Ein gläserner Schatz Heimat

Baptist Schneider: 60 Jahre nach dem Tod des Remagener Fotografen erscheinen seine Bilder

Rolf Plewa

Unzweifelhaft, das Geniale seiner Arbeit ist nicht nur für den Fachmann zu erkennen. Die Fotos von Baptist Schneider, die nun genau 60 Jahre nach seinem Tod einen großformatigen Kalender füllen, den die Kreissparkasse Ahrweiler zum 140. Bestehen für das Jahr 2006 aufgelegt hatte, dokumentieren in eindruckvoller Weise, das künstlerische und das handwerkliche Können eines niemals wirklich in seiner Genialität gewürdigten Fotografen. Um die Wende des 20. Jahrhunderts hatte der Remagener, den man heute aufgrund der Vielfalt seiner Aufnahmen als „Workaholic“ bezeichnen würde seine Blütezeit,. Von morgens bis abends muss der 1867 in Köln geborene Baptist Schneider mit seinem Fahrrad und der Last der Großbildkamera, des Stativs und der Glasplatten auf den Beinen gewesen sein, um Landschaften, Menschen und Gesteine links und rechts des Rheines auf Platte zu bannen. Auf schlechten Straßen, morastigen Waldwegen oder nicht ausgebauten Steinbruchstrecken war er unterwegs, um sein Motiv unter ganz besonderen Lichtgegebenheiten oder Wetterbedingungen zu fotografieren. Mehr als 30 Kilo mag seine Ausrüstung gewogen haben, die er bergauf, talab auf seinem Fahrrad durch die Lande schob. Großformatige Glasplatten bis zu 20 mal 30 Zentimetern gehörten dabei zu seinen Filmträgern, und wer jemals in einem Fotolabor solch eine Schwarz-Weiß-Platte entwickelt hat und den Wert derselben kennt, weiß, wie sorgfältig man mit diesem Negativ umgeht. All dieses scheint ihn nicht geschreckt zu haben, seiner Bestimmung nachzugehen. Jedes Foto, das wir heute kennen, wirkt wie gestaltet. Nichts hat er dem Zufall überlassen. Motivwahl, Fülle des Bildes, Grauabstufungen oder das Festhalten von Bewegung: Baptist Schneider war Perfektionist, auf seinen Fotos stimmte einfach alles. Natürlich liefen ihm Kinder am Bach nicht zufällig über den Weg, natürlich stand der Arbeiter im Steinbruch nicht zufällig neben dem Basaltquader und die Belichtungszeiten der damaligen Kameras verhinderten auch, den Ochsenkarren an der Olbrück als Schnappschuss anzusehen.

Baptist Schneider

Seine Enkelin Mathilde Wassong hat einige Erkenntnisse über den Mann hinterlassen, der in einer Zeit der wachsenden Industrie und Forschung, aber noch unter dem Eindruck des Kaiserreiches aufgewachsen war. Sein Vater war in Köln im Rhein ertrunken, so kam er nach Remagen zum Großvater, der in der alten Römerstadt Stadtverordneter war. Seine Mutter ging zurück nach Köln. Baptist wuchs in einer von Dienstboten geführten Männergesellschaft auf. Die Großmutter starb als er sieben Jahre alt war. Er war der Älteste von sieben Söhnen, und sein nicht viel älterer Onkel kümmerte sich allerdings um ihn wie um einen jüngeren Bruder.

In jungen Jahren schon interessierte sich Baptist für die aufkommende Fotografie. Er studierte diese Kunst in Köln, Stuttgart, Schwäbisch-Gmünd und Neuwied. In Viersen lernte er seine spätere Frau Maria kennen und zog mit ihr zurück nach Remagen. Er mietete ein Haus in der Fürstenbergstraße, direkt an der heutigen Nordeinfahrt und baute angrenzend ein Atelier auf. 1889 eröffnete er das Geschäft.

Blick vom Remagener Rheinufer auf die Erpeler Ley und die Ludendorffbrücke, um 1920

Am 19. Januar 1898 heiratete er. Drei Töchter gingen aus der Ehe hervor, eine sollte in seine Fußstapfen treten.

Die besten und ausdrucksstarksten Portraitaufnahmen der sogenannten guten Gesellschaft entstanden in dieser Zeit. Schützenvereine und Feuerwehrkameraden ließen sich zu Gedenktagen ablichten – ein heute vorhandener Schatz, den es namentlich noch zu entdecken gilt.

