten) zum Tragen. Zwar wurden ab den 30er Jahren auch schon vereinzelt mechanische Trakturen gebaut, die Wiedereinführung der mechanischen Traktur mit ihrer Haltbarkeit und der Sensibilität des Anschlags sollte aber erst ab den 50er Jahren nach und nach einsetzen.

Damit einhergehend veränderten sich auch wieder die Gehäuse: Die Epoche der Freipfeifenprospekte war beendet und die ersten Vollgehäuse nahmen wieder Einzug, oder wie im Falle der Romanus Seifert-Orgel von 1967inder Pfarrkirche Mariä Verkündigung in Altenahr architektonische Kombinationen zwischen diesen beiden Bauweisen. Die Rückkehr zur Schleiflade bedeutete allerdings noch keine zwangsläufige Rückkehr zur mechanischen Traktur: Das schon recht stattliche Instrument mit 30 Stimmen und 2194 Pfeifen der niederrheinischen Firma, die unterem anderem auch die monumentale Orgel in der Marien-Basilika zu Kevelaer erbaute, war noch immer mit einer elektrischen Spieltraktur ausgestattet. In einem gewissem Sinne konsequente Weiterentwicklungen der neobarocken Orgel mit ihren Rückbezügen zu Instrumenten des 16.-18. Jahrhunderts und einem spitz aufgebauten Klangbild sind Instrumente, die als der Avantgarde zugehörig bezeichnet werden können. Seit 1972 besitzt die Pfarrkirche St. Peter zu Sinzig ein solches Instrument, das mit Fug und Recht immer noch als eine der klanglich modernsten Orgeln weltweit gilt. Die Suche nachneuen Klängen führte in Sinzig zu einem Instrument der Firma Walcker mit 48 Registern und Klangeigenheiten, die in völlig neue Dimensionen führten: Registermanual, Mixturensetzer, Percussion, Tastenfessel, Winddrossel und Schlagwerke (Glocken, Harfe, Xylophon, Psalterium) vermochten völlig neue Klänge zu entwickeln, die nicht von Jedem geschätzt wurden, allerdings das Interesse der Orgelwelt auf sich zogen. Internationale Orgelwochen, zahlreiche Aufnahmen für den Rundfunk und Tonträger machten so die kleine Provinzstadt in Musikkreisen weltweit bekannt. Mit dem Weggang des damaligen Organisten Peter Bares nach St. Peter in Köln wächst dort zur Zeit - allerdings in verdoppelter Größenordnung – ein ähnlich avantgardistisches Instrument heran.

Die Sinziger Orgel

Betritt man die Kath. Pfarrkirche St. Laurentius zu Ahrweiler so bilden die dreimanualige Fischer + Krämer-Orgel von 1991 und das 2004auf einer Seitenempore hinzugefügte Solowerkden vorläufigen Abschluss einer reich bewegten Orgelgeschichte des gotischen Kirchenbaus von 1269. Hier sind gewissermaßen die bislang aufgeführten Entwicklungen in der Orgelgeschichte einer einzigen Kirche aufzufinden. Erste Berichte bezeugen eine Orgel um 1525, der Name des Erbauers sowie die Größe, die Bauart und das Aussehen des Instruments sind jedoch nicht überliefert. Mit dem Stadtbrand von1689 erlitten Kirche und Orgel schwere Schä-den, ein nicht ungewöhnliches Orgelschicksal in jener Zeit. 1717 schloss die Stadt Ahrweiler mit Balthasar König, der uns an dieser Stelle wiederum begegnet, einen Kontrakt über einneues Instrument, das jedoch erst 1728aufge-stellt wurde.

Die Ahrweiler Orgel in der Pfarrkirche St. Laurentius mit Spieltisch

Die Disposition mit 23 Stimmen wies mit den vielen terzhaltigen Registern, unter denen besonders das Tintinabulum mit seinem Glockenspielklang zu erwähnen ist, eine für die rheinische König-Dynastie typische Disposition auf. Vermutlich – so verlauten manche Spekulationen – lernte Ludwig van Beethoven dieses Instrument 1781 bei seinen Besuchen in Ahrweiler kennen.

Der sich wandelnde Zeitgeschmack führte1849 zu einem Umbau durch den Kölner Orgelbauer Engelbert Maaß, der ebenfalls ein anerkannter Meister seines Fachs war. Der Tastaturumfang des Pedals wurde erweitert, die Registeranzahl erhöht, die Disposition mit erheblichen technischen Umbauten dem romantischen Klangideal entsprechend insgesamt grundtöniger gestaltet. Die 1899 beginnende Kirchenrenovierung fand orgelbaulich mit der Stahlhuth-Orgel von 1903 ihren Abschluss. Unter Beibehaltung der an die Westwand versetzten und mit einem neuen Unterbau versehenen Gehäusefront erbaute der Aachener Meister ein zweimanualiges Instrument mit 30Registern, versehen mit dem damals hochmodernen pneumatischen Traktursystem und einer grundtönig gehaltenen Disposition. Die wertvollen alten König-Register fanden keine Wiederverwendung und das nun geschaffene Instrument war ideal auf die Interpretation romantischer Orgelmusik und entsprechend gestalteter Improvisationen ausgerichtet. Die Lehrjahre Georg Stahlhuths (1830-1913) bei Merklin & Schütze, einer prominenten französischen Firma, die der engste Konkurrent des berühmten Aristide Cavaillé-Coll war, machten sich auch im Klangbild und der Bauart einiger Register bemerkbar: Der Einbau fünf überblasender Flötenstimmen mit eingedeutschten Registerbezeichnungen brachte 80 Jahre vor ähnlichen Tendenzen im deutschen Orgelbau ein Stück französische Klänge ins Ahrtal.

Genau 50 Jahre verrichtete dieses Instrumentseinen Dienst, bis es 1953 in der Christmetteendgültig verstummte. Kriegsmäßig bedingte schädliche Witterungseinflüsse, aber auch natürliche Verschleißerscheinungen und ein wiederum gewandelter Zeitgeschmack machten der Stahlhuth-Orgel den Garaus. 1956er-stellte Johannes Klais aus Bonn ein dreimanualiges Instrument mit 37 Registern und drei Transmissionen, größenmäßig ein Sprung nach oben. Versehen mit einer neobarocken Disposition, die inzwischen stilistisch als vorbildlich galt, entsprach dieses Instrument ganz den Rückbesinnungstendenzen auf barocke und zugleich moderne Klangbilder. Unter dem Kostendiktat jener Zeit wurden zahlreiche alte Register umgearbeitet, einige Register gänzlich wiederverwendet und 15 Register neu erbaut. Ebenso kompromiss beladen und heterogen war der technische Aufbau: Die Traktur war nunmehr elektropneumatisch, aus der Stahlhuth-Orgel waren für das Hauptwerk und das Pedal die alten Membran-Laden übernommen worden, das Schwellwerk und die Pedalergänzungslade erhielten neue Kegelladen und das optisch in bewusstem Kontrast zum alten Gehäuse stehende Rückpositiv wies Taschenladen auf. Bedingt durch die verschiedenen Windladentypen mit ihren unterschiedlichen Reaktionen auf Witterungsverhältnisse wies das Instrument ab 1972 immer häufiger Störungen auf und wurde auch unter dem Aspekt einer Geschmackswandlung als unmodern empfunden. Dennoch sollte über dieses Instrument nicht allzu hart geurteilt werden, denn unter den finanziellen Beschränkungen bei der Errichtung dieser Orgel hätte auch der beste Orgelbauer nichts Gescheites zuwege gebracht!

Ab 1988 beschloss die Kirchengemeinde aufgrund der ersichtlichen Mängel einen Neubau voranzutreiben. Qualitätsaspekte standen im Vordergrund, und die Wiederwendung alter Register von 1903 und 1956 sowie des Gehäuses geschah diesmal im Respekt vor den Leistungen der damaligen Orgelbauer. Die Wahl fiel auf die süddeutsche Firma Fischer + Krämer aus Endingen am Kaiserstuhl, die 1991 ein Instrument mit 47 Registern, davon 24 neuen, errichtete. Die klangliche Ausrichtung war nuneklektisch ausgerichtet. Hauptwerk und Oberwerk erhielten eine barocke Ausrichtung mit badisch-elsässischer Note, während das Schwellwerk mit seinen französisch-romantischen Stimmen auch die Interpretation vonMusik des 19. und 20. Jahrhunderts ermöglichte. Technisch erhielt das Instrument wiederwie die Balthasar-König-Orgel Schleifladen mit mechanischer Spieltraktur, und mit einerelektronischen Setzerkombinationen zur Vorbereitung unterschiedlichster Registrierungenhielt sinnvollerweise modernste Technik Einzug in das Instrument.

2004 wurde diese Instrument noch um ein auf der Seitenempore befindliches Solowerk in neo-gotisch gestaltetem Gehäuse mit drei auf hohem Winddruck stehenden und elektrisch angesteuerten Registern – ebenfalls aus der Werkstätte Fischer + Krämer – erweitert. Mit 50 Registern befindet sich nunmehr in St. Laurentius ein Instrument von bereits stattlicher Größe. Die Orgelbaugeschichte dieser Pfarrkirche mit ihren verschiedenen Instrumenten (barock-mechanisch, romantisch-mechanisch, romantisch-pneumatisch, neobarock-elektropneumatisch, eklektisch-mechanisch/elektrisch) ist ein lang-zeitliches Schaubild der maßgeblichen Entwicklungen im deutschen Orgelbau und für Kirchen dieses Alters gar nicht so untypisch.

Eine 300-jährige orgellose Zeit wurde 1994mit dem Bau der neuen Mayer-Orgel in der heute schmucken Pützfelder Marien-Wallfahrtskapelle beendet. Das Instrument mit seinen 13 Registern im blau-marmorierten Barockgehäuse fügt sich für den Betrachter perfekt in den Innenraum der Kapelle ein. Das Klangbild des Instrumentes imitiert nicht in bloßer Weise barocke Vorbilder, sondern versteht sich ausgehend von diesen als eigenständige Schöpfung. Barocke Helligkeit und Transparenz, dem Raum entsprechend mehr von kammermusikalischer Feinheit als organaler Monumentalität, aber auch einige dispositionelle Raritäten bieten sich den Zuhörern dar: der zerlegte, in überblasender Form gebaute 5-fache Cornett auf dem 2. Manual ist in einem Instrument dieser Größenordnung einzigartig in Deutschland und sorgt sowohl für Wärme wie Strahlkraft. Die unverändert erhaltene Orgel von Franz Josef Schorn (1834-1905) in Kuchenheim bei Euskirchen (1895) lieferte das Vorbild für diese Registergruppe, die allerdings auch Georg Stahlhuth (s. Maria Laach und Ahrweiler) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen Instrumenten disponierte. Eine weitere Rarität bietet der Zimbelstern mit seinen 4 Glöckchen, die munter bei festlichen Anlässen ihre barocke Spielerei erklingen lassen.

Die Orgel der Wallfahrtskapelle Pützfeld

Über gleich zwei Orgeln verfügt die Abteikirche Maria Laach. Die besondere Raumakustik und die Erfordernisse der klösterlichen Liturgieerforderte die Konzeption von zwei unabhängigen Instrumenten als Hauptorgel auf der Empore und als Chororgel. Trotz des hohen Alters der romanischen Basilika ist die Orgelgeschichte relativ kurz berichtet: Eine wahrscheinlich aus dem Spätmittelalter stammende Orgel, über die nichts weiteres bekannt ist, wurde 1695 in die Emporenbrüstung des Westwerkes gesetzt und später vergrößert. Mitsamt einem neuen, großen Orgelprospektes von 1721 verschwand sie nach der Säkularisation1802. Erst nach der 1892 erfolgten Wiederbesiedlung des Klosters durch den Benediktinerorden und jahrelangen Verhandlungen mit der preußischen Regierung entstand 1910 eine große Orgelanlage, unterteilt in eine Emporenorgel mit 38 Registern und eine Chororgel mit28 Registern, elektropneumatisch angespielt durch einen im Chorgestühl aufgestellten Spieltisch. Der Erbauer dieses Instrument war Georg Stahlhuth aus Aachen, der bereits in St. Laurentius zu Ahrweiler 1903 ein Instrumenterrichtet hatte.

Die „Schwalbennestorgel“ in Maria Laach

Die Konzeption dieser Orgelanlage erwies sich jedoch aufgrund der recht halligen Akustik und der großen Entfernung zwischen Haupt- und Chororgel nicht als eine dauerhaft tragfähige Lösung. Ende der 80er Jahre entschloss man sich so angesichts von notwendig gewordenen Reparaturen zu einer kompletten Revision der Anlage: Die wertvolle Stahlhuth-Substanz beider Orgeln sollte in der Emporenorgelvereint und eine neue Chororgel erbaut werden. Somit konnte die Firma Klais aus Bonn 1998ein neues Instrument mit 20 Registern + 2Transmissionen als Schwalbennestorgel im südlichen Querschiff errichten, das primär für die Begleitung des Chores und das freie Orgelspiel im alltäglichen Gottesdienst ausgelegt ist. Ungleich schwieriger gestalteten sich die Überlegungen für die „neue“ Hauptorgelauf der Westempore, in der ja die Klangsubstanz Stahlhuths von 1910 vereint werden sollte. In seiner Gesamtheit stellt sich dieses Instrument, das allerdings seit 1932 teilweise stillgelegt worden war, als eine Synthese romantischer und impressionistischer Klangideale dar, als ein seltenes Exemplar monumentaler Orgelbaukunst nach der Jahrhundertwende, und durch die hervorragende handwerkliche Ausführung der elektropneumatischen Anlage auch als bedeutendes technisches Denkmal. Im Jahr 2000führte die Firma Klais aus Bonn, der ja bereits die Erbauung der neuen Chororgelübertragen worden war, diese Arbeiten aus und schuf so ein Instrument mit 66 Registern (davon 7 Transmissionen) auf 3 Manualen. Immittig auf der Empore um 90° gedrehten originalen Gehäuse mit neuem Oberbau sind das Haupt- und Nebenwerk (1. und 2. Manual) samt den zugehörigen Pedalstimmen untergebracht, während nun die beiden Schwellwerke(2. und 3. Manual mit Piano-Pedal) in jeweils eigenen Gehäusen im südlichen bzw. nördlichen Joch der Empore zu finden sind. Durch die Aufstellung wurde die Westempore durch das Orgelgehäuse nicht gänzlich ausgefüllt und ließ so den Durchblick zu den Apsisfenstern frei. Da die beiden Schwellwerke relativ nah und symmetrisch zum Hauptgehäuse stehen, ergibt sich eine hervorragende Klangabstrahlung in das Kirchenschiff. Die so geschaffene neue Anlage lässt erstmals die von seinem Erbauer intendierte ästhetische Klanggestalt indem bedeutenden Kirchenraum der Abtei akustisch erfahrbar werden.

Das 21. Jahrhundert – Neoromantische Tendenzen

Die kleine Orgelreise findet ihren Abschluss mit einem Instrument aus dem Jahr 2005. Die Orgelbauwerkstätte Fasen aus Oberbettingenerbaute 2005 ein Instrument mit 24 Registern für die St. Mauritius-Kirche zu Heimersheim. Auch dieses Instrument spiegelt sein zeitliches Umfeld wieder: Ab den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts kamen vermehrt romantische Klangkomponenten in den Blickwinkel der Organisten, Orgelsachverständigen und Orgelbauer. Sei es die originalgetreue Restauration romantischer Instrumente, die zahlenmäßige Zunahme sogenannter romantischer Register in Neubauten, oder auch wie in manchen Fällen komplette romantische Neubauten (z.B. in Bonn-Beuel, St. Joseph, mit französischer Ausrichtung oder Zülpich, St. Peter mit eher deutsch-romantischer Ausrichtung).

Diese Einflüsse machen sich auch im Heimersheimer Instrument bemerkbar: Ein der Größe des Instrumentes angemessenes massiv grundierendes Pedalwerk mit Zungenregistern in französischer Bauform ohne obligate cantus-firmus-Möglichkeiten in höheren Lagen, einklassisch ausgerichtetes Hauptwerk und ein im Sockel der Orgel romantisch angelegtes Schwellwerk mit Streicherschwebung, zwei überblasenden Registern und einer nicht das Hauptwerk überragenden Klangkrone in Formeiner Sifflöte 1’ zeigt sehr deutlich den Geschmackswandel auf, der verstärkt auch auf die Interpretation romantischer Musik zielt. Gewiss kann die dispositionelle Anlage dieses Instrumentes im Kreis Ahrweiler in einer Gesamtsicht des deutschen Orgelbaus als charakteristisch für die Dispositionstendenz zweimanualiger Instrumente zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesehen werden. In welche Richtung das Pendel in der Zukunft ausschlagen wird und welche technischen Entwicklungen den Orgelbau prägen werden, bleibt momentan – auch im Hinblick auf die Finanzsituation der Kirchen – unabsehbar.

Am Ende dieser Reise vermag sich beim Leser einkleiner Eindruck über die Vielfalt des Instrumentes und europäischen Kulturgutes Orgeleingestellt haben. Eine Orgelreise zu den einzelnen Instrumenten kann nur empfohlen werden, denn die Dispositionen lassen sich auf Papier zwar abdrucken, die Orgelgehäuse auf Fotos visualisieren, Klangeindrücke auf CD wiedergeben, vermittelt kann das Erlebnis „Orgel“ jedoch nur durch den persönlichen Klangeindruck. Aus Platzgründen konnten die Dispositionens der aufgeführten Instrumente sowie viele Bilder in diesem Jahrbuch nicht veröffentlicht werden. Der komplette Artikel ist jedoch unter www.kurt-ludwig-forg.de/publikationen/orgeln/kahrweiler zu finden.

Literatur: