Drachen im Paradies

Zur Bauzier der Vorhalle von Maria Laach

Dr. Arnulf Krause

Das romanische Kleinod in der Eifel

Die Abteikirche Maria Laach ist eines der bedeutendsten Baudenkmäler romanischer Architektur. Seit mehr als acht Jahrhunderten trotzt sie dem sprichwörtlichen Zahn der Zeit und präsentiert sich in einem Zustand, der manchem einem Wunder gleichkommt. Aber wider oberflächlichen Augenschein muss viel dafür getan werden, das „Wunder“ Maria Laach zu erhalten und zu schützen. In jüngster Zeit erfuhr der Kirchenvorplatz eine Neugestaltung, der den unzähligen Besuchern als Zugang zur Basilika dient. Das Richtfest dieser Arbeiten im Juli 2006 erinnerte daran, dass die letzte Renovierung des Platzes immerhin ein halbes Jahrhundert zurücklag. Die weiteren Pläne folgen gewissermaßen dem Weg in die Kirche, haben sie doch die Renovierung des sogenannten Paradieses ins Auge gefasst.1)

Diese vielgerühmte Vorhalle aus staufischer Zeit entstand mutmaßlich um 1220; ihre Errichtung komplettierte das Gesamtbild des romanischen Bauwerks, wie es sich heute den Besuchern bietet. Wer den Kirchenraum betreten will, der muss den Vorbau durchqueren – mit Ausnahme des Zugangs vom Klosterbereich. Obwohl seine Bauweise nach zwei Seiten offen gestaltet ist und den Blick nach außen zulässt, herrscht auf dem Weg zum südlichen odernördlichen Westportal ein dämmriges Licht. Den Unwissenden mag es verleiten, schnellen Schrittes dem Kirchenraum zuzustreben. Dabei lohnt sich der Blick nach oben: Denn dort wachsen gleichsam wuchernde Pflanzen aus dem Gestein, die Drachen, Schlangen und allerlei seltsamen Fabeltieren eine Heimstatt bieten. Im Schatten des Laacher Paradieses lauern die Abbilder des Bösen auf den Kirchenbesucher.

Die Steinmetze des hohen Mittelalters überboten sich derart in ihrer Kunstfertigkeit, dass ihre Bauzier einen Höhepunkt romanischer Kunst darstellt. Die folgenden Ausführungen wollen diese Skulpturen nicht kunsthistorischwürdigen, sondern nach ihrer möglichen Bedeutung gemäß des mittelalterlichen Glaubensund Weltbildes fragen.

Maria Laach – eine Klosterkirche

Als Pfalzgraf Heinrich II. 1093 das Kloster am See in der Nähe seiner Burg gründete, begann man alsbald mit dem Kirchenbau. Seit damals und im Laufe des 12. Jahrhunderts orientierte man sich an den großen imperialen Domen von Speyer, Worms und Mainz, die als Kaiserbauten des salischen Herrscherhauses galten, auch wenn deren Epoche mit dem Tod Heinrichs V.1125 zu Ende ging. Bis heute wetteifert Maria Laach mit seinen sechs Türmen zumindest optisch mit den monumentalen Kirchenbauten in den ehemaligen Zentren des Heiligen Römischen Reiches. Aber die Basilika war und blieb eine Klosterkirche, die man zwar als Grablege der Pfalzgrafen plante, die jedoch vom Herrschaftsanspruch der Salier weit entfernt war.2) Die Forschung betont deshalb die Besonderheiten dieses Status, die nicht übersehen werden sollten: Dazu zählte die ursprüngliche Trennung des Kirchenraumes durch einen so genannten Lettner, der den Mönchschor vomgrößten Teil des Langhauses schied, wo die Laien den Gottesdienst feierten. Die Mönche gelangten über zwei Pforten im Chorbereich in die Kirche, die Laien nutzten dazu die beiden westlichen Pforten, an die sich seit etwa 1220 die Längsbauten des Paradieses anschlossen. Die Kirchenzugänge wirkten demnach eher bescheiden und lassen Monumentalität vermissen. Sie mögen auch daran erinnern, dass die Zahl der Laien, die nach Maria Laach kamen, rechtbegrenzt geblieben sein dürfte – im Unterschied zu den heutigen Besucherzahlen während und außerhalb des Gottesdienstes!