Der Marienbrunnen vor der Pfarrkirche Remagen, um 1920

Bei Kriegsausbruch 1914 hatte er Glück. Er wurde für untauglich erklärt, jedoch als Militärfotograf nach Rumänien beordert. Leider sind aus dieser Zeit bislang keine Aufnahmen aufgetaucht. Aus dem Krieg zurückgekehrt wurde Baptist Schneider mit einer gewaltigen, aber sicherlich als wunderbare Herausforderung zu verstehenden Aufgabe betraut. Landrat Dr. Meyers betraute ihn 1927 damit, die Sehenswürdigkeiten des Kreises Ahrweiler ins rechte Licht zu rücken. Es entstand ein heute noch unter Sammlern begehrtes Werk: Der schöne Kreis Ahrweiler. Baptist Schneider stellte den Löwenanteil der Fotografien, die vom damaligen Kreisausschuss ausgesucht worden waren. Selbst wer heute den Anzeigenteil in den hinteren Seiten des Buches betrachtet, ist beeindruckt von der Kunst, mit der sich die damalige Zeit präsentiert hat.

1929 war der Rhein zwischen Oberwinter und Unkel zugefroren. Dieses seltene Ereignis lockte viele zu einem Spaziergang über den Strom an.

Baptist Schneider war aber nicht nur Fotograf, er widmete sich auch der Malerei, daher vielleicht auch seine grundsätzlich brillante Bildeinteilung. Er fuschte nie. Kaum einer weiß, dass Baptist Schneider der beste Freund von Eugen Funk war. Funk ist Begründer des Remagener Museums, des sogenannten Scherbelehäuschens. Funk hat Abhandlungen für das rheinische Landesmuseum in Bonn geschrieben, hat die Geschichte Remagens von den Kelten bis zu den Römern und der damaligen Neuzeit aufgearbeitet. Baptist Schneider hat ihn dabei fotografisch begleitet, jede Scherbe, die in Remagen gefunden worden ist, fotografiert, das Museum mit ins Leben gerufen. Die archäologischen Kenntnisse, die er sich gemeinsam mit Funk erwarb, kamen ihm bei seiner Arbeit zugute. Von vielen Instituten wurde er auf fotografische erdkundliche Expedition geschickt. So kamen auch die zahlreichen Fotos von vulkanischen Kraterlandschaften bei Mayen, Steinbrucharbeiten in der Eifel oder Kaolinabbau beim Oedinger Tagebau zustande.

Auch im gesellschaftlichen Leben der Stadt Remagen tat Baptist Schneider sich hervor. Er war Mitglied des Stadtrates und erster Vorsitzender des Turnvereins. In dieser Funktion lernte er Peter Wassong kennen. Der wurde bald sein Schwiegersohn und radelte mit dem Schwiegervater plus Gepäck unermüdlich durch die Lande. Seinem Sohn Klaus, vielen aus der Tischtennis- und Kreissportszene bekannt, haben wir es zu verdanken, dass die Werke von Baptist Schneider zumindest teilweise erhalten geblieben sind. Unermüdlich hat Klaus Wassong die zentnerschweren Platten von Umzug zu Umzug, von Keller zu Keller mittransportiert. Zumindest das, was davon übrig geblieben ist, immerhin sind es noch weit über tausend Glasplatten. Leider gingen die Amerikaner mehr als schäbig mit seinen Werken um. 1945 musste Baptist Schneider erleben, wie die Besatzer nicht nur die Möbel vom Balkon des Hauses, nun in der Marktstraße, warfen, sondern aus seinen Negativplatten eine Glassplitterkaskade wurde. Enkelin Mathilde Wassong kann sich noch daran erinnern, als der alte Baptist auf den Stufen des Hauses mitten zwischen den Splitters saß und tränenden Auges versuchte, seine Negative zu retten. In der kalten Jahreszeit nach dem Krieg wurden wohl auch manche Glassplatte zum Fensterersatz. Seine zweite Tochter Elisabeth hatte sich in diesen Jahren die Kenntnisse des Vaters angeeignet. Sie führte das Atelier nach dem Krieg weiter, spezialisierte sich auf Portraitaufnahmen. Baptist Schneider sollte dieses kaum noch erleben. Er starb an Allerheiligen des Jahres 1946 und wurde im Grab seines von ihm so verehrten Großvaters beigesetzt. Doch er hat der Nachwelt etwas hinterlassen: einen gläsernen Schatz Heimat, der vielerorts nicht mehr so ist, wie zu seiner Zeit. Der modernen Digitaltechnik und dem Remagener Hobbyfotografen Peter Lüdtke ist es zu verdanken, dass der Schneidersche Schatz der Nachwelt erhalten bleibt. In mehreren tausend Arbeitsstunden hat Lüdtke die Fotos archiviert, digitalisiert und sorgfältig aufgearbeitet. Durch diese Arbeiten an Baptist Schneiders Werken können wir uns immer daran erinnern, wie es einmal in der vielleicht gar nicht so guten alten Zeit wirklich war