Die Abtei Maria Laach mit dem Paradies und dem neu gestalteten Vorplatz, 2006

Die Kirche war und blieb eine Mönchskirche und damit Teil eines Klosters, einer Benediktinerabtei, wie sie bereits der berühmte St. Galler Klosterplan um 820 als Ideal darstellte. Ihre Größenverhältnisse ergaben sich nicht aus einer materiell orientierten „Bedarfsanalyse“ aufgrund hoher Besucherzahlen – was eine moderne Argumentation wäre –, sondern als Ergebnis geistlich-spiritueller Glaubensvorstellungen. Die Doppelchoranlage (also ein Ost- und Westchor) folgte karolingischen wie ottonischen Traditionen. Für ihren Bau gibt es mehrere Erklärungsansätze: liturgische Bedürfnisse der Mönchs- und Laienkirche, aber auch Herrschaftsdemonstration der geistlichen Herren im Osten und der weltlichen Herren im Westen. Was immer in Maria Laach zutreffen mag: Die Doppelchorigkeit wurde jedenfalls mit drei Turmbauten im Osten wie im Westen verbunden, die prägend für das Gesamtbild der Abteikirche geworden sind.

Die Bedeutung des Westbaus

Der Westbau erweckte zweifelsohne den monumentaleren Eindruck. Obwohl er durch die Vorhalle gemindert wird, lässt sich dies noch nachvollziehen. Im mittelalterlichen Kirchenbau geschah selten etwas ohne geistlichen bzw. symbolischen Hintergrund. Darum möchte man auch die Mächtigkeit zahlreicher Westwerke auf einen solchen zurückführen. Sie orientiert sich – zumindest als einer von mehreren Gründen – an einer letztlich aus der Antike übernommenen Gewichtung der Himmelsrichtungen.

Die Bedeutung des Ostens, wo die Sonne aufgeht, übernahm das Christentum, das ja Christus als „Sonne des Heils“ und „Licht der Welt“ verehrte und das Paradies als verlorene Heimat eben dort lokalisierte; darum die ganz überwiegende Ostausrichtung der Kirchen. Der Westen war hingegen die Richtung, wo die Sonne unterging und wohin Adam und Eva vertrieben worden waren. Dort lauerte schlichtweg das Unheil mit den dämonischen Mächten. Ihnen wollte man mit dem mächtigen Westwerk trotzen. Dem positiven Osten stellt sich der sonnenreiche Süden zur Seite, während der Norden ähnlich unheilvoll wie der Westen gesehenwird.3)

Das Meisterwerk des so genannten Paradieses

Dem derart zu deutenden Westbau der Kirche entschloss sich irgendwann zwischen 1210 und1220 der Abt von Maria Laach eine Vorhalle4) anzubauen. Seine Gründe dafür sind unbekannt. Allerdings griff er auf Traditionen früh-christlicher Basiliken zurück, die man auch bei anderen romanischen Kirchenbauten verwendete. Die dreiflügelige Anlage schloss sich derart der Westfassade an, dass ihre Längsseiten zu deren beiden Portalen führten. Die Breitseite im Westen der Vorhalle ziert ein großes Mittelportal, das nun den Hauptzugang der Kirche bildet. Im Osten schließt die Westapsis die Vorhalle ab, im Süden begrenzt sie eine Wand, hinter der sich früher ein Vorbereich der Klausur erstreckte. Baurelikte erinnern an einen Zugang, der einstmals dort bestand.

Geöffnet bleiben also lediglich zwei Seiten, nach Westen und Norden. Im Zentrum des Paradieses befindet sich ein Garten, zu dem keine Zugangsöffnung besteht. Der heute dort stehende Löwenbrunnen ist eine moderne Zutat des 20. Jahrhunderts. Die Laacher Vorhalle gewinnt ihren Reiz durch die dreiseitige Arkadengliederung in den Binnenhof und die zweiseitige Arkadengestaltung nach außen. Dies verleiht dem Bauwerk eine offene Struktur, die durch die schmalen Bögen und die eleganten Säulen sowie Doppelsäulen bereits von weitem einen geradezu filigranen Eindruck vermittelt. Dazu tritt bei genauerer Sicht eine reiche Fülle an Bauzier, die sich außen in Form eines Kranzgesimses und anderer dekorativer Elemente zeigt. Insbesondere zieht das Hauptportal mit einem prächtigen Bogenfries und reich gestalteten Säulenkapitellen den Blick auf sich.

Kapitellfries am Mittelportal des Paradieses

Mittelalterliche Phantastik und benediktinische Discretio

Im Innern der Vorhalle setzt sich diese reiche Ausgestaltung fort – was im Detail nicht immer gut zu erkennen ist. Hier sind es vor allem die zahlreichen Kapitelle, Kapitellfriese und Konsolen, die überwiegend von floralen Motiven und Mustern geschmückt werden. Diese werden aus der kunsthistorischen Perspektiveaußerordentlich gewürdigt („... das typische spätromanische Kelchblockkapitell mit seinen diamantierten Stengeln, weich schwingenden Blattüberfällen und gebuchteten Akanthus- und Palmettenblättern.“5)) Eine Nachzählung von 120 Kapitellen will nicht eine einzige Wiederholung der Pflanzenmotive entdeckt haben.6)

Mit der figurativen Bauplastik der Vorhalle bietet sich eine phantastische Welt von Pflanzen und dubiosen Kreaturen, deren Grenzenuntereinander verschwimmen und die bei mancher überraschenden naturalistischen Anleihe sich doch jenseits der sichtbaren Realität bewegen. So manches Motiv scheint gar die Renaissance vorwegzunehmen.

Diese Beobachtung steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu der oftmals gemachten Feststellung, die Abteikirche verkörpere mit ihren klaren geometrischen Formen und der sie harmonisch umgebenden Eifellandschaft das Ideal der benediktinischen Discretio, jener„Unterscheidung“ also, die seit Benedikt selbst zum weisen Maß und zur Mäßigung führte.7)

Im mannigfaltigen Skulpturenschmuck des Paradieses realisierte ein Meister mit seiner Werkstatt offensichtlich ein anderes Konzept. Nichts ist von ihm bekannt; nur Spuren seiner Arbeiten zeugen von seinem Können. Sinnigerweise nennt ihn die Kunstgeschichte den Samsonmeister, nach dem Fragment einer Samsonfigur, die im Bauschutt von Maria Laach gefunden wurde. Der Samsonmeister und seine Schülerhaben vielerorts ihre Werke hinterlassen: in Maria Laach, in der Andernacher Liebfrauenkirche, im Bonner Münster, in der ehemaligen Abteikirche von Brauweiler bei Köln, um nur einige Orte zu nennen.8) Diesen zweifelsohne angesehenen Handwerker und Künstler holte man also in die Eifel, wo er unter anderem das Paradies gestaltete.

Mittelalterliche Symbolik

Die Frage nach der Bedeutung seiner figurativen Bauzier kann letztlich nur auf vage Antworten hoffen, auf Spekulationen mit vielen Unbekannten: Welche Motive dienten lediglich der Dekoration? Welchen bautechnischen Erfordernissen waren sie unterworfen? Antworten lassen sich immerhin insofern einschränken und absichern, als von einem mittelalterlichen Steinmetz keine freie Gestaltung nach individueller Phantasie zu erwarten ist. Er bediente sich eines Mustervorrats, den er allenfalls variieren konnte. Die moderne Forschung fasst dies unter dem Begriff der christlichen Ikonographie zusammen. Sie meint damit einen Vorrat an Motiven, Figuren, Szenen u.Ä., die allesamt der Bibel, den auf ihr fußenden Autoritäten und den Werken mittelalterlicher Gelehrsamkeit verpflichtet sind. Sie bieten zumindest eine Hilfe für die Bedeutungsklärung etlicher Motive.9)

Der schreibende Teufel und die phantastische Welt der Dämonen – das Hauptportal

Das Hauptportal des Paradieses bietet neben dem südlichen Westportal der Kirche den reichsten Figurenschmuck. Insbesondere dürfte dabei auf dem linken Kapitelfries ein kleiner Teufel ins Auge fallen, der lässig in einer gebogenen Ranke sitzt und etwas aufschreibt.10) Die Pergamentrolle trägt die lateinische Inschrift Peccata Populi „Sünden des Volkes“. Der bockshufige Diabolus macht demzufolge eifrig Eintragungen in ein Sündenregister und gemahnt die Eintretenden an ihre Laster. Die Vorstellung des schreibenden Teufels fand damals in der rheinischen Kunst weite Verbreitung. Sein berühmtestes und wohl schönstes Gegenstück ist die ebenfalls dem Samsonmeister zugeschriebene Figur am Choraufgang des Bonner Münsters. Ihr wird allerdings ein die guten Taten notierender Engel gegenübergestellt, wie es allgemein üblich war. Einzelne Teufel sind dagegen selten.

Teufel, der die Sünden des Volkes aufschreibt

In der Nachbarschaft des schreibenden Teufelstreiben Fabelwesen und allerlei Tiere ihr Unwesen. Zu seiner Linken zanken sich die so genannten Haarraufer: Sirenen, drachenartige Mischwesen, mit menschlichen Oberkörpern. Ihr Bedeutung leuchtet auch ohne Zuhilfenahme christlicher Ikonographie ein: Sie symbolisieren das Laster der Zwietracht und der Streitsucht.

Auf der rechten Seite des Teufels schließt sich eine Szene mit drei Figuren an: Ein drachenartiges Fabelwesen mit einem Raubtierkopfblickt zurück auf einen Bock, der sich wiederum einem Raubtier zuwendet. Gerade die letzte Zweiergruppe verdeutlicht die Befundproblematik, die zum Teil auf bereits interpretierende Rekonstruktionen beschädigter Objekte beruht, aber auch in der Unklarheit darüber, was der Steinmetz darstellen wollte: Ist das Huftier ein Rehbock, ein Stein- oder ein Ziegenbock? Bezeichnet die Raubtierfigur einen Wolf oder einen Bären? Reißt dieses Tier den Bock?

Eine Entscheidungshilfe kann die Symbolbedeutung dieser Tiere geben. Nach dem persönlichen Befund des Autors deutet die linke Figur der Zweiergruppe doch eher auf ein stein-bockähnliches Tier. Der Bock galt jedoch als Symbol des Lasters der Luxuria, der Wollust. Das Raubtier ist wahrscheinlich eher ein Bär und würde damit auf die Laster der Wollust, des Zorns und der Violentia, der Gewalt, verweisen. Aber auch der Wolf hätte eine ausgesprochennegative Bedeutung, setzte ihn doch bereits der heilige Augustinus mit dem Teufel gleich.

Insofern würde sich das schreibende Teufelchen inmitten lasterhafter Wesen befinden und dabei sichtlich wohl fühlen. Eingerahmt von Szenen des Streites und der Gewalt schreibt er die Sünden der Menschen auf und erinnert daran, dass eben diese Laster sie in seine Arme treiben.

Der rechte Kapitellfries des Hauptportals zeigt keine Szenerie wie der linke, sondern verliert sich gewissermaßen in vollendeter Kunst in eine Welt des Phantastischen. Die Figuren verschmelzen zunehmend mit den Blätter- und Rankenmotiven. Am Augenfälligsten ist dies bei der so genannten Doppelblattmaske, in der zwei Männerprofile einen Blattkopf bilden. Florale Elemente gehen in Teile der Köpfe über.

„Haarraufer“ mit Vogelleibern

Frau, die zwei Vogeldrachen säugt

Bärtiger mit zwei Drachen

Teufel, der die Sünden des Volkes aufschreibt „Haarraufer“ mit Vogelleibern Im Umfeld dieses Motivs finden sich drachenhafte Mischwesen und Löwenköpfe, aus denen Pflanzen wachsen.

Eine weitergehende Thematisierung dieser Kapitelle ist unter dem Aspekt der möglichen Bedeutung wenig ergiebig. Hier überwiegt doch der ornamental-dekorative Zweck. Gleichwohl gemahnt die phantastische Darstellung wider-natürlicher Synthesen zwischen Mensch, Tier- und Pflanzenreich an die Sprengung der göttlichen Ordnung und Schöpfung. Sie verweist damit auf eine teuflisch-dämonische Natur.

Gaia und Okeanos und/oder Tiersäugerin und Tierbändiger?

Im Inneren der Vorhalle lassen sich nur wenige Skulpturen entdecken, die mehr als eine zierende Aufgabe haben. Dazu zählen die beiden Kapitellmotive in der nordwestlichen und südwestlichen Ecke, also links und rechts vom Eingangsportal.

Links sieht man die Figur einer so genannten Tiersäugerin, also einer Frau, die an ihren Brüsten tierische Wesen nährt. Hier in Maria Laach sind dies zwei Drachensirenen mit langen Hälsen und Menschenköpfen. Diese Figur war im Mittelalter weithin bekannt, stellte man doch seit der Antike die Erde (lateinisch Terra, griechisch Gaia) als Schlangennährerin dar. In der christlichen Symbolik trat jedoch eine weitere Bedeutung hinzu, die in dieser Darstellung das Laster der Wollust (Luxuria) personifiziert sah. Eine eindeutige Lösung lässt sich darum nicht finden und kann allenfalls im Umfeld der Vorhalle gesucht werden.

In der Tat korrespondiert die Darstellung in der Südwestecke deutlich mit der Tiersäugerin. Dort blickt ein männliches Gesicht herab, indessen Bart sich zwei Drachen verbissen haben. Zugleich hält der Mann die Fabelwesen am Hals gepackt – wie die Tiersäugerin ihre beiden Sirenen. Formal gehört der Bärtige deshalb zu den häufigen Tierbändigern. Manche Interpreten wollen ihn als Symbol des Okeanos deuten und damit das Element des Wassers der Erde gegenüberstellen. Aber diese Interpretation beruht lediglich auf der Nachbarschaft der Tiersäugerin; ansonsten spricht nichts dafür, indem Tierbändiger den alten antiken Meeresgott Okeanos zu sehen.11)

Darüber hinaus gibt uns der Steinmetz keine Hilfe. Tierbändiger galten in der Regel wegen ihrer Bändigung negativ gesehener Wesen wie Drachen, Schlangen oder Löwen als Verweis auf den christlichen Sieg über das Böse. Dann stünde dem Laster der Wollust im üblen Norden der Westseite der Sieg über das Böse in deren Süden, der guten Himmelsrichtung, gegenüber. Oder verstärkt der Tierbändiger als Teil eines monströs-dämonischen Umfeldes lediglich die offenkundige Aussage des Hauptportals? Allgemein gültiges lässt sich dazu leider nicht feststellen und war im Übrigen auch den Menschen des Mittelalters nicht gegeben. Denn die Symbolik jener Zeit blieb vieldeutig; eine Darstellung konnte sowohl auf den Teufel als auch auf Christus verweisen.

Das südliche Kirchenportal – ein Höhepunkt Laacher Kapitellplastik

Das südliche Kirchenportal des Westbaus bietet mit seinem linken Kapitellfries die neben dem schreibendem Teufel bekannteste figurative Bauplastik von Maria Laach und gilt zudem als eine der qualitätsvollsten Arbeiten des Samsonmeisters, die geradezu euphorisch als „das köstlichste Kleinod der Laacher Kapitellplastik“12) bezeichnet wurde.

Dieses Kleinod bereitet mit seiner linken Figurengruppe den Interpreten am meisten Kopfzerbrechen. Denn dort erblickt man einen schlangenartigen Drachen mit einem Menschenkopf und einer Mütze, die an eine Narrenkappe erinnert. Auf diesem Fabelwesen sitzt ein nackter Mensch, der sich mit beiden Händen an den Kopf bzw. in die Haare greift. Auf der angrenzenden Kapitellseite (also gewissermaßen um die Ecke) schreitet ein bekleideter Mann heran, der wahrscheinlich eine Axt in Händen hält. Die starken Beschädigungen dieser Figur machen leider eine detailliertere Beschreibung nicht möglich. Erkennbar ist jedenfalls, wie sie mit einem Fuß der Schlange auf den Schwanz tritt.

Aktfigur auf Vogeldrachen mit Narrenkappe,Darstellung der Unzucht

Eine verbreitete Deutung möchte diese Szene mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies in Zusammenhang bringen: Die noch nackte Eva reite auf der Verführerschlange und greife sich verzweifelt an den Kopf, während Adam bereits das Feld bestelle.13)

Der Drache mit dem Menschenkopf lässt in der Tat an viele Darstellungen des Verführers denken, der ein Eva ähnelndes menschliches Antlitz annimmt. Ansonsten gibt es jedoch keine Szene, die sich mit der von Maria Laach vergleichen ließe. Viele Interpreten bezweifeln zudem das weibliche Geschlecht des Drachenreiters, wofür es in der Tat keine offenkundigen Hinweise gibt.14)

Aufschlussreich sind mehrere Kapitellplastiken aus der ehemaligen Abteikirche in Brauweiler, wo der Samsonmeister und sein Kreis ganzähnliche Drachenreiter geschaffen haben. Auch dort trägt der Drache eine Mütze, wohingegen das weibliche Geschlecht der Reiterin offensichtlich ist. Außerdem scheint sie wie die Tiersäugerin zwei Drachen an ihren Brüsten zunähren. Das Motiv kam also isoliert vor und ohne den vermeintlichen Bezug zu Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies.15)

Darum muss man sich wohl für die Maria Laacher Plastik mit folgender Erklärung zufriedengeben: Die Kopfbedeckung des Drachen, die in der Literatur als „bikonische Kopfbedeckung“,„spitzer Hut mit einer Tierkralle am Ende“ und „phrygische Mütze“ umschrieben wird, ist wohl in der Tat am ehesten als „Narrenkappe“ zu verstehen; allerdings verweist sie nicht auf die rheinische Fröhlichkeit, sondern auf Dummheit und Ignoranz gegenüber dem christlichen Heilsplan. Der Drachenreiter vertraut sich dem Bösen an und steht darum für die Sündhaftigkeit. Er hebt seine Arme, um sich vor dem Bewaffneten zu schützen, der das Böse bekämpft.

Die rechts anschließenden Plastiken des Kapitellfrieses zeigen mehrere Drachen und Vögel, die nach vorherrschender Meinung Taubendarstellen. Die Taube steht bekanntlich so ausgesprochen für das Gute und Christliche, unter anderem auch für Unschuld und Tugendhaftigkeit, dass man sie als Hinweis auf den Gläubigen auffassen darf, den das Böse in Gestalt der Drachen jagt.

Damit lassen es die Steinmetze der Stauferzeit mit deutbarer Bauplastik der Vorhalle bewendet sein. Einzelne Köpfe und Tierdarstellungen darf man ohne Verlust dem bloßen Bauschmuck zu rechnen.

Detail vom (r.) Kapitellfries des Hauptportals: Doppelblattmaske, in der zwei Männerprofile einen Blattkopf bilden

Das Paradies – der Weg zur Kirche

Ein durchdachtes Bild- und Symbolprogramm ist von den Figuren des Paradieses nicht zu erwarten, es kann zumindest nicht nachgewiesen werden. Die moderne Bedeutungsforschung muss ohnehin nur zu oft feststellen, dass sich der mittelalterliche Künstler mit seinen Arbeiten einer durchgehenden Logik entzieht und sich symbolisch selten eindeutig festlegen lässt.

Aber dies dürfte bezüglich der Vorhalle und ihrer symbolträchtigen Figurenplastik als gesichert gelten: Im so genannten Paradies durchschreitet der Gläubige einen Bereich, der ihn an die Sündhaftigkeit der Welt und die Versuchungen des Bösen in vielerlei Gestalt gemahnt. Zugleich stehen die dämonenhaften Fabelwesen aber auch im Banne des Gotteshauses und schrecken äußere Dämonen ab – sowie man es von den bekannten Wasserspeiernder gotischen Kathedralen kennt. Jedenfalls führt der Weg zum Gottesdienst den mittelalterlichen wie den modernen Gläubigen durchein Spalier von Drachen und anderen dämonischen Fabelwesen.

Literatur:

Anmerkungen:

  1. Vgl. dazu Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2006, S. 19, und die Website www.marialaach.de
  2. Hier sei generell auf die angegebene grundlegende Literatur verwiesen: Bogler 1984, Cremer 2000, Schippers/Bogler 1967 und Von Winterfeld2004.
  3. Ohne nähere Angaben sei allgemein auf die Artikel des entsprechen-den Standardwerks verwiesen, dem Lexikon der christlichen Ikonographie (Kirschbaum 1968-1976). Insbesondere zu den Himmelsrichtungen auch Michel 1979, S. 146ff.
  4. Der ebenfalls dafür verwendete Begriff des Paradieses bedeutet imGriechischen Halle und Garten.
  5. Von Winterfeld 2004, S. 71.
  6. So Schippers/Bogler 1967, S. 36ff.
  7. Darauf verweist Cremer 2000, S. 6.
  8. Vgl. dazu Kaelble 1981.
  9. Nähere Ausführungen bei Krause 2006.
  10. Diese Plastik zeigte – wie andere auch – Beschädigungen, die von Restauratoren behoben wurden. Beim Teufel galt es, das Gesicht zu rekonstruieren. Solche Restaurierungen müssen selbstverständlich von Interpretationen berücksichtigt werden. Abbildungen dazu bei Kaelble1981, Bilder 179-188.
  11. Dazu Broscheit 1990, S. 225ff.
  12. Bogler 1984, S. 16.
  13. So Schippers/Bogler 1967, S. 41f.
  14. Kaelble 1981, S. 132: Drachenreiterin. Bogler 1984, S. 16: Eva. Broscheit 1990, S. 251: „das zweifellos männliche Geschlecht des Drachenreiters“. Von Winterfeld 2004, S. 72: „die ungewöhnliche Aktfigur“!
  15. Kaelble 1981, ebd